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Doris Kammerlander ist weit herumgekommen. In einem Vierteljahrhundert Berufserfahrung hat sie sich nie gescheut, ihren Horizont zu erweitern. Es war wohl auch diese Perspektive der
Weitherzigkeit, die sie früh schon über den nationalen Teller hinaus auf den globalen Tisch blicken ließ. Schon zu Schulzeiten initiativ, stand die spätere ÖH-Funktionärin vor rund zwei Jahrzehnten
an der Wiege der Grünbewegung.
Geboren wurde Doris Kammerlander im Februar 1949 in Wien. 18 Jahre später maturierte sie und begann an der Uni Wien ein Soziologiestudium. Als ehemalige Aktivistin der Evangelischen Jugend schloß sie
sich der in der Studentenvertretung federführenden ÖSU an. Nach Abschluß ihres Studiums erstellte sie für das WIFI Studien zur Situation von Lehrlingen und zur Qualität des dualen Ausbildungssystems,
ehe sie 1974 nach Graz ging, wo sie als Soziologin tätig war. Sie befaßte sich mit Fragen des Wohnbaus, der Raum-, Regional- und Stadtplanung, und gerade jene Beschäftigung ließ sie auch eine neue
Form der Politik ergreifen. "Graz war damals durch eine Zeit der Bürgerinitiativen geprägt. Es wurden seitens der Stadtverwaltung sogenannte ,Aktivbürger` berufen, die sich für die Anliegen ihres
jeweiligen Stadtteils einsetzen sollten. Ich machte da begeistert mit und war für Dinge wie Stadtplanung im Bereich des Kälberviertels zuständig."
Einen nächsten Schritt setzte Kammerlander mit ihrer aktiven Ablehnung der Inbetriebnahme des KKW Zwentendorf. 1977 wurde sie zuerst Sprecherin der Initiative Österreichischer Atomkraftgegner in der
Steiermark, schließlich sogar Bundessprecherin dieser IÖAG: "Aus dieser erfolgreichen Einpunktbewegung ging in weiterer Folge der Arbeitskreis ,sanfte Energie` hervor. Wir suchten die Zusammenarbeit
mit den sich gerade konstituierenden Grünen in Deutschland und der italienischen Partito Radicale. Am Ende dieses Diskussionsprozesses stand 1981 die Bildung der Alternativen Liste Graz und die
Formierung der ALÖ im Jahre 1983."
Währenddessen hatte sich Kammerlander neuerlich beruflich verändert. Bis zur Geburt ihres Sohnes Moritz 1981 hatte sie sich mit Energieplanung und Umweltforschung im Grazer Joanneum befaßt.
Am Ende ihrer Karenz stand die Rückkehr zur Gremialpolitik, wurde sie doch 1983 als Mandatarin der ALG in den Grazer Gemeinderat gewählt. Am Ende dieser Tätigkeit 1986 fiel sie jedoch in eine Art
Loch. Verhältnismäßig lang war sie arbeitslos und mußte spüren, daß man als Grünbewegte vielen potentiellen Arbeitgebern als "rotes Tuch" galt. Erst 1988 fand sie eine Anstellung in einem
Architekturbüro, ehe sie 1990 die Geschäftsführung des Vereines "Alpe-Adria-Alternativ" übernahm, um schließlich 1992 Geschäftsführerin der Grünen Bildungswerkstätte zu werden und 1994 als
Abgeordnete der Grünen ins Parlament einzuziehen.
Nach knapp fünf Jahren im Hohen Haus ist es für Kammerlander Zeit für eine Bilanz. Sie sei seinerzeit mit zwei Ansprüchen angetreten: Einerseits wollte sie eine neue Betrachtungsweise gegenüber
internationalen Politikzusammenhängen bei den Grünen evozieren, andererseits "Außenpolitik zur Innenpolitik machen", also der Öffentlichkeit aufzeigen, daß außenpolitische Ereignisse direkt auf
österreichische Befindlichkeiten wirken können. Dabei war sich Kammerlander bewußt, daß sie Außenpolitik nicht als etwas betrachten durfte, "wo ich alles erfüllen muß. Vielmehr ging es darum,
Schwerpunkte und somit Signale zu setzen, dabei bewußt den Mut zur Lücke zu haben." Und so konzentrierte sich Kammerlander einerseits auf die "Ränder Europas", auf den Balkan, Kleinasien und
die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion, andererseits aber auch auf Themen wie Mittelmeerkooperation, Nordafrika, den Nahen Osten und Zentralasien, was denn doch ein einigermaßen ambitioniertes
Programm darstellte: "Ich formierte ein Netzwerk aus Experten · Autoren, Wissenschaftler, Journalisten · um mich, durch die ich ein viel detaillierteres und phasenweise auch völlig anderes Bild
vermittelt bekam als in den herkömmlichen Medien. So konnte ich feststellen, daß schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages von Dayton viele Insider mehr als skeptisch in bezug auf dessen
Erfolg waren · nicht zu Unrecht, wie sich mittlerweile herausgestellt hat."
Das Problem der Außenpolitik sei aber ihre mangelnde Präsenz in der Öffentlichkeit: "Außenpolitik wird als Staatspolitik behandelt. Da kommen gerade einmal Klima und Schüssel zu Wort, und worüber sie
nicht sprechen, das wird bestenfalls als stark gekürzte Agenturmeldung gebracht. Dementsprechend hat Internationale Politik auch irgendwie das Odium einer Geheimwissenschaft." Persönlich findet es
Kammerlander bedauerlich, daß die Außenpolitik auch bei den Grünen einen eher sekundären Stellenwert besitzt. Die gängigen Forderungen stünden zwar in den Wahlprogrammen, doch die Gesamtsicht fehle
nach wie vor. Aber, so Kammerlander: "Um grüne Politik glaubhaft zu machen, kann es nicht genügen, sich auf Menschenrechtsfragen zu beschränken. Außenpolitik darf nicht auf diesen ·
zweifellos sehr wichtigen · Ausschnitt reduziert werden, denn sonst läuft man leicht Gefahr, in Schwarz-Weiß-Bilder zu verfallen."
Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt Kammerlanders bildete die Frauenpolitik, eine klassische Querschnittsmaterie, die auf zahlreiche Ressorts aufgesplittert ist: "Konflikte und Differenzen gibt es
nicht nur innerhalb der Koalition, sondern auch zwischen den Ministerien, und die jeweilige Frage ist dann ein Sozial-, Justiz- oder Familienthema. Deshalb muß die Frauenministerin auch endlich
Kompetenzen bekommen." Für die Grünen wünscht sich Kammerlander eine eigene Frauensprecherin: "Eines hat sich in der Geschichte der Grünen gezeigt, wo eine Person eine klare Sprecherrolle hat,
gewinnt auch die Grüne Fraktion an Konturen, das hat man bei Monika Langthaler in Umwelt-, bei Johannes Voggenhuber in Europa- oder auch bei Terezija Stoisits in Minderheitenangelegenheiten gesehen."
Privat ist die Grazerin eine begeisterte Vielleserin, die immer vier bis fünf Bücher gleichzeitig konsumiert. Kaum jemand hat sie je ohne Buch in Griffweite gesichtet. Ihr Faible sei dabei der