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Kafkas Albtraum

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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"Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden." So heißt es wortwörtlich im Artikel 18 Absatz 1 des Bundesverfassungsgesetzes. Das war einst und ist bis heute eine fantastische Waffe gegen behördliche Willkür jeder Art im Dienste der Bürger. Die Sache droht allerdings da und dort außer Kontrolle zu geraten.

Dass Gemeinden nach wie vor amtliche Wahlinformationen für die abgesagte Stichwahlwiederholung am 2. Oktober ausschicken, ist mit dem Hausverstand nicht nachzuvollziehen. Die Behörden tun dies, weil es noch kein Gesetz für den neuen Wahltermin am 4. Dezember gibt und das alte für den 2. Oktober in Kraft ist. Sehr wohl gibt es aber den erklärten Willen sämtlicher politischer Parteien, die Wahl am 4. Dezember abzuhalten. Der Verwaltung ist das einerlei, denn - wie gesagt - Gesetz ist Gesetz.

Die Detailverliebtheit des österreichischen Gesetzgebers dient nicht mehr nur dem Schutz des Bürgers vor behördlicher Willkür, sondern längst auch dem Schutz der Behörden vor den rechtlichen Unwägbarkeiten eigenverantwortlichen Handelns.

Das zeigt ganz hervorragend die Geschichte mit dem Einwerfen des Wahlkuverts in die Wahlurne: Per Gesetz ist genau geregelt, dass dies (allerdings nur bei Nationalrats-, Bundespräsidenten- und Europawahlen) durch den Wahlleiter zu erfolgen hat. Also dezidiert nicht durch den Wähler, dessen Kinder oder Enkel. (Die dürfen - per Gesetz verboten - nicht einmal mit in die Wahlzelle.) Warum nicht einfach offen lassen, wer das Wahlkuvert in die Wahlurne zu werfen hat? Geht gar nicht, denn dann könnte ja womöglich die Verantwortung dafür bis ganz ans Ende der behördlichen Verantwortungskette hochgereicht werden. Und das wäre der Minister.

Das ist der Stoff, aus dem die Albträume Franz Kafkas sind.

Keineswegs immer, aber leider immer öfter hat in der österreichischen Verwaltungsrealität die im Vorhinein fixierte Kennzeichnung potenzieller Schuldiger bei Fehlern Vorrang vor der pragmatischen Lösung alltäglicher Herausforderungen. Dieses System hat zweifellos seine Meriten und Vorteile, es hinkt nur hoffnungslos dem Fehlerteufel hinterher: Es ist unmöglich, jede potenzielle Fehlerquelle vorab per Gesetz zu regeln. Wenigstens diesen Beweis hat uns der defekte Wahlkuvertkleber erbracht.