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Justitias scharfe Waffen gegen Austro-Dschihadisten

Von Clemens Neuhold

Politik

Nach einem OGH-Urteil kann die Justiz potenziellen Dschihadisten verstärkt zu Leibe rücken.


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Wien. Unter verschärfter Polizeipräsenz fand am Donnerstag in Krems der Prozess gegen einen mutmaßlichen Dschihadisten (30) statt. Der Tschetschene Magomed Z. musste sich am Donnerstag wegen der mutmaßlichen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten.

Laut Anklageschrift hatte der 30-Jährige Tschetschenien im Juli 2013 Richtung Syrien verlassen, um sich dort der islamistischen Terrororganisation IS anzuschließen. Im Dezember kam er nach Österreich und stellte einen Asylantrag. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hatte der Aufenthalt hier ausschließlich den Zweck, seine Sehschwäche medizinisch behandeln zu lassen, um danach wieder nach Syrien zu reisen, wo er bereits zuvor eine Kampfausbildung erhalten haben soll. Festgenommen wurde der Mann im August 2014 in Heidenreichstein im Waldviertel (Bezirk Gmünd).

Der Angeklagte musste zahlreiche, am Handy sichergestellte Nachrichten, Videomaterial und Fotos rechtfertigen. Als Zeugin war auch eine Beamtin des Verfassungsschutzes geladen. Diese hatte den Fall über Monate betreut. Vor Gericht sagte sie: "IS-Flaggen und -Inhalte ziehen sich quer durch alle vom Angeklagten benutzten Plattformen." Nach fast 13 Stunden Verhandlungen wurde der Prozess auf den 11. Februar vertagt. Das Verfahren gilt als wegweisend.

Blinder Schütze?

Anwalt Wolfgang Blaschitz begründet die Unschuld seines Mandaten mit dessen Sehschwäche. Laut eines Sachverständigen sei der Mann ohne Brille funktionell blind, mit Brille liege Einäugigkeit vor. Dem Gutachten zufolge sei daher ein Schuss- und Nahkampftraining ohne Brille unmöglich und mit Brille nur sehr eingeschränkt.

Der Tschetschene sei deshalb von Kindheit an gehänselt und verspottet worden, "das zog sich durch sein ganzes Leben", versuchte der Anwalt zu erklären, dass der 30-Jährige wohl nur "männlich wirken" wollte, als er insbesondere an Frauen Handyfotos mit Waffe schickte.

Facebook als Beweis?

Es ist nicht der erste Prozess gegen mutmaßliche Dschihadisten. 15 sitzen derzeit in U-Haft. Bereits im Sommer 2014 wurde der 21-jährige Osman Kahraman zu 21 Monaten verurteilt. Im Urteil, das der "Wiener Zeitung" vorliegt, heißt es, er habe sich von Juni bis August 2013 in Syrien und anderen Orten an einer terroristischen Vereinigung beteiligt und sich in einem von der Terrororganisation "Al-Nusra" geführten Camp ausbilden lassen. Wofür er ausgebildet wurde, habe das Gericht nicht feststellen können. Schon alleine die Teilnahme sei aber Beweis genug für eine Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung "auf andere Weise", wie es im § 278 b steht - im Sinne einer "psychischen Unterstützung der Gruppenmoral". Als Beweismittel für den Aufenthalt im Camp erkannte das Gericht abgehörte Telefonate, Internet-Chats, Fotos und Videos mit "eindeutig islamistischem Inhalt" und syrische Banknoten an.

Im Unterschied zu Raub oder Morden in Österreich sind Staatsanwälte bei "Foreign Fighters" auf solche "soften" Beweise wie Facebook-Postings angewiesen.

Der Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, hält die Terrorparagrafen trotzdem für ein probates Mittel, um ausreisewilligen Dschihadisten oder Rückkehrern den Prozess zu machen. Zusätzlich zu Telefonaten oder Interneteinträgen gebe es ja auch die Nachweise konkreter Reisebewegungen. Eine jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) hat die Verfolgung sogar noch erleichtert. Es genügt schon die Kontaktaufnahme mit Organisatoren einer Reise in das Kampfgebiet.

