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"Kaczynski hätte das nicht gewonnen"

Von Gerhard Lechner

Politik

Der polnische Publizist Adam Krzeminski über die Gründe, warum die Polen so oft ihre Regierungen abwählen.


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Polens designierte neue Ministerpräsidentin Beata Szydlo hat am Montag die Namen ihrer nationalkonservativen Regierungsmannschaft bekanntgegeben. Außenminister wird der Diplomat Witold Waszczykowski, Innenminister der bisherige Fraktionschef der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Mariusz Blaszczak.

Einer der bekanntesten, aber auch umstrittensten Minister der künftigen Regierung ist Antoni Macierewicz, der das Verteidigungsministerium übernehmen soll. Er hatte in den vergangenen Jahren mit seinen Untersuchungen zum Absturz der polnischen Präsidentenmaschine über dem russischen Smolensk Spekulationen über einen Anschlag als Ursache der Katastrophe im April 2010 geschürt.

Nach dem Wahlsieg am 25. Oktober hat die PiS die absolute Mehrheit im Parlament und kann als erste Partei seit 1989 in Polen alleine regieren. Am Donnerstag tritt das neu gewählte Parlament zur konstituierenden Sitzung zusammen. Die "Wiener Zeitung" hat mit dem polnischen Publizisten Adam Krzeminski die politische Situation in Polen analysiert.

"Wiener Zeitung": Herr Krzeminski, während andere Staaten seit 2008 mehr oder weniger in der Krise sind, gilt Polen als Erfolgsmodell. Dennoch kam es bei den Parlamentswahlen zu einem Erdrutschsieg der oppositionellen, national-konservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Wie erklären Sie sich das Wahlergebnis?

Adam Krzeminski: Die ehemalige Regierungspartei - die liberal-konservative Bürgerplattform (PO) - hat das Land tatsächlich acht Jahre lang recht erfolgreich geführt. Die Wirtschaftsdaten sind positiv, die Arbeitslosigkeit ist zuletzt sogar unter zehn Prozent gesunken. Allerdings gibt es auch eine merkliche soziale Ungleichheit im Land, und auf die hat sich die PiS konzentriert.

Hat sich diese Ungleichheit in den letzten Jahren verstärkt?

In gewissem Sinne ja. Das Land kann Erfolge aufweisen. Von diesen Erfolgen profitieren aber nicht alle. In den 1990er Jahren hat man davon gesprochen, dass Polen eine Drittel-Gesellschaft hätte: ein Drittel als Nutznießer der Transformation, ein Drittel als Verlierer und ein Drittel - das entscheidende Drittel bei Wahlen - als die zukünftigen Nutznießer. Und dieses letzte Drittel, das eine optimistische Zukunftsvision braucht, hat sich nun von der PO abgewandt. Heute sind vor allem die Jungen, die Berufseinsteiger enttäuscht. Sie haben zusammen mit den Rentnern die Wahl entschieden. Die Generation der 30- bis 40-Jährigen hat den sozialen Aufstieg geschafft, für die Neueinsteiger ist jetzt alles schwieriger. Es gibt aber noch einen Punkt.

Welchen?

Wir haben heute überall in Europa eine Art Mediendemokratie. Politik wird mehr und mehr zu einer Art Show, in der sich die regierenden Politiker schnell abnutzen. Vor allem die jungen Leute verlangen nach neuen Gesichtern. Und die PiS hat diesmal mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Andzej Duda und Spitzenkandidatin Beata Szydlo junge Leute aufgestellt, neue Gesichter. Die PO hingegen, die mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und Ex-Außenminister Radoslaw Sikorski ihre beiden Zugpferde eingebüßt hat, konnte das nicht.

Angenommen, PiS-Mastermind Jaroslaw Kaczynski wäre selbst angetreten. Hätte das Ergebnis anders ausgesehen?

Ich denke ja. Kaczynski hätte das nicht gewonnen. Er hielt sich im Wahlkampf sehr zurück. Es war eine neue PiS, die die Wahl gewann, der Sieger heißt aber natürlich Jaroslaw Kaczynski.

