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Kabinett noch ohne dicke Risse

Von Daniel Jahn

Politik

Washington - Ein "fantastisches Jahr" sei es für ihn und seine Frau Laura gewesen, sagte George W. Bush neulich im Rückblick auf 2001. Solche Worte mögen angesichts der Anschläge des 11. September, von Milzbrand und Rezession deplatziert klingen. Doch sie spiegeln die Selbstzufriedenheit wider, mit der der US-Präsident Zwischenbilanz zieht. Am Sonntag laufen seine ersten zwölf Monate im Amt ab.


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Bushs Popularitätswerte, nach dem 11. September in die Höhe geschnellt, sind nach wie vor glänzend und bestärken ihn offenbar in dem Glauben, alles richtig gemacht zu haben. Nicht zuletzt hat es Bush geschafft, sein Kabinett trotz mancher interner Spannungen zusammen zu halten. Geholfen hat dabei der Krieg gegen den Terrorismus, der eine disziplinierende Wirkung entfaltete und die Machtverhältnisse im Regierungsteam vorerst klärte.

"Das Gift ist weg", beschrieb ein hochrangiges Regierungsmitglied gegenüber der "New York Times" die Stimmung unter den Bush-Beratern. "Sie haben es gelernt, ihre Differenzen besser auszutragen." Das Gift mag allerdings rasch wieder da sein, wenn die Kampagne in Afghanistan weiter nachlässt, die Debatte um neue Militäraktionen wieder zunimmt und weniger populäre Themen wie Wirtschaftsflaute und Haushaltsprobleme stärker in den Vordergrund rücken.

Wenn für Ordnung im Kabinett zu sorgen ist, bekommt Bush Hilfe von Dick Cheney, dessen Autorität unangefochten scheint. Zwar ist der Vizepräsident seit den Terroranschlägen aus Sicherheitsgründen an einem geheimen Ort untergebracht und tritt nur selten öffentlich auf. Doch im Hintergrund ist er überaus aktiv.

An Einfluss seit dem 11. September gewonnen hat auch Colin Powell. Noch im Sommer erschien der Außenminister marginalisiert. Bushs einseitiger Ausstieg aus dem Klimaprotokoll von Kyoto und die Absage an den ABM-Vertrag waren Niederlagen für Powell, der trotz seiner militärischen Vergangenheit als Generalstabschef ein Freund der Diplomatie und der multilateralen Vereinbarungen ist. Nach den Anschlägen erlebte er ein Comeback. Seine Linie, die militärische Antwort vorerst auf Afghanistan zu beschränken, setzte sich durch. Auch bei Bushs Entschluss, vor dem Militäreinsatz eine internationale Koalition unter Einschluss Pakistans zu schmieden, spielte Powell offenbar eine wesentliche Rolle.

Viele "Falken" im Pentagon hätten gerne schnell zugeschlagen und sich am liebsten gleich auch Saddam Hussein vorgeknöpft. Ob auch Donald Rumsfeld dazu gehörte, ist nicht ganz klar. Mit öffentlichen Äußerungen zum Irak und möglichen anderen Angriffszielen hält er sich bis heute zurück. Diese Zurückhaltung sowie der erfolgreiche Verlauf der Afghanistan-Kampagne haben seine Position im Kabinett stabilisiert. Noch im Sommer galt er wegen seiner Probleme mit der Armeereform als Wackelkandidat. Inzwischen ist er mit seinen regelmäßigen Pressekonferenzen zu einem der wichtigsten Sprecher der Regierung geworden. Im Kabinett ist eine Art Balance zwischen Powell als Mann der Diplomatie und Rumsfeld als Mann für militärische Angelegenheiten entstanden.

Das Kabinettsmitglied mit dem kürzesten Draht zu Bush ist Condoleezza Rice. Die Nationale Sicherheitsberaterin verbringt oft als einziges Regierungsmitglied die Wochenenden mit dem Chef in Camp David und ihr Büro im Weißen Haus liegt nur wenige Schritte von dem des Präsidenten entfernt.

Doch komplett stabil ist das Kabinett Bush nach einem Jahr nicht. Paul O'Neill wird von vielen Beobachtern als Schwachposten gesehen. Der Finanzminister gilt als wenig teamfähig und macht vor allem durch verbale Ausrutscher auf sich aufmerksam. Jüngstes Beispiel ist sein Kommentar zur Enron-Firmenpleite - der größten der US-Geschichte: "Unternehmen kommen und gehen. (...) Das gehört zur Eigenart des Kapitalismus."