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Junge Ideen · Altehrwürdige Räume

Von Ine Jezo-Parovsky

Politik

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Das Sprachengewirr war unüberhörbar. Das Bild ungewöhnlich. 200 Jugendliche aus 24 Ländern im Alter von 15 bis 20 Jahren drängten sich am 17. Oktober im Foyer des Parlaments um ihre

Akkreditierungen für die Schlußveranstaltung der 29. Sitzung des Europäischen Jugendparlaments.

Vom hohen Norden, aus den skandinavischen Ländern oder aus Lettland waren sie ebenso angereist wie aus der südlichen, iberischen oder der hellenischen Halbinsel.

Wer allerdings nach Dolmetschern suchte, wurde bald eines Besseren belehrt. Sie sprechen alle fließend Englisch und Französisch, die jungen Mandatare des vor bereits elf Jahren gegründeten

Jugendparlaments, die in diesem Jahr ihre Sitzung erstmals im Plenarsaal des österreichischen Nationalrats abhielten.

Daß sie ganz genaue Vorstellungen davon haben, wie sie die Zukunft der Welt besser gestalten wollen und daß sie fest entschlossen sind, ihre Ideen auch durchzusetzen, versteht sich fast von selbst.

Begeisterte Politiker

Begrüßt wurden sie mit einem strahlenden Lächeln des Zweiten Präsidenten des Nationalrats, Heinrich Neisser, der am frischen Wind in den altehrwürdigen Räumen sichtlich Gefallen fand. Viel Glück

wünschte er den jungen Menschen und er betonte, daß gerade das traditionsreiche, österreichische Parlament der beste Boden für internationale Treffen sei.

"Im Jahr 1884", so Neisser, "repräsentierten hier 203 Abgeordnete rund 20 Länder der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Von 1907 bis 1918 waren es 516 Abgeordnete, die acht Nationen und mehr als

30 politische Gruppierungen repräsentierten." Das Parlament wäre daher nicht nur Ort der Debatten und der Gesetzeswerdung gewesen, sondern auch jener der Toleranz zwischen Menschen und Nationen.

Natürlich war auch ein Mitglied der österreichischen Regierung gekommen, um die Jugendlichen zu ermutigen. Ministerin Barbara Prammer forderte die jungen Parlamentarier auf, das Bewußtsein für

Problemfelder zu stärken.

Sie sei überzeugt davon, meinte sie, daß junge Menschen durchaus fähig sind, für sich selbst zu sprechen und das sollten sie auch tun.

"Sie sind die beste Lobby für ihre eigenen Interessen", so Ministerin Prammer. Europa brauche junge, motivierte und kritische Denker. Optimistisch, was die Zukunft Europas anlangt, fügte Prammer

hinzu: "Ich bin überzeugt davon, daß Ihre Generation unsere Arbeit für ein demokratisches, soziales und friedliches Europa erfolgreich fortsetzen wird."

15 Resolutionen

Dann stürzten sich die Jugendlichen in die Arbeit. Geübt und souverän wie ein alter Profi übernahm der Präsident des Jugendparlaments die schwierige Leitung einer lebhaften, kurzweiligen Debatte.

Wie in einem echten Parlament hatten vorher Ausschüsse getagt.

Die ganze Woche lang wurde dort zu Themen wie Budget, Umwelt, Sicherheit, Landwirtschaft oder Menschen- und Bürgerrechte an Resolutionen gefeilt. Die Ergebnisse der Beratungen wurden dem Plenum

vorgetragen.

Daran knüpfte sich eine Diskussion, bei der die Redner von ihrem Platz aus kurz Pro- oder Kontraargumente einbringen konnten. Keine Frage, daß die Ausschußmitglieder mit unglaublichem Engagement

versuchten, ihre Resolutionen durchzubringen. Denn im Anschluß an die Debatte wurde darüber abgestimmt.

Und eine Resolution, die beschlossen wird, landet im Europäischen Parlament und hat dort nachweislich auch schon so manche Entscheidung beeinflußt.

Ein Beispiel: Bei einem Gesetz zur Regelung der Datenübertragungen im Internet arbeiteten die Europaparlamentarier die cleveren Anregungen des Jugendparlaments zum Schutz von Daten und zur

Überwachung des Verbots von Kinderpornos ein.

Profunde Vorschläge

In dieser Sitzung wurden vom Jugendparlament zum Beispiel Steuernachlässe für die Schaffung von Arbeitsplätzen eingefordert. Geld, so meinen die jungen Abgeordneten, könnte durch eine Besteuerung

von hohen Schadstoffemissionen hereinfließen. Menschenrechte müßten in jedem Fall Vorrang haben, Flüchtlinge mehr Bewegungsfreiheit.

Kinderarbeit soll nach dem Willen der Jugendparlamentarier schrittweise bis zum Jahr 2040 weltweit gänzlich abgeschafft werden, Arbeit von Kindern unter 10 Jahren schon bis zum Jahr 2020.

Um den Kindern in Entwicklungsländern höhere Chancen zu geben, soll der Schulbesuch weltweit verpflichtend eingeführt werden. Die Armut im Süden Europas soll bekämpft, ein einheitliches Sozialsystem

für ganz Europa geschaffen werden. Wobei die deutsche Delegation in diesem Zusammenhang besonders harsche Kritik an ihrem Rentensystem übte. Er sehe nicht ein, meinte der 19jährige Gymnasiast Holger

Puschl, daß die junge Generation hohe Abgaben leisten müßte, um Pensionäre und Frühpensionäre zu erhalten, die viel mehr bekommen, als die Generation vor ihnen.

Dem Thema Nato und Sicherheit widmete sich die Schweizer Delegation. Jochen Richner, ein 18 Jahre alter Gymnasiast, meinte, die Nato wäre "abgelutscht". Mehr brächte ein europäisches

Sicherheitssystem, in dem auch Rußland eingebunden werden müßte und in dem alle Länder gleichberechtigt sind.

Die Österreicher wiederum forderten vor allem ein Bildungssystem, das reife Staatsbürger heranzieht und das zum Denken anregt. Alles in allem durchaus diskutierenswerte Vorschläge, von denen sich die

Jungmandatare etwas erhoffen, was die 17 Jahre alte Österreicherin Dominique Wagner so treffend formulierte: "Wir möchten erreichen, daß man weiß, daß es uns auch gibt und daß man nicht über unsere

Köpfe hinweg bestimmen soll."Õ

Ine Jezo-Parovsky ist Mitarbeiterin der ORF-Parlamentsredaktion

NOVEMBER 1998