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Kambodschas offene Wunde

Von Thomas Lanig

Politik

Sie verlangten das Ungeheuerliche und bekamen es auch: Khieu Samphan und Nuon Chea, neben dem toten Pol Pot die wichtigsten Führer der berüchtigten kambodschanischen Roten Khmer, wollten "leben wie normale Bürger". Unter dieser Bedingung hatten sie sich Ende 1998 den Regierungstruppen gestellt. Im Klartext hieß dies: kein internationales Tribunal wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch das könnte sich bald ändern.


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Fast genau 22 Jahre nach dem Ende des blutigen Regimes der "Steinzeit-Kommunisten" in Kambodscha ist der Weg für ein internationales Strafgericht frei gemacht worden.

Das künftige Schicksal der beiden Guerillaführer markiert das Dilemma, in dem Kambodscha steckt: Fast zwei Millionen Menschen sind Opfer der Roten Khmer geworden, fast jeder fünfte Einwohner hat in den vier Jahren ihrer Herrschaft bis zum Januar 1979 sein Leben gelassen.

Versöhnung mit den Völkermördern? Immerhin war Khieu Samphan Staatspräsident des Pol-Pot-Regimes, Nuon Chea galt als "Bruder Nummer Zwei" der Führung. Doch erstaunlich viele Menschen in Kambodscha, vor allem die Jüngeren, die nach den Greueln der "Steinzeit-Kommunisten" geboren sind, wollen die Vergangenheit hinter sich lassen.

Für die anderen ist die Erinnerung an die "Killing Fields" eine schmerzhafte und offene Wunde. Wer selbst den Henkern entkam, hat Angehörige und Freunde verloren. "Diese Typen gehören zu den schlimmsten Mördern des 20. Jahrhunderts", sagt der 45jährige Rikscha-Fahrer Hul Pak in der Hauptstadt Phnom Penh. Seine Frau und sein Sohn wurden umgebracht, er selbst hat im Gefängnis gesessen.

Internationale Menschenrechts-Organisationen teilen seine Meinung. "Wer die Rückkehr dieser Männer in die Gesellschaft zuläßt, der tut so, als ob es eines der schlimmsten Massaker des 20. Jahrhundets nicht gegeben hätte", sagt ein Sprecher von "Human Rights Watch". Die Regierung von Machthaber Hun Sen forderte zwar immer wieder einen internationalen Prozeß im Stile des Jugoslawien-Tribunals. Doch bis vor Kurzem machte Hun Sen plötzlich klar: Einen Prozeß wird es nicht geben.

Pailin noch immer unter Kontrolle der Khmer Rouges

Die beiden potentiellen Hauptangeklagten erfreuten sich derweil in der Grenzstadt Pailin bevorzugter Behandlung. Das Gebiet wird faktisch von ehemaligen Roten Khmer regiert, die schon 1996 mit dem früheren Außenminister Ieng Sary übergelaufen sind. Ungehindert exportieren sie von dort auf eigene Rechnung Tropenholz und Edelsteine.

Im November 1998 hatte erstmals eine UN-Kommission in Kambodscha nach Beweisen für eine Völkermord-Anklage gesucht und den Bericht Generalsekretär Kofi Annan vorgelegt. Doch nicht nur das Interesse der kambodschanischen Führung an einem Tribunal hielt sich in Grenzen. Auch die Regierung in Washington hat zusammen mit Peking jahrelang mit den Roten Khmer paktiert - denn diese waren Feinde Vietnams und der Sowjetunion.

"Gerechtigkeit muß vor Politik gehen", rief Oppositions-Politiker Sam Rainsy den alten und neuen Regierungspartnern Hun Sen und Prinz Norodom Ranariddh zu. Doch seine Forderung verhallte die Jahre ungehört. Sowohl Hun Sen als auch der Prinz hatten sich in der Vergangenheit immer wieder mit den Roten Khmer zusammengetan, wenn es ihnen nützlich erschien.

Die Bewältigung der Vergangenheit ist aber noch aus einem anderen Grunde besonders schwierig. Der Massenmord der Roten Khmer hat unter den politischen Verbrechen dieses Jahrhunderts eine Besonderheit: Es war ein Völkermord am eigenen Volke, ein "Auto-Genozid", wie ein Sprecher des UN-Büros für Menschenrechtsfragen in Phnom Penh sagt. Täter und Opfer waren Bürger eines Landes, die Überlebenden und die Mörder sind Nachbarn noch heute.