Medwedew bricht Wahlversprechen. | Bisher wählten Verfassungshüter Vorsitzenden selbst. | Moskau. Die Stärkung von Institutionen, insbesondere eine größere Unabhängigkeit der Gerichte, ist eines der zentralen Versprechen, mit denen Dmitri Medwedew vor einem Jahr zur Präsidentschaftswahl angetreten war. Nun brachte der russische Staatschef jedoch ein Gesetzesprojekt ins Parlament ein, das genau das Gegenteil bewirken wird: Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts soll demnach nicht mehr vom Richterkollegium selbst gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt werden.
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Der Schritt überrascht insofern, als Medwedew in den vergangenen Monaten verstärkt an seinem Image eines liberalen Reformers gefeilt hat. Nun aber greift der Jurist zu Methoden, die stark an die seines Vorgängers und jetzigen Premiers Wladimir Putin erinnern, der die Macht zunehmend in der Hand des Kremls konzentrierte. So hatte der ehemalige KGB-Oberst Putin nicht nur die Volkswahl der Gouverneure abgeschafft, sondern auch die autonome Führungsauswahl von Vereinigungen wie der Akademie der Wissenschaften beschnitten.
Im Fall des Verfassungsgerichts werden die 19 Mitglieder bisher vom Präsidenten vorgeschlagen und anschließend vom Föderationsrat - der Länderkammer - für unbestimmte Zeit mit einer Altersobergrenze von 70 Jahren ernannt. Der Vorsitzende wird von den Richtern selbst in geheimer Abstimmung auf jeweils drei Jahre gewählt. Doch dies will Medwedew mit dem neuen Gesetz nun ändern. Der Kreml soll mit dem Segen des Föderationsrates künftig auch den Vorsitzenden des Verfassungsgerichts und seine zwei Stellvertreter bestimmen.
Es bestehen kaum Zweifel, dass diese Reform vom kremltreuen Parlament gutgeheißen wird. Die Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes und des Höchsten Berufungsgerichts werden bereits auf diese Weise bestimmt. Die Vertreter der Putin-Partei "Einiges Russland" begründen das Vorhaben deshalb auch mit einer "Vereinheitlichung des Rechts".
"Verkehrte Richtung"
Diese Argumentation stößt bei Kritikern jedoch auf Unverständnis: "Es hätte genau in die andere Richtung gehen müssen", betont die ehemalige Verfassungsrichterin Tamara Morschakowa. Der Gerichtsvorsitzende werde dadurch automatisch zum "Signalregenerator" der politischen Führung, erklärte Morschakowa der Zeitung "Wedomosti". Der Präsident weiche damit von seinen deklarierten Prinzipien ab, konstatiert der liberale Ökonom Jewgeni Gontmacher.
Dass Medwedew gegen seine Versprechen handelt, verwundert. Denn das Verfassungsgericht hat sich auch bisher loyal zum Kreml verhalten. Der Föderationsrat, der gemeinsam mit dem Präsidenten die Richter bestellt, wurde von Putin gleich nach Amtsantritt zu einer handzahmen Institution umfunktioniert. Doch wenn die Richter wollten, könnten sie dem politischen Regime jederzeit große Probleme bereiten. Allein die Abschaffung der Gouverneurswahlen 2004 ist verfassungsrechtlich höchst fraglich und kaum mit den Prinzipien einer Föderation vereinbar.
Auch die Rechtmäßigkeit von Urnengängen könnte das Gericht überprüfen. Die nächsten Parlaments- und Präsidentenwahlen finden 2012 statt. Dann läuft auch die Amtszeit des derzeitigen Verfassungsgerichtsvorsitzenden Waleri Sorkin aus. Auch wenn noch nicht klar ist, wer in drei Jahren für das Präsidentenamt kandidieren wird, Medwedew und sein Mentor Putin wollen offenbar nichts dem Zufall überlassen - Prinzipien hin oder her.