Pünktlich zum Weltkriegs-Jubiläum hat Klett-Cotta die "Feldpostbriefe" des Schriftstellers Ernst Jünger ediert. Sie führen vor, wie sich ein angehender Autor ein robustes, soldatisches Nervenkostüm schneidert.
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Am 1. August 1914 begann der Erste Weltkrieg. Drei Tage später trat der neunzehnjährige Schüler Ernst Jünger als Kriegsfreiwilliger seinen Dienst im Füsilierregiment 73 in Hannover an. Dabei war dieser junge Mann alles andere als brav und pflichtbewusst. Seine Schulleistungen waren mangelhaft, sein Benehmen provokant. Niemand rechnete damit, dass er das Abitur schaffen würde. Entsprechend schlecht war das Verhältnis zwischen diesem Schulversager und seinen großbürgerlichen Eltern.
Der Kriegsbeginn kam also wie gerufen. Jüngers Schuldesaster nahm mit einem "Notabitur" ein glimpfliches Ende, und danach verwandelte sich der renitente Gymnasiast zügig in einen disziplinierten Soldaten, der es bis zum Kompanieführer brachte, siebenmal verwundet wurde und 1918 (zum großen Stolz des Vaters) mit dem hohen Orden "Pour le Mérite" dekoriert wurde.
Jünger wurde im (und durch den) Ersten Weltkrieg aber auch zum Schriftsteller. Er führte Tagebücher, die er später stark bearbeitete und 1920 unter dem Titel "In Stahlgewittern" erstmals pu-blizierte. Mit diesem Werk, das ein Kriegs- und nicht etwa ein Antikriegsbuch ist, wurde Jünger bei der antidemokratischen Rechten als Frontkampfdichter berühmt, bei den Republikanern als Militarismus-Ideologe berüchtigt. Aber wie immer man "In Stahlgewittern" beurteilt - es hat seine literarische Form jedenfalls nach 1918, im Rückblick, gefunden.
Post an die Familie
Anders verhält es sich mit den "Feldpostbriefen", die der Jünger-Biograph Heimo Schwilk nun herausgegeben hat. Hier sind die Briefe gesammelt, die Jünger von der Front nach Hause geschickt hat, und einige Antworten der Adressaten sind ebenfalls enthalten: Meistens schrieben die Eltern, gelegentlich auch die Geschwister, insbesondere der jüngere Bruder Friedrich Georg, der später ebenfalls zu einem bekannten Schriftsteller wurde.
Die beiden Brüder tauschen sich zwar auch über literarische Fragen aus, aber vor allem wird die Korrespondenz von notwendigen Banalitäten beherrscht. Insbesondere kreisen die Briefe um die Frage der Ernährung. Die Mutter will wissen, ob ihr Sohn genug zu essen habe, und er wünscht sich Wurst, Käse Schokolade und andere "Fettigkeiten", aber auch Cognac und Likör. Manchmal braucht er wollene Socken oder Westen, und all das wird aus Hannover an die französische oder belgische Front geschickt, und erreicht in unfehlbarer deutscher Gründlichkeit seinen Empfänger - wenn auch zuweilen mit Verzögerung.
Aber Jünger berichtet auch von Kampferlebnissen, wobei er die Gefahr stark herunterspielt. Am 3. Juni 1916 schreibt er an die Eltern: "Endlich habe ich mal einen Gasangriff mitgemacht, oder vielmehr gleich 3 Stück, das ist alles halb so wild".
Gewiss ist bei solchen Sätzen zu bedenken, dass die Post zensiert wurde, und auch, dass Jünger seine Eltern vielleicht nicht übermäßig beunruhigen wollte. Aber darüber hinaus ist hier die Entstehung jener forciert männlichen Überlegenheitspose zu beo-bachten, die später zum Markenzeichen des Literaten Ernst Jünger werden sollte. Dieser junge Mann wollte sich von den Scheußlichkeiten des Krieges, die er durchaus wahrnahm, nicht einschüchtern lassen. Am 24. 10. 1915 berichtet er: "Neulich fand ich in der Latrine eine Knochenhand, ich hatte schon die geschmackvolle Idee, mir einen Finger als Cigarettenspitze drechseln zu lassen. . ." Und wenn Jünger doch einmal gefühlvoll zu werden droht, macht er sich gleich darüber lustig: ". . . gegen Abend wurde mir etwas absonderlich - absürbelich - zu Mut, ich glaube gar, daß mich das Heimweh anfaßte." Dieses verschämte Geständnis schreibt er am 7. Januar 1918 an seinen Bruder, dem er einen Monat später jedoch die soldatische Lehre auf den Weg gibt: "Übrigens gehört es zu meinen Maximen, daß uns die Freiheit immer gewogen bleibt, solange wir mit dem Tod als Dritten im Bunde einverstanden sind."
Kämpfermoral
In den letzten Jahrzehnten haben wir uns angewöhnt, alles Männliche, Soldatische, Harte für verderblich, und alles Weiche, Weibliche, Pazifistische für segensreich zu halten. Ernst Jünger - und viele andere (auch linke!) Männer seiner Generation - sahen das anders. Für sie war Krieg nicht das größte denkbare Unglück, sondern ein in gewissen Abständen wiederkehrender Ausnahmezustand, in dem man sich heroisch zu bewähren hatte.
Diese positive Haltung zu Kampf und Tod muss niemand sympathisch finden. Es ist aber doch bedenkenswert, dass ein Mann wie Ernst Jünger recht gut damit leben konnte. Er war im Zweiten Weltkrieg wieder Soldat, lebte danach als heftigst umstrittener Schriftsteller in Deutschland und starb erst 80 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, 1998, im Alter von 103 Jahren.
Ernst Jünger: Feldpostbriefe an die Familie 1915 - 1918. Mit ausgewählten Antwortbriefen der Eltern und Friedrich Georg Jüngers. Hrsg. von Heimo Schwilk. Klett-Cotta, Stuttgart 2014,133 S., 19,95 Euro.