Sie haben von Abnutzung gesprochen. In anderen Ländern, etwa in Deutschland oder Österreich, geht die offensichtlich langsamer vonstatten. Helmut Kohl beispielsweise blieb 16 Jahre an der Macht in Deutschland. In Polen wurde lange Zeit jede Regierung vom Wähler abgewählt. Ist das also nicht eine spezifisch polnische Eigenheit?

Die Situation in Polen ist tatsächlich eine andere. In Deutschland und Österreich gibt es ein autoritäres Demokratieverständnis. Man stützt de facto die Regierenden, die Staatsparteien. In Polen wird der Staat eher misstrauisch beäugt - aus verständlichen Gründen: Während der Teilungen lebten die Leute in einem fremden, aufgezwungenen Staat, später kam der ebenso aufgezwungene kommunistische Staat. Viele Polen neigen dazu, auch einer erfolgreichen Regierung zu misstrauen. Selbst gute Regierungen wurden abgewählt. In Bayern wird die CSU seit 60 Jahren an der Macht gehalten, in Polen hat die PO schon ein Wunder vollbracht, indem sie sich ganze acht Jahre an der Macht gehalten hat. Ich glaube nicht, dass sich in dieser Haltung ein anarchistischer Hang zum Chaos verbirgt. Es ist Vertrauen in die Demokratie, die Überzeugung, dass es eine Alternative zu den Regierenden gibt.

Jaroslaw Kaczynski hatte einst - auf den Wahlsieg von Ungarns Premier Viktor Orbans anspielend - die Parole ausgegeben: "Heute Budapest, morgen Warschau"...

Ja, das war aber im Jahr 2010. Heute taugt Orban für ihn wohl nicht mehr als Vorbild, zumal Ungarns Premier in Sachen Ukraine und Russland völlig anders denkt als Kaczynski. Aber die Fantasie einer ostmitteleuropäischen Allianz taucht in Polen immer wieder auf - so unrealistisch sie auch ist. Das war eine alte Vorstellung aus der Zwischenkriegszeit, die man "Intermarium" nannte. Demnach sollten die Staaten Mittelosteuropas eine Allianz zwischen Ostsee und Schwarzem Meer bilden, um deutschem und russischem Druck standzuhalten.

Hat dieses Konzept viele Anhänger innerhalb der PiS?

Die PiS hat natürlich eine Vorliebe für diese alten Konzepte. Sie sind bloß nicht praxistauglich. Hinter "Intermarium" verbirgt sich keine Substanz. Ich verstehe schon, dass die Zusammenarbeit der Visegrad-Staaten, die theoretisch so ein "Europa B" bilden könnten, als Dialogplattform wichtig ist. Aber wie soll eine vertiefte Visegrad-Allianz bei den Themen Russland und Ukraine oder beim Thema europäische Energiepolitik funktionieren? Letztlich muss sich Polen doch die entscheidende Frage stellen: Wollen wir ein Teil des Kerns Europas sein oder nicht?

Was bedeutet der Machtwechsel in Polen für das deutsch-polnische Verhältnis? Die erste Regierungszeit der PiS 2005 bis 2007 war ja von Differenzen bestimmt.

Die PiS hält sich, was Außenpolitik betrifft, sehr bedeckt. Man kann darüber nur mutmaßen. Es ist aber auffällig, dass Kaczynski diesmal im Wahlkampf weitgehend darauf verzichtet hat, die deutsche Karte zu ziehen. Das wäre ein Anzeichen dafür, dass die Partei außenpolitisch diesmal moderater auftritt. Sie wird wohl - anders als Orban - versuchen, sich nicht zum Buhmann der EU machen zu lassen. Das Eigengewicht und der Stellenwert des 38-Millionen-Einwohner-Landes Polen ist einfach größer als der Ungarns. Polen ist ein Land, das weiß, das es im Zentrum Europas eine Rolle spielen muss. Dennoch ist bedenklich, dass die PiS sich in den letzten Jahren ganz auf Innenpolitik konzentriert hat. Im Europaparlament sitzt die Partei mit der britischen Ukip und der deutschen AfD in einer Fraktion. Mir ist auch nicht bekannt, dass sich die PiS irgendein Kontaktnetz in Europa aufgebaut hätte.