Kanzler Kern ist mit Bürgermeister Häupl auf medienwirksamer Wien-Tour, sieht darin aber keinen Wahlkampf.
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Wien. "Für einen richtigen Wahlkampf werden Sie sich noch 18 Monate gedulden müssen." Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) gibt am Dienstag im Lauf seiner Wien-Tour gegenüber Journalisten die immer selbe Antwort. Trotzdem stellt sich die Frage, weshalb der Kanzler mit vorheriger Ankündigung verschiedene Wiener Projekte und Betriebe besucht, angefangen mit der Mädchenberatungsstelle "Sprungbrett" in der Johnstraße im 15. Bezirk.
Er wolle sich selbst ein Bild vor Ort machen und die Nähe zu den Menschen suchen, meint Kern. Trotz reiner "Besuche" ist der journalistische Andrang enorm. Ähnlich einer "Entourage", wie es Sprungbrett-Geschäftsführerin Susanne Gugrel scherzhaft bezeichnet, folgen Journalisten, Fotografen und Kameraleute dem Kanzler überall hin. Da wird auch das Streicheln zweier Hunde, die vor dem Eingang der Beratungsstelle Auslauf haben, zum "tierischen" Fototermin.
Die Beratungsstelle für Mädchen und junge Frauen existiert seit knapp 30 Jahren. Kern lässt sich gemeinsam mit Wiens Finanzstadträtin Renate Brauner und Frauenministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) die Arbeit von "Sprungbrett" erklären. Dort wird Mädchen aus schwierigen Verhältnissen bei der Aus- und Weiterbildung geholfen oder sich um jene gekümmert, die schon länger weder Ausbildung noch Beruf haben. Bevor es weitergeht, wohnt der Kanzler noch einer Beratungsrunde bei und plaudert mit einigen der Mädchen über ihre Berufs- und Zukunftspläne.
"Bei Prinz Charleswar’s ruhiger"
Danach Zwischenstopp am Naschmarkt beim Delikatessenstand Urbanek. Zu Kanzler und Finanzstadträtin gesellt sich nun auch Wiens Bürgermeister Michael Häupl. Der Tross versperrt beinahe den gesamten Marktdurchgang. Vor der kleinen Bude staut es sich. Wer Kanzler und Bürgermeister bei der Wurstverkostung auf Bild oder Film haben will, muss sich hinten anstellen. "Bei Prinz Charles war’s ruhiger", sagt ein Kameramann scherzend. Es sei trotzdem kein Wahlkampfauftritt, beharren die Politiker.
Der nächste Termin liegt nur unweit entfernt, sodass sich die Meute zu Fuß dorthin bewegt. Kurze Zwischenstopps inklusive, immer wieder plaudert der Kanzler mit Marktbesuchern, schüttelt Hände oder stellt sich für gemeinsame Fotos zur Verfügung. Als wär’ in wenigen Monaten Wahl, oder? "Ich lese seit meinem Amtsantritt dauernd, dass Wahlkampf sei", meint Kern und schmettert damit Journalistenfragen über die vermutete Natur der Tour ab.
Bürgermeister Häupl schlägt die gleichen Töne an. Während die beiden nebeneinander über den Naschmarkt gehen, wird jeder ihrer Schritte akribisch verfolgt. Gemeinsamer Auftritt als offene Solidarisierungsgeste zwischen den beiden ranghohen Sozialdemokraten? Häupl-Vertraute Renate Brauner winkt ab: Es sei nur logisch, dass der Bürgermeister bei einer Wien-Tour des Kanzlers dabei ist. Ziel des Wien-Ausflugs sei es vorrangig, Projekten zur Arbeitslosenbekämpfung, der Stärkung des sozialen Zusammenlebens sowie der Förderung von Klein- und Mittelbetrieben Aufmerksamkeit zu geben. "Darum geht es abseits des ganzen Halli-Gallis hier ja wirklich", erklärt Brauner mit einem Lächeln.
Kanzler trifft auf"Opa vom Dienst"
Wie der Zwischenstopp bei Urbanek ins Bild passt? "Der Naschmarkt ist einfach eine typische Wiener Szene", meint Brauner. Also ganz ohne ein bisschen Unterhaltung geht es dann wohl doch nicht.
Da liegt der Besuch im Generationencafé Vollpension in der Schleifmühlgasse schon mehr auf der angestrebten Linie. Das Projekt soll "Alt und Jung" wieder mehr zusammenführen und den Gästen eine Atmosphäre wie bei den Großeltern bieten. Das Lokal bietet Pensionisten wie Karl Theny eine Beschäftigung und einen geringen Zuverdienst. "Ich arbeite hier als Host, erkläre den Gästen, wie alles hier abläuft und plaudere auch mit ihnen, wenn Zeit ist", erklärt er. "Mir macht das großen Spaß und es sind auch viele internationale Gäste da." Als er sich dem Bundeskanzler als "Opa vom Dienst" vorgestellt habe, sagt er, habe dieser gelacht. "Ich hätt ihm noch sagen sollen, dass ihm das auch mal passieren kann", meint Theny scherzhaft.
Bevor die Besuchstour in den Endspurt geht, gibt es eine kleine Verschnaufpause. Quasi Kaffee und Kuchen mit Kern. Ein Politiker, der sich im Laufe des Tages als jemand präsentiert hat, der den Kontakt zu den Bürgern nicht scheut, der für Smalltalk und Selfies zu haben ist. Stellt die Wien-Tour auch eine Art Image-Kampagne dar? "Sie glauben nicht, wie viel in der Politik auch ohne Hintergrundkalkül gehen kann", antwortet Kern mit einem Schmunzeln. Er zeigt sich über die große mediale Präsenz bei der Tour überrascht. Immerhin wurde die ganze Zeit über betont, dass nicht Wahlkampf sei, oder? Fast scheint es, dass es Kern nicht nur um Symbolwirkung und Publicity geht, sondern auch wirkliches Interesse hinter den Besuchen steht. Auch sein Management-Hintergrund und die Zahlenaffinität des Ex-ÖBB-Chefs treten zum Vorschein, wenn er etwa mit Vollpension-Geschäftsführerin Hannah Lux über Förderungen und Expansionspläne spricht.
Immer für Smalltalkund Selfies zu haben
Oder, wenn er mit Johannes Benedikt, dem Technischen Direktor des Jungunternehmens Lithoz in der Mollardgasse, über Investoren und Marktanteile plaudert. Das Unternehmen hat sich auf die Fertigung von Materialien mittels 3D-Druck spezialisiert. Ihr jüngstes Produkt: ein ausgedrucktes Stück Knochen. Kern zeigt sich sehr beeindruckt. Der Nicht-Wahlkampftermin geht schließlich bei einem Gulasch zu Ende.