"Prahlerei"

Anwälten von bekannten Dschihad-Verdächtigen geht der Terrorparagraf schon ohne diesen OGH-Entscheid zu weit. Der Anwalt Kahramans, Martin Mahrer, spricht gegenüber der "Wiener Zeitung" von einem klaren "Fehlurteil". Der Beweis, dass Kahraman tatsächlich in Syrien war, sei unzureichend belegt. Es reiche nicht aus, wenn ein Angeklagter auf Facebook schreibe, dass er in Syrien sei. "Das ist oft nur Prahlerei." Auch eine syrische Banknote als Beweis will Mahrer nicht akzeptieren: "Das widerspricht jeglicher Rechtsstaatlichkeit." Ihm stößt sauer auf, dass das Rechtsmittelgerich bei einer Anfechtung eines Laienspruchs Tatsachen nicht mehr prüfen könne.

Anwalt Lennart Binder hat 2008 Mohammed M. vertreten. Dieser gilt heute als Mitglied der Führungsriege in der syrischen IS-Hauptstadt Rakka und hat von dort aus jüngst zu Terrorattentaten in Deutschland und Österreich aufgerufen. Er saß vier Jahre in Österreich wegen Bildung und Förderung einer terroristischen Vereinigung. Neben M. verteidigt Anwalt Binder auch den aktuell prominentesten Dschihad-Verdächtigen, den sogenannten "Hass-Prediger" Mirsad Omerovic (alias Ebu Tejma). Dieser soll Geld für den IS gesammelt und zwischen Wien und Bosnien im großen Stil Mitstreiter rekrutiert haben. Ermittler bezeichnen ihn gar als eine "Hauptfigur im internationalen Dschihadismus". Zu Omerovic ist Binder über ein Medienverfahren gekommen, dass dieser selbst gegen die Zeitung "Österreich" anstrengte.

Lennart geht der "Gewissensparagraf", wie er den Terrorparagrafen nennt, zu weit. Insbesondere der Passus "Beteiligung auf andere Weise", wie er auch bei Kahraman angewendet wurde.

Die Benefizveranstaltung für Syrien, die als Beweis für Omerovics Terrorismusfinanzierung herangezogen wird, sei aus seiner Sicht "harmlos" gewesen. Der Vorwurf der Rekrutierung sei vom Haftrichter bereits fallen gelassen worden. Omerovic ist laut Binder bereit, Rückkehrer aus Syrien zu betreuen und sie vom Dschihad abzubringen. Binder ist überzeugt, dass es aber schon alleine wegen der Stimmungslage undenkbar sei, Omerovic aus der Haft zu entlassen. Ist Justitia nicht unabhängig von Stimmungen? "Sicher nicht", sagt Binder. In Österreich habe es noch kein islamistisches Attentat gegeben, will er Hysterien relativieren.

Gefängnis "katastrophal"

Selbst zu Mohammed M. meint Binder: "Aus heutiger Sicht schaut er sehr gefährlich aus. Doch gerade das Gefängnis ist für ihn katastrophal gewesen, weil er dort lernte, den Staat abzulehnen, und von Mithäftlingen die Bewunderung bekam, die ihm zur Führungsfigur machte." Bei den Entwürfen für Anschläge, die am Computer gefunden wurden, sei nie bewiesen worden, ob er sie tatsächlich in Umlauf gebracht hätte oder ob es bloß "Fingerübungen" gewesen seien.

Anwälte potenzieller Dschihadisten weisen auch darauf hin, dass der Terrorparagraf oft für einen Zeitraum angewendet wird, zu dem die besagten Organisationen noch gar nicht auf der Terrorliste der UNO oder EU standen.

Sektionschef Pilnacek lässt den Einwand nicht gelten: "Wenn auch ohne Listung kein Zweifel besteht, dass es sich um eine Terrororganisation handelt, ist eine solche nicht nötig."