Zum Hauptinhalt springen

Kaiserin Sisi - Facetten einer Kultfigur

Von Georg Biron

Reflexionen
Sisi forever! Die schillernde Herrscherin Kakaniens erlebt zurzeit eine Renaissance - doch worin liegt ihre Faszination?
© WZ-Illustration

Der Mythos Elisabeth lebt. Ins Rampenlicht von TV, Literatur, Film und Theater tritt eine emanzipierte Frau.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Im vergangenen Sommer wurden hinter dem Westbahnhof ein paar haarsträubende Szenen gedreht. Der Titel des Underground-Movies ist Programm: "Murderkino". Darin erwacht die Kaiserin von Österreich zum Leben und treibt ihr Unwesen als nimmersatte Vampirin, die sich durch Wien saugt. Der Film soll 2023 fertig sein.

Elisabeths Leben (1837-1898) fasziniert bis heute und verspricht finanzielle Gewinne. Unvergessen sind die Filme von Ernst Marischka aus den 1950er Jahren mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm, die bisher von mehr als 500 Millionen Menschen in aller Welt gesehen wurden. "Keine andere Filmproduktion hat das Bild der Kaiserin so nachhaltig geprägt und zur Mythenbildung beigetragen", sagt Klaus Panholzer, Geschäftsführer der Schönbrunn Group, die Österreichs imperiale Vergangenheit vor allem im Schloss Schönbrunn präsentiert.

Kokain & Krimi

Da darf Sisi naturgemäß nicht fehlen: "Unsere Kaiserin-Elisabeth-Sammlung umfasst rund 1.500 Objekte und bildet die Basis für das Sisi Museum in den Kaiser-Appartements der Wiener Hofburg." Besonderes Ausstellungsstück ist ein k.u.k. Fixer-Besteck, das Sisi ab und zu für ihre Kokain-Shots benützte.

Der Mythos Sissi (oder besser gesagt: Sisi, wie es historisch richtig heißt) wird derzeit im In- und Ausland verstärkt in die Mangel genommen, und obwohl weit und breit kein rundes Jubiläum in Sicht ist, häufen sich viele Projekte, die behaupten, einen frischen Blick auf die Kaiserin von Österreich zu werfen.

Mit von der Partie ist auch der Bestseller-Autor Thomas "Tom Turbo" Brezina, der in seinem Kriminalroman "Sisis schöne Leichen" (Untertitel: "Krimijahre einer Kaiserin") dafür sorgt, dass Sisi einen Mordfall klärt: "Sie hat mehrere Sprachen gesprochen, war gebildet und eindeutig intelligent. Es gibt Aussagen, sie hätte ihr Potential kaum genutzt. In meinem Roman tut sie es."

Anna Nahowski im Alter von etwa 22 Jahren.
© Public domain / via Wikimedia Commons

Weniger abenteuerlich ist das Sachbuch "Sisis Weg" von Martina Winkelhofer. Darin wird das alltägliche Leben der Kaiserin seziert: "Die vier Erzieherinnen, mit denen sie aufwuchs, hatten eines gemeinsam: Sie waren junge Frauen ohne Lebenserfahrung. Über ihre künftigen Aufgaben als Ehefrau oder Mutter konnten diese Gouvernanten Elisabeth nichts erzählen."

Ab 26. November widmet sich das Ensemble des Volkstheaters mit der Produktion "Ach, Sisi" dem Habsburger Fräuleinwunder in 99 Szenen: "Sisi ist ein Parfum, ein Kartenspiel, eine Praline, ein Fächer, ein Kühlschrankmagnet, eine Aufziehpuppe und eine Adelige - und der Adel gehört aufgehängt." Verantwortlich für diese Theater-Collage ist der deutsche Autor und Theatermann Rainald Grebe, der vor ein paar Jahren berühmt wurde, als er bei Gericht eine (letztlich vergebliche) Klage gegen Toiletten-Gebühren auf Autobahnraststätten einbrachte.

Netflix präsentiert demnächst die sechsteilige Serie "The Empress", die das Leben der jungen Elisabeth zeigt, die "ihren Platz zwischen Tradition und Selbstbestimmung finden muss", wie die Drehbuchautorin Katharina Eyssen erklärt: "Sisi ist eine großartige Frauenfigur - der Zeit voraus, ungewöhnlich, genderfluid und bisexuell."

Tödlicher Anschlag

Bereits jetzt findet man auf Netflix die Dokumentation "Sisi und der Anarchist", die das tödliche Attentat am Genfer See zum Thema hat. Am 10. September 1898 wollte die Kaiserin mit dem Schiff von Genf nach Caux an der französischen Grenze fahren. Auf dem Weg zur Anlegestelle stieß ihr der italienische Anarchist Luigi Lucheni eine Feile ins Herz. So als hätte sie ihr Ende längst vorhergesehen, hatte Sisi gedichtet: "Schweizer, Ihr Gebirg ist herrlich! / Ihre Uhren gehen gut. / Doch für uns ist höchst gefährlich / Ihre Königsmörderbrut."

"Elisabeth war in Wien nicht beliebt und ließ sich kaum hier sehen, deshalb war die Trauer nicht groß", erklärte die Historikerin Brigitte Hamann, die mit ihrer Biographie "Elisabeth - Kaiserin wider Willen" das romantische Image gründlich korrigiert hat. "Es waren Schriftsteller, die den Mythos begründeten. Sisis liberale Gesinnung wurde nun berühmt, ihre Liebe zu den Gedichten von Heinrich Heine und all die süßen Sisi-Geschichten füllten die Zeitungen. Massenhaft kamen Sisi-Fotos auf den Markt."

Allerdings gab es nur Bildmaterial, das die junge Kaiserin zeigte, denn schon früh hatte sie beschlossen: "Wenn die Zeit mich berührt, werde ich mich verschleiern, und die Leute werden von mir sprechen als von der Frau, die ich einst war." Tatsache ist, dass heute nur die wenigsten Leute von der Frau sprechen, die sie war. Alle scheinen ihre eigene Sisi gefunden zu haben. Und oft jenseits historischer Fakten.

50 Shades of Sisi

Auch das deutsche Fernsehen will nun mit dem Mädl aus Bayern Quote machen. RTL hebt noch heuer die neue TV-Serie "Sisi" ins Programm, die gleich am Anfang die 15-jährige Elisabeth beim Masturbieren zeigt. Ihrer Schwester Nele erzählt sie, dass sie sich beim Selfmade heißen Sex mit dem Kaiser von Österreich vorstellt. Später holt sich Sisi im Puff bei der Lieblingshur’ von Franz Joseph (1830-1916) erotische Tipps, damit sie weiß, wie es der künftige Gemahl gerne besorgt kriegt. Die Serie wurde bereits jetzt nach Italien, Frankreich, Brasilien, Griechenland, in die Niederlande und viele osteuropäische Länder verkauft. Eine zweite Staffel ist fixiert.

2022 wird der Film "Corsage" der österreichischen Regisseurin Marie Kreutzer in die Kinos kommen, der die Kaiserin als Role Model zeigt, die für ihre Schönheit berühmt ist, doch das Altern nicht verkraftet. Sie befürchtet, dass ihre Zeit abläuft, weil sie mit vierzig kein Schönheitssymbol mehr sein kann.

Ebenfalls 2022 kommt "Sisi und ich" in die Kinos. Das Biopic von Frauke Finsterwalder nähert sich der legendären Figur aus der Sicht von Gräfin Irma, die sich, als Hofdame, unsterblich in die Kaiserin verliebt hat.

Elisabeth als junge Mutter mit ihren Kindern Gisela und Rudolf. Lithographie von Josef Kriehuber.
© Public domain / via Wikimedia Commons

Im Sog all dieser neuen Produkte begegnen wir im nächsten Sommer auch wieder dem Musical "Elisabeth" aus dem Jahr 1992, das in Österreich seine Uraufführung hatte und danach in vielen Ländern Europas sowie in Japan, Südkorea und China Triumphe feierte. Mit mehr als elf Millionen Zuschauern ist es das erfolgreichste deutschsprachige Musical aller Zeiten. Nach 30 Jahren wird es drei konzertante Open-Air-Aufführungen von "Elisabeth" in Schönbrunn geben.

Mich interessiert die Geschichte der Kaiserin vor allem auch deshalb, weil ich vor vielen Jahren mit dem "Krone"-Herausgeber Hans Dichand über Sisi gesprochen habe. Er war fasziniert von ihrer Biographie und sammelte Memorabilien. Dichand plante ein internationales Filmprojekt und ließ eigens eine Sisi-Perücke anfertigen, die bei diversen Castings mit spärlich bekleideten Schauspielerinnen und Models in einer Wohnung über einem Nobelitaliener in der Innenstadt zum Einsatz kam ...

Jedenfalls konnte sich Dichand vorstellen, dass ich für seinen Sisi-Film das Drehbuch schrieb. Also recherchierte ich, dass Sisi tätowiert war und dass ihr Frühstück aus Eiern, Gebäck, kaltem Fleisch und Kaffee bestand. Danach wurde ihre Haarpracht von der Friseurin des Burgtheaters, Franziska Angerer, mit einer Mixtur aus Cognac und Ei gepflegt. Dieses Zeitfenster nützte die hysterisch-narzisstische Adelige, um mit dem Philosophiestudenten Konstantinos Christomanos Griechisch zu lernen.

So weit, so gut. Allerdings wollte ich dieses Drehbuch, wie es damals in Hollywood üblich war, nur gegen ein Fixum und eine Beteiligung am Verkauf des Films schreiben - was Dichand ganz und gar nicht gefiel, sodass meine Beteiligung am Projekt ein schnelles Ende fand.

Sein Ansatz war aber durchaus spannend: "Ich sehe sie als unglückliche Frau und Pazifistin in einer kriegerischen Familie. Instinktiv spürte die Kaiserin, dass es mit der Monarchie zu Ende ging. Immer wieder floh sie aus dem erstarrten Wiener Hof in ihre Traumwelt."

"A royal bitch"

© Piper

Schließlich hat Dichand den US-Bestsellerautor Norman Mailer damit beauftragt, der das Skript sicher nicht zum Diskontpreis lieferte und darüber hinaus als Dankeschön ein Österreichisches Ehrenkreuz 1. Klasse vom damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bekam: "Nach der Verzuckerung war es höchste Zeit, dass sich jemand mit einer Pranke wie Mailer dieser Ikone annimmt." Dennoch wurde der Film bis heute nicht realisiert.

Norman Mailer verriet mir bei einem Ausflug zur Sisi-Kapelle in Sievering hinter vorgehaltener Hand, dass er in Elisabeth "a real royal bitch" (eine königliche Schlampe) sah, die ihr "Luxusleben auf Kosten von anderen führte und nie daran dachte, etwas zu arbeiten oder ihren Job als Kaiserin zu machen. Sie war weder ihrem Mann noch ihren Kindern eine Hilfe, und ihre merkwürdige Liebe zu den Nationalisten von Ungarn hatte für Franz Joseph große politische Auswirkungen. Eigentlich war sie eine totale Egoistin."

Daran ändern auch ihre aufrührerischen Verse gegen die eigene Sippschaft nichts: "Ihr lieben Völker im weiten Reich / so ganz im Geheimen bewund’re ich euch: / Da nährt ihr mit eurem Schweiße und Blut / gutmütig diese verkommene Brut." Dabei blendet sie aber aus, dass sie selbst part of the game ist. Ihr egozentrischer Lifestyle verschlingt viele Millionen.

"Franzl!" - "Sisi!" Am Anfang war alles romantisch und verheißungsvoll. Wie in einem Märchen. In Bad Ischl. Wo sonst? Dort verliebte sich der Kaiser von Österreich am 16. August 1853 in seine 15-jährige Cousine, eine Wittelsbacherin. Bereits drei Tage später wurde Verlobung gefeiert, einen Tag nach seinem 23. Geburtstag. Die Hochzeit fand am 24. April 1854 in der Wiener Augustinerkirche statt.

Doch die Braut war eine Enttäuschung für den Herrscher. Erst in der dritten Nacht, so protokollierte man bei Hofe, wurde die Ehe vollzogen. Sisi fand den Verkehr der Geschlechter offenbar ungustiös und notierte: "Für mich keine Liebe / für mich keinen Wein / die eine macht übel / der andere macht spei’n." Trotzdem brachte sie vier Kinder zur Welt: Sophie Friederike (1855-1857), Gisela (1856-1932), Rudolf (1858-1889) und Marie Valerie (1868-1924).

"Nach der Geburt des vierten Kindes schloss sie den Ehehafen. Der Kaiser kratzte nächtens vergeblich an ihrem Boudoir", notiert Franz Rumler im "Spiegel": "Ihrer Schönheit weihte sie fortan ihr Leben. Sie hungerte sich schlank, ritt wie ein Hunne, focht wie D’Artagnan, turnte wie Jane Fonda, und das Waschen ihres fersenlangen Haares währte einen ganzen Tag. Ihrem Gatten widmete sie Sarkasmus-Lyrik (sein ‚graues Haupt‘ gemahnte sie an einen ‚Esel‘), er unterschrieb Briefe an sie mit ‚Dein einsames Männchen‘."

Ein echtes Teufelsweib. Eine Piratin.

Heute gilt sie vielen als eine der ersten Feministinnen. Ihr Verhältnis zum eigenen Körper war jedoch neurotisch und sadomasochistisch. Sie gestattete sich keine Schwächen. Als sie bei einer Jagd vom Pferd fiel und eine Gehirnerschütterung mit Ohnmachtsanfällen hatte, sagte sie ihrem Ehemann: "Ich bin nicht in Sorge wegen eines solchen kleinen Rumplers."

Fort von Wien

Im Innersten fühlte sich Elisabeth vom Leben betrogen, nur Veilchen-Eis und Kekse aus der Hofzuckerbäckerei Demel trösteten sie. Die Habsburger und ihre strengen Regeln waren ein krasser Gegensatz zu den unbeschwerten Jahren bei ihrer vergleichsweise liberalen Familie auf Schloss Possenhofen in Bayern. Sisi begriff sich als Opfer und notierte bereits wenige Wochen nach der Hochzeit: "Ich bin erwacht in einem Kerker / und Fesseln sind an meiner Hand."

Tout Vienne zerreißt sich das Maul, weil die Kaiserin so dünn und blutarm ist und Untergewicht hat. Bei 1,72 Meter Größe wiegt sie höchstens 50 Kilo. Außerdem hat sie schlechte Zähne, lässt sich in der Hofburg einen Turnsaal mit Sprossenwänden und Ringen einrichten - und sie raucht auch noch Zigaretten in aller Öffentlichkeit. Die Teenagerin tut alles, um die Menschen vor den Kopf zu stoßen. Wahrscheinlich wird ihr auch deshalb vom Hausarzt der Habsburger eine Kur auf der fernab gelegenen portugiesischen Atlantikinsel Madeira verordnet.

"Auf der Insel lebt sie mit ihrer Entourage in einer gemieteten Villa am Meer, liest Bücher, spielt Mandoline und ‚Schwarzer Peter‘ mit den Hofdamen, und die Wiener wundern sich, dass die Kaiserin ihren Mann, ihre Kinder und ihr Land monatelang im Stich lässt. Doch je länger sie vom Hof und ihrem Mann getrennt ist, umso besser geht es ihr", schreibt Birgit Lahann im Magazin "GEO Epoche". Nach zwei weiteren Kuren auf der griechischen Insel Korfu und im bayrischen Bad Kissingen kehrt sie im August 1862 mit fast 25 Jahren nach Wien zurück und ist in der Zwischenzeit "eine energische, zielstrebige, selbstbewusste Frau geworden".

Auch später nutzt sie jede Gelegenheit zum Verreisen und besucht Dover, Tanger und Algier, Florenz, Pompeji und Capri, Korfu, Málaga und Granada, Korsika, Triest - und schließlich Genf.

Kaiserliche Amouren

Ein Mann hat Bedürfnisse. Auch wenn er ein Kaiser ist. Wenn Sisi nicht in Wien ist, sucht der von seiner Frau verschmähte Monarch Trost beim einfachen Weibsvolk. Er bevorzugt, so wird getuschelt, mollige Mädchen. Und er hat einen Hang zum Quickie. Überliefert ist das Erlebnis einer ungarischen Schauspielerin, die sich wundert, dass Franz Joseph beim Tête-à-tête auf schnellen Vollzug drängt und dabei nicht einmal seinen Degen abnimmt.

Im Gegensatz dazu dauerte das "schlampige Verhältnis" mit Anna Nahowski, einer blonden, rundlichen Wienerin, mehr als zehn Jahre. Sie war 15 und schon Ehefrau, als er sie beim Spazierengehen kennenlernte, und sie besaß schließlich eine Villa mit einer Geheimtür für kaiserliche Besuche im Morgengrauen. Er liebte es, sie "mit Gewalt" ganz einfach aufs Bett zu werfen und sie zu nehmen. Danach hielt Anna für ihn Milchkaffee, Kipferln und die unverzichtbare Virginia-Zigarre bereit. Am Ende ihrer Kaiserzeit erhielt sie Schweigegeld: 200.000 Gulden (nach heutigem Wert rund eine Million Euro).

Woher wir das wissen? Anna hat penibel Tagebuch geführt, und der Böhlau Verlag hat es nach mehr als 100 Jahren gefunden und unter dem Titel "Anna Nahowski und Kaiser Franz Joseph" im Jahr 1986 veröffentlicht.

Das Ende der bequemen Liaison hat Franz Joseph seiner Sisi zu verdanken. Sie sieht in der jungen Schauspielerin Katharina Schratt eine geeignete Nachfolgerin für sich selbst und verkuppelt den Gemahl. Der verliebt sich auch gleich stante pede in das Mädl, schreibt ihr: "Bitte empfangen Sie mich im Bett", macht teure Geschenke und zeigt sich mit der Schratt sogar den Untertanen. Anna ist empört und offenbart dem Tagebuch ihren Frust: "Dass der Mann mit einer Schauspielerin öffentlich spazieren geht!"

Als Franz Joseph am 10. September 1898 vom Mord in Genf erfährt, ist er geschockt und sagt zu Generalmajor Eduard von Paar, der ihm die Nachricht von Sisis Tod überbracht hat: "Sie wissen ja gar nicht, wie sehr ich die Kaiserin geliebt habe!"

Georg Biron, geboren 1958, lebt als Schriftsteller, Reporter, Regisseur und Schauspieler in Wien.