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Jungholz: Banken, Kräuter und ÖVP

Von Nina Flori

Politik
Über österreichische Straßen ist Jungholz nicht erreichbar. Wer zum Schifahren oder Wandern nach Jungholz kommen möchte, muss über Deutschland fahren. Foto: flor

Mit 79,7 Prozent, höchster ÖVP-Wähler- Anteil in Österreich. | Drei Banken bei 300 Einwohnern. | Erstes "Tiroler- Alpenkräuter-Dorf". | Jungholz. "Selbst wenn man Jungholz von Österreich aus erreichbar machen wollen würde, wäre das nicht möglich", meint Kräuterwirt und Gemeinderat Andreas Jäger ernst. "Im Kleinwalsertal könnten sie einen Tunnel bauen, bei uns aber geht gar nichts." Dass die 300 Einwohner- Gemeinde Jungholz über keine Straßenverbindung nach Österreich verfügt, ist hier genauso allgegenwärtig wie das Läuten der Kuhglocken von den Almwiesen. Nur über das Gipfelkreuz des schwer begehbaren, 1636 Meter hohen Sorgschrofen kann man Österreich erreichen.


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Verwaltungstechnisch gehört Jungholz zu Österreich, wirtschaftlich zu Deutschland. Eine Gegebenheit, die sich auch im hohen Anteil der in Jungholz lebenden Deutschen manifestiert: Mehr als die Hälfte der Dorfbewohner sind deutscher Staatsangehörigkeit. "Ich bin eine eingefleischte Österreicherin", sagt die 44-jährige Cornelia Lochbichler fröhlich, "aber unser Leben spielt sich schon viel in Deutschland ab." Es beginnt schon bei den Kindern, die nach der dorfeigenen Volksschule die weiterführenden Schulen in Bayern besuchen. "Nach Österreich fahren, wäre ja viel zu weit", erklärt sie. Auch die Einkäufe werden in Bayern erledigt, denn der örtliche Nahversorger musste schon vor langer Zeit schließen.

Schon immer schwarz

Dass Jungholz mit 79,9 Prozent österreichweit den höchsten ÖVP-Wähleranteil hat, empfinden die Jungholzer, so scheint es, als eher nebensächlich. "Ja, wir sind halt so eingestellt - wir wählen halt schwarz", meint die 81-jährige Pensionistin Barbara Zick dazu. Die Politiker kenne man doch ohnehin nur aus dem Fernsehen: "Die versprechen ja so viel, aber halten tun sie nix", fügt sie erklärend hinzu. Auch die 69-jährige Pensionistin Maria Wehrmeister überlegt eine ganze Weile, bis sie auf die Frage, warum die ÖVP hier so erfolgreich sei, antwortet: "Mit denen war man halt zufrieden, und wir haben einen sehr guten Bürgermeister."

Bürgermeister Bernhard Eggel selbst, der sich als "g’standenen ÖVPler" bezeichnet, glaubt auch, dass der Erfolg der ÖVP in Jungholz mit seiner Beliebtheit und der vergangener ÖVP-Bürgermeister zu tun habe. Zudem sei die ÖVP die einzige Partei, die sich schon immer klar für die EU ausgesprochen habe, was für Jungholz aufgrund der besonderen geographischen Lage seit jeher ein wichtiges Thema sei. "Das Schwarze ist einfach noch so in einem drinnen", meint Amtsleiter Dannenberg. "Wir fühlen uns als Tiroler, auch wenn wir deutsche Wirtschaftsbeziehungen haben. Und Tirol war schon immer schwarz - wohl wegen der Landwirtschaft. Vielleicht wollen wir dadurch auch unsere Verbundenheit zu Tirol auszudrücken."

Dank der guten geographischen Lage von Jungholz seien die nicht vorhandenen Geschäfte kein Problem, meint die 20-jährige Kellnerin Tanja Matt. So sei die 60.000-Einwohner-Stadt Kempten in 25 Minuten erreichbar. Die meisten Dorfbewohner arbeiten auch in Deutschland, zum Beispiel in der Metallindustrie in Kempten. Und das, obwohl die kleine Gemeinde durch die drei im Ort ansässigen Banken über rund 100 Arbeitsplätze verfügt. Dort sei aber kein einziger Jungholzer beschäftigt, meint Gemeindeamtsleiter Bernd Dannenberg sinnierend, "die rekrutieren die Leute ja von weiß Gott woher."

"Viel deutsches Geld"

Die sich regende Verwunderung über drei Banken in einem so kleinen Ort legt sich schnell, wenn man weiß, dass hier das strenge österreichische Bankgeheimnis gilt. "Jungholz ist wie das Liechtenstein der Schweiz - hier liegt sehr viel deutsches Geld", erzählt der 65-jährige Tourist Rainer Renninger, der seit Jahrzehnten seine Urlaube in der kleinen Gemeinde verbringt, über die Hintergründe. "Das Geld ist hier sicherer, weil Deutschland nicht draufgreifen kann", fügt er erklärend hinzu.

Die Banken gibt es seit den 80er Jahren in Jungholz - war doch schon vor der gemeinsamen Euro-Währung die Deutsche Mark das offizielle Zahlungsmittel. Für die Gemeinde ist die Kommunalsteuer von den Banken eines der wirtschaftlichen Standbeine.

Das zweite ist der Tourismus. Schon in den 50er Jahren hat man mit dem Bau des Schilifts begonnen, Gäste nach Jungholz zu locken. "Der Tourismus ist für uns sehr wichtig. Viele bei uns vermieten Appartements oder Zimmer", sagt Amtsleiter Dannenberg. "Wir bemühen uns auch, Entwicklungen mitzumachen. Wir sind sehr stolz auf unsere Beschneiungsanlage."

Stolz sind die Jungholzer auch auf ihren Kräuteranbau: "Wir haben alle Auflagen erfüllt und sind jetzt das erste Tiroler Alpenkräuter-Dorf", erklärt die 66-jährige Kräutershop-Betreiberin Gertrud Lochbichler freudig. "Wir machen Seifen, Salben, Marmeladen, Kräutersalz und Kräuterbrot." In der heutigen Zeit sei es wichtig, sich durch Spezialisierung von den anderen abzuheben, meint auch Kräuterwirt Jäger: "Das Wandern ist bei uns beliebt - es könnte aber noch mehr sein. Mit den Kräutern wollen wir den Touristen einen zusätzlichen Anreiz schaffen, zu uns zu kommen."

Keine Armut

Jäger sieht den Erfolg der ÖVP darin, dass es keinen Grund gibt, anders zu wählen: "Den Leuten bei uns geht gut - es gibt keine Armut." Parteien seien aber hier auch gar nicht so wichtig, fügt er hinzu - man arbeite ohnehin parteiübergreifend zusammen - eine Aussage, die bei nur einer Ortspartei-Organisation etwas bizarr anmutet. "Vielleicht würde das Wahlergebnis aber auch einmal anders aussehen, wenn andere Parteien hier Werbung machen würden", ergänzt Jäger seine Überlegungen. Denn schließlich sei das Einzige, was in Jungholz auf Wahlen hinweise, ein kleiner Anschlag im Gemeindeamt.