Zum Hauptinhalt springen

Jüngster Staat des Alten Kontinents

Von WZ-Korrespondent Christian Wehrschütz

Europaarchiv

70 Prozent der Kosovaren sind unter 30 Jahre alt. | Im Norden gedeiht Kriminalität. | Im Süden arbeiten Serben und Albaner zusammen. | Pristina. "Guten Tag, mein Name ist Laura Hartmann. Was kann ich für Sie tun?" Diese freundliche Ansage können potenzielle Kunden in Deutschland hören, denen Firmen bestimmte Produkte vorstellen wollen. Was die Kunden allerdings nicht wissen dürften, sind die tatsächliche Nationalität und der Ort des Callcenters, mit dem sie verbunden sind, wenn sie die Nummer gewählt haben. | Roma-Kinder im Abseits | Dossier: Kosovo


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das Callcenter liegt etwas außerhalb der Kosovo-Hauptstadt Pristina, und eine Mitarbeiterin mit dem Namen Claudia Hartmann gibt es nicht. Der Name ist vielmehr ein Pseudonym, das eine junge Mitarbeiterin mit Wissen und Zustimmung der Firmenleitung gewählt hat - schließlich sollen deutsche Kunden durch die Nennung eines albanischen Namens nicht verunsichert werden.

Rückkehr kurz nach dem Nato-Krieg

In dem Callcenter arbeiten 250 junge Albaner und Albanerinnen aus dem Kosovo, die praktisch alle aus Deutschland in die Krisenregion zurückgekehrt sind - so wie aus Österreich Arigona Zogaj und ihre Familie ausreisen. Teilweise kamen sie schon kurz nach dem Nato-Krieg im Jahr 2000 als Kinder zurück und fanden in dem Center, das seit 2009 in Pristina besteht, Arbeit. Die Arbeitszeit beträgt sechseinhalb Stunden mit 30 Minuten Pause. Das Gehalt liegt im Durchschnitt inklusive Provision pro Monat bei etwa 350 Euro, denn der ist auch die Währung des Kosovo.

Der Kosovo ist in doppelter Hinsicht der jüngste Staat in Europa. Zum einen verfügt er wohl über die jüngste Bevölkerung auf dem Alten Kontinent und über eine der höchsten Geburtenraten. 70 Prozent der Bewohner sollen unter 30 Jahren alt sein, doch zuverlässige Statistiken gibt es kaum. Zweitens erklärte die albanische Mehrheit im Februar 2008 nach fruchtlosen Verhandlungen mit Serbien, die unter internationaler Vermittlung stattfanden, seine Unabhängigkeit von Belgrad. 69 Staaten, darunter 22 EU-Länder, haben die Unabhängigkeit bisher anerkannt, die von Serbien weiter mit allen diplomatischen Mitteln bekämpft wird.

Trotzdem zeigt sich deutlich, dass der Kosovo zunehmend die Folgen des Krieges und der serbischen Unterdrückung hinter sich lässt. Diese Vergangenheit und das noch immer ungelöste Verhältnis mit Serbien prägen vor allem die Probleme im Zusammenhang mit dem kompakt besiedelten serbischen Norden. Dessen Integration in den Gesamtstaat ist die große Herausforderung für die Zentralregierung und die Friedenstruppe Kfor sowie für die Justiz- und Polizei-Mission Eulex.

Denn im Norden mit seiner direkten Grenze zu Serbien sind organisierte Kriminalität und Schmuggel besonders ausgeprägt. Die Herstellung des Rechtsstates ist daher dort besonders vordringlich, aber auch besonders schwierig - nicht nur weil sich Serbien und die Kosovo-Serben widersetzen, sondern weil auch der internationalen Gemeinschaft der Mut zu klaren Schritten fehlt.

Im größeren Teil des Landes, südlich des Flusses Ibar, arbeitet die serbische Bevölkerung dagegen immer stärker mit der albanischen Mehrheit zusammen. Im Süden dominieren daher zunehmend Probleme, die auch in anderen Ländern Ost- und Südosteuropas zu finden waren und sind. Dazu zählen der Aufbau einer effizienten Verwaltung, der Kampf gegen Korruption, die Verbesserung der Infrastruktur und vor allem die Gewinnung ausländischer Investoren, um Arbeitsplätze für die junge Bevölkerung zu schaffen.

So schwierig die Lage ist, so unübersehbar sind auch die Veränderungen. In vielen Teilen des Kosovo werden Straßen hergerichtet, sogar die erste Autobahn in Richtung Albanien wird bereits gebaut. Außerdem lassen sich im Kosovo zunehmend internationale Firmen finden, die die billigen Arbeitskräfte nutzen. Hinzu kommen lokale Unternehmer wie Ramiz Kelemendi, der in seinem Mischkonzern inklusive Einkaufszentren bereits mehr als 1600 lokale Arbeitskräfte beschäftigt und versucht, vor allem die Landwirtschaft des Kosovo zu fördern.

Keine Sahelzone, in der man nicht leben kann

Natürlich gibt es keinen Zweifel, dass es sich in Österreich oder Deutschland weit besser leben lässt als im Kosovo, doch das gilt wiederum auch nicht nur für dieses Land, sondern sogar für gar nicht so wenige EU-Mitglieder. Trotzdem kann die offensichtlich innenpolitisch motivierte Darstellung des Kosovo in so manchen Medien in Österreich nur als extrem einseitig bezeichnet werden.

Der Kosovo ist keine Sahelzone, in der man nicht leben kann. Diese Darstellung beleidigt nicht zuletzt die kosovarische Jugend, die in diesem Land eine Perspektive zu finden hofft und am Aufbau mitwirkt, so dornig der Weg zu einem österreichischen Lebensstandard auch immer sein mag.

Wissen: Kosovo

Ein unabhängiger Staat ist der Kosovo seit zweieinhalb Jahren. Allerdings wurde er bisher nur von 69 der 192 UNO-Mitglieder anerkannt, darunter auch von Österreich. Serbien weigert sich weiterhin, die Unabhängigkeit des Kosovos anzuerkennen. 90 Prozent der Bewohner in der ehemaligen serbischen Provinz sind Albaner.

Serbien und die Serben betrachten den Kosovo als Wiege ihrer Kultur und des serbisch-orthodoxen Christentums. Ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs zum Kosovo wird für den 22. Juli erwartet. Offiziell hält Belgrad an seiner Verfassung fest, laut der der Kosovo, der im Februar 2008 einseitig seine Unabhängigkeit ausgerufen hat, weiterhin eine südserbische Provinz ist.

Auch wenn die UNO-Verwaltung des Kosovos (Unmik) formell nicht beendet wurde, spielen bei dem Aufbau eines funktionierenden Rechtsstaates seit zwei Jahren das Internationale Zivilbüro (ICO) und die EU-Rechtsstaatsmission Eulex die entscheidende Rolle.

Ruhe und Sicherheit im Kosovo überwachen weiterhin die etwa 10.000 Friedenssoldaten aus derzeit 32 Staaten - darunter auch mehr als 400 Österreicher - im Rahmen der Nato-geführten Kosovo-Friedenstruppe (Kfor). Wie die Unmik kam die Kfor zum Einsatz, nachdem die Nato 1999 mit Bombardements in den Kosovo-Krieg der Befreiungsarmee UCK gegen Belgrad eingegriffen hatte und die Massenvertreibung der albanischen Bevölkerung durch serbisches Militär und Paramilitärs gestoppt hatte.

Das kleine Land hat mit großen Problemen zu kämpfen: Prekär ist im Kosovo vor allem die wirtschaftliche Situation, Probleme bereitet auch die laut dem EU-Parlament "weit verbreitete Korruption".