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Kamala Harris: Prototyp des amerikanischen Traumes

Von Alexander Dworzak

Politik

Vom Einwandererkind, das aufgrund seiner Hautfarbe nicht mit Weißen spielen durfte, zur US-Vizepräsidentin: Kamala Harris hat in ihrem Leben bereits mehrere Meilensteine gesetzt.


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Es ist eine märchenhafte Erzählung, die ganze Welt kennt sie. Doch der amerikanische Traum, es nach oben schaffen zu können, ist in den vergangenen Jahren für viele immer mehr zum Märchen verkommen. Millionen können sich trotz mehrerer Tätigkeiten nur mühsam finanziell über Wasser halten. Selbst für gut ausgebildete Junge gibt es keine Jobgarantie mehr, dafür die Gewissheit eines Schuldenberges nach Verlassen der Universität. Anstatt Aufstiegsfantasien dominierten die Abgehängten das politische Bild. Ihnen - wie auch den Zornigen und Ressentimentgeladenen - gab Donald Trump eine Stimme. Ein Mann, der nicht aufsteigen musste, weil er dank seines Elternhauses immer oben gewesen war.

Mit Joe Biden zieht ein Mann ins Weiße Haus ein, der sich seinen Erfolg hart und aus eigener Kraft erarbeitet hat. Und mit ihm Vizepräsidentin Kamala Harris, die den amerikanischen Traum auf geradezu klischeehafte Weise verkörpert: Mit ihrer Angelobung am Mittwoch bekleidet sie nicht nur als erste Frau diesen Posten, sondern auch als erste Schwarze. "Ich bin vielleicht die erste Frau in diesem Amt, aber ich werde nicht die letzte sein", erklärte die 56-Jährige.

Die Erste ist Kamala Harris bereits mehrfach in ihrem Leben gewesen: Nach dem Studium in Washington und Kalifornien wird sie mit 30 Jahren erste schwarze Bezirksstaatsanwältin von San Francisco. 2011 bis 2017 diente sie im Bundesstaat Kalifornien als Attorney General, einem Hybrid aus Justizministerin und Generalstaatsanwältin - wiederum eine Premiere für eine schwarze Frau. 2017 erfolgte der Wechsel in den US-Senat. Dort war Harris die erste afroamerikanische Kalifornierin und die zweite Schwarze in der Geschichte der Parlamentskammer. Eine weitere Novität: Zum ersten Mal zog eine Frau mit Wurzeln in Südostasien in den Senat ein.

Den amerikanischen Traum des Aufstiegs lebten bereits Harris’ Eltern vor. Beide waren in ihrer Studienzeit in die Vereinigten Staaten eingewandert. Der Vater stammte aus Jamaika und wurde später Professor für Wirtschaftswissenschaften an der renommierten Stanford University. Prägende Figur sollte aber die Mutter werden. Die Krebsforscherin zog nach der Trennung der Eltern Kamala Harris und ihre Schwester Maya groß.

Kein Liebling bei afroamerikanischen Wählern

Die Wochenenden verbrachten die Kinder beim Vater. Doch auch im heutzutage als so liberal geltenden Kalifornien waren sie damit konfrontiert, dass die Nachbarskinder nicht mit ihnen spielen durften, weil sie schwarz sind. Ihre Mutter habe gewusst, "dass ihre Wahlheimat Maya und mich als schwarze Mädchen sehen würde, und sie war entschlossen sicherzustellen, dass wir zu selbstbewussten, stolzen schwarzen Frauen heranwachsen würden", schrieb Kamal Harris in ihrer 2019 erschienen Autobiografie "The Truths We Hold". Bereits als kleines Kind sei sie zu Bürgerrechtsprotesten mitgenommen worden.

"Ich bin schwarz und stolz darauf", lässt Harris wissen. Als Liebling der afroamerikanischen Community gilt sie dennoch nicht, brachte sie doch als Attorney General in Kalifornien rund 15.000 Personen für Marihuana-Konsum hinter Gitter. Dabei hätten Schwarze laut einer Studie der Bürgerrechtsbewegung ACLU eine fast viermal so hohe Wahrscheinlichkeit wie Weiße, wegen dieses Delikts eingesperrt zu werden, obwohl ähnlich viele Personen die Droge konsumieren. Umstritten ist auch ihre Haltung zur Todesstrafe: Einerseits spricht sie sich persönlich dagegen aus und forderte diese als Staatsanwältin auch nie ein. Auch nicht, als der Polizist Isaac Espinoza im Jahr 2004 in einem Problemviertel von San Francisco erschossen wurde. Diese Haltung brachte Harris harsche Kritik ein. Andererseits versagte sie als Attorney General Initiativen zur Abschaffung der Todesstrafe ihre Unterstützung - was insbesondere bei Linken nicht gut ankam.

Ein Angebot an den sogenannten progressiven Flügel der Demokraten ist Harris ohnehin nicht. "Ich versuche nicht, das System auf den Kopf zu stellen. Ich versuche nicht, eine Revolution zu starten. Ich bin keine Sozialistin", sagte sie im November 2019 bei einer Wahlkampfveranstaltung im ländlichen Iowa in Anspielung auf Bernie Sanders.

Sie verfügt über jene Dynamik, die "Sleepy Joe" fehlt

Damals kämpften sowohl der selbernannte demokratische Sozialist als auch die Zentristin Harris darum, Präsidentschaftskandidat ihrer Partei bei der Wahl 2020 zu werden. Doch bereits nach der ersten Vorwahl musste Harris ihren Rückzug eingestehen: "Meine Präsidentschaftskampagne hat einfach nicht die finanziellen Mittel, die wir brauchen, um fortzufahren." Ungeachtet des Kurzauftritts blieb ein Moment ihres Wahlkampfes lange in Erinnerung: In einem TV-Duell hielt sie Joe Biden weit zurückliegende, aber wohlwollende Äußerungen zu Senatoren vor, die vor Jahrzehnten die Rassentrennung befürwortet hatten. Biden, ehemals Vizepräsident unter Barack Obama, war blamiert.

Aber er anerkannte Harris’ Qualitäten und wählte sie dennoch als Vize. Sie sei klug, erfahren, zäh und eine Kämpferin für die Mittelschicht. Harris wisse, wie man regiert, und treffe harte Entscheidungen. Diese in einem solchen Job auch wohl notwendige Härte kontrastiert mit ihrem betont herzlichen Auftreten gegenüber Parteianhängern. Was der 78-jährige Biden nicht sagt: Harris verfügt über jene Dynamik, die dem als "Sleepy Joe", also "Schläfrigen Joe", von Donald Trump Verhöhnten fehlt. Viele politische Beobachter meinen daher, Harris laufe sich als Vize nun warm für eine weitere Premiere in der Geschichte der Vereinigten Staaten: die erste Präsidentschaft einer Frau in vier Jahren.