Am Sonntag ist der Internationale Tag des Schnees - nur dürfte der Gefeierte das Fest schwänzen.
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Wie er’s macht, macht er’s falsch, der Schnee.
Fällt er, passt’s den Autofahrern nicht. Fällt er nicht, passt’s den Skifahrern nicht. Ist er gefallen und bleibt er liegen, passt’s den Städtebewohnern nicht. Ist er gefallen und zergeht, passt’s überhaupt niemandem, weil er dann nicht mehr so weiß und zuckerwattig aussieht, sondern fleckig und schmutzig wie das Ei von einem Haussperling.
Es ist zum Verzweifeln!
Kein Wunder, wenn er da nicht kommen mag. Aber man kann ihm wenigstens Reverenz erweisen an diesem Sonntag, da ist nämlich der internationale Tag des Schnees.
Da könnte er kommen, der Schnee. Wird er’s tun? - Laut ORF-Wetterdienst ist an diesem Tag alles drin. Alles, außer, ja, richtig, alles außer Schnee.
Klima und Klebstoff
Sein Ausbleiben werten manche als weiteren Beweis für die Klimakrise, und es veranlasst sogenannte Aktivisten, sich allenthalben anzukleben, nur nicht am Schnee selber, erstens, logisch, weil er ja nicht da ist, zweitens, weil, selbst wäre er da, der Klebstoff auf ihm nicht klebte und der ganze schöne Aktivismus eine kalte und nasse Sache würde, gekrönt von wenig medialer Aufmerksamkeit, dafür am Ende gar von einem Schnupfen.
Ganz seriös lässt sich im Moment freilich sagen: Die meisten Skipisten sind aper. Dafür treiben die Sträucher. Von einem grünen Schimmer sind sie überzogen. Die ersten Blätter sind heraußen. Auch auf den Skipisten halten sich Grün und Braun die Waage, nur das Weiß fehlt. Schneekanonen nützen nichts. Die bringen nur Abhilfe, wenn es zwar schneelos, aber kalt ist, unter null Grad (Celsius, versteht sich), sonst zergeht auch der Kanonenschnee.
Den Skifahrern bleibt nur übrig, Stecken, Schuh und Bretteln wieder in den an der Misere nicht ganz unschuldigen SUV zu packen und wandern zu gehen. Auch schön. Statt des Jagatees ein gut gekühlter Daiquiri - fertig ist das Tropenfeeling.
Alles Quatsch, das mit dem Klimawandel, weil es die schneelosen Winter schon früher gegeben hat?
Skeptiker listen in den sozialen Medien nicht nur schneelose Winter seit dem Mittelalter auf, sondern ebenso Warmwetterperioden mitten im Dezember. Dass in Carl Orffs bayerischem Mundart-Mysterium "Die Bernauerin" der Satz steht: "Amal, da ham in der Christnacht d’Äpfelbaam bliaht!", ist kein reiner poetischer Einfall, das hat der Dichterkomponist in einer alten Chronik gefunden.
Der Unterschied ist freilich der zwischen Ausreißern und Regel.
Ältere Wienerinnen und Wiener können sich an die eingeschneite Stadt ihrer Kinderzeit erinnern. Weiße Weihnachten waren die Regel. Damals, mag rund 50 Jahre her sein, ist man rodeln gegangen auf den Kahlenberg oder den Bisamberg, und wer den Ausflug gar nicht erwarten konnte, ist mit der Rodel die Rampen am Donaukanal hinuntergerutscht, und die Alte Donau war ein Natureislaufplatz. Die Eltern und Großeltern der älteren Wienerinnen und Wiener konnten von den Eisstößen auf der Donau erzählen, besonders spektakulär waren die der Jahre 1929 und 1940. Der des Jahres 1955 war der letzte. Dass die Donau ohne Eisstoß zufriert, kommt auch immer seltener vor. 2012 und 2017 geschah zuletzt, was früher nahezu jeder Winter zumindest für ein paar Tage mit sich brachte.
Es ist etwas geschehen mit der Schneelage, und das ist ein Hinweis, dass etwas mit dem Klima geschehen ist. Wer das leugnet, verkennt die Tatsachen. Mag ja schon sein, dass irgendwann einmal in der Christnacht die Apfelbäume geblüht haben. Die Frage ist aber, wie regelmäßig das geschieht. Geht es nach GeoSphere Austria, dann geht es mit dem Schnee in Österreich abwärts. Dass es bessere Schneejahre gibt, bestreitet niemand, aber die Tendenz ist klar erkennbar.
Besondere Magie
Und so kann man immer seltener die besondere Magie des Schnees erleben. Der britische Schriftsteller John B. Priestley, Autor von "An Inspector Calls", hat das wunderbar beschrieben: "Der erste Schneefall ist nicht nur ein Ereignis, es ist ein magisches Ereignis. Du gehst zu Bett in einer Welt, und wachst einer völlig veränderten wieder auf. Und wenn das keine Verzauberung ist, was dann?"
Woher aber kommt die Magie des Schnees? Ist es nur die Sehnsucht nach Reinheit? Johann Wolfgang von Goethe räumt mit den Illusionen auf: "Der Schnee ist eine erlogene Reinlichkeit", sagt er - und hat natürlich recht, weil Schnee weder am Schmutz der Straßen noch an dem der Seelen auch nur das Geringste ändert. Oder hängt es damit zusammen, dass Schnee der größte Verpackungskünstler überhaupt ist? Der bulgarische Künstler Christo hat gelehrt, Gebäude mit anderen Augen zu sehen, indem er sie mit Stoff- und Synthetikgewebe eingepackt und ihre Konturen aufgeweicht hat. Das tut der Schnee ebenso.
Blut im Schnee
Bei ihm kommt auch noch, verursacht von dieser Zuckerwattigkeit, so eine Art Wohlfühlen-in-der-Kindheit-Effekt dazu. Man muss schon ein Horrorafficionado sein, um in etwas so Schönem das Grauen anzusiedeln. Aber gerade dann - oder anders gesagt: Was wäre "The Lodge" von Severin Fiala und Veronika Franz ohne Schnee? Oder "Der eisige Tod", wenn Emily Blunt erfährt, was einem alles geschehen kann, wenn das Auto in einer Schneewehe stecken bleibt? Oder "The Thing". Oder, weil man das Beste immer zum Schluss nennen soll, "Shining". Man stelle sich vor: Das in der Sommersonne im Strandhotel. Geht nicht. Verschneit muss es sein, wenn Jack Nicholsons Zähne blinken. Wie doch Annette von Droste-Hülshoff so adäquat dichtete: "Und alles Leben liegt zerdrückt, / Wie unterm Leichentuch erstickt." Hätte die eine Freude gehabt am Klimawandel!
Aber jetzt ganz im Ernst: So soll es doch nicht weitergehen - oder? Nicht, dass der Schnee in ein paar Generationen (ein paar?) nur noch eine blasse Erinnerung ist. Dann nuckeln sie Bora Bora Colada und drehen die Schneekugeln um, während sie in ihren Liegestühlen unter den Palmen am Nordpolstrand liegen.
Die ganze Erde ein Paradies unter tropischer Sonne? Könnte gar zu warm werden.
Dann schon lieber Schnee. Kinder und Hunde lieben ihn. Und die können nicht irren.