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Juristen an der Front

Von Denis Gray, AP

Politik

Nassiriyah - In Begleitung der Invasionstruppen auf dem Weg nach Bagdad rücken auch US-Militärjuristen mit vor. Sie sollen sicherstellen, dass trotz der Kriegswirren das Rechtswesen nicht zusammenbricht. Dabei hoffen sie aber, dass der Kern der irakischen Justiz erhalten bleibt. Die USA könnten nicht die gesamte Strafverfolgung für das irakische Volk übernehmen, sagt der Kommandant des 709. Militärpolizeibataillons, Oberstleutnant Richard Vanderlinden.


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Dort, wo die Alliierten die militärische Kontrolle haben, sind sie faktisch auch für die Rechtsprechung zuständig. Als Vanderlinden Plünderer beobachtete, die Kisten und Maschinen aus dem südirakischen Luftwaffenstützpunkt Tallil wegschleppten, ließ er sie gewähren. Die Offiziere sagen, dass sie bei Mord, Vergewaltigung, Brandstiftung und anderen schweren Verbrechen einschreiten werden. Auch sollen Ausschreitungen zwischen Anhängern und Gegnern des Regimes von Staatschef Saddam Hussein sowie zwischen anderen rivalisierenden Gruppen unterbunden werden.

"Sobald es Unruhen gibt, gehen wir dazwischen und schicken die Infanterie", erklärt Hauptmann Jim Wherry vom Justizkorps der US-Streitkräfte. "Die Wiederherstellung von ziviler Autorität und Frieden ist die höchste Priorität." Wer wegen Straftaten verhaftet wird, kann nach Wherrys Angaben nach dem Recht der Militärjustiz bestraft oder bis zu einem Zivilverfahren in Haft genommen werden.

Die Juristen bei den US-Streitkräften wollen sich auch nach dem irakischen Strafrecht orientieren - sie führen englische Übersetzungen der Gesetze mit sich. Die Grenzen zwischen Militärjustiz und der irakischen Rechtsordnung sind allerdings nicht klar gezogen.

Mit einer anderen Behandlung müssen Irakis rechnen, die von den USA als Bedrohung der eigenen Kräfte betrachtet werden oder von denen sich die Amerikaner wertvolle Geheimdiensterkenntnisse versprechen. "Wenn wir irgendwelche Terroristen fassen, dann schicken wir sie nach Guantanamo", erklärt Wherry. Dort, auf dem US-Stützpunkt auf Kuba, haben die USA auch nach dem Afghanistan-Krieg alle verhafteten Männer gebracht, die sie als Terroristen betrachten.

Die US-Strategen rechnen damit, dass sie nach Ende des Krieges weiter auf die Mitarbeit von einigen Anhängern des alten Regimes angewiesen sein werden. "Nach dem Zweiten Weltkrieg sind wir in sechs Monaten alle Nazis los geworden", sagt Wherry. "Und dann haben wir herausgefunden, dass wir das Land nicht ohne die Nazis verwalten können."

Das schlechteste Szenario für die Militärjuristen wäre eine Nachkriegszeit, in der das gesamte Polizei- und Justizwesen des Irak zusammengebrochen ist. Dann müssten die USA deren Aufgaben übernehmen. Viel lieber aber würden sie nach dem Modell des Kosovo-Krieges "Seite an Seite" mit örtlichen Behörden zusammenwirken. Vanderlinden, der sechs Monate im Kosovo war, stellt sich gemeinsame Patrouillen und Razzien sowie den Austausch von Ermittlungsergebnissen vor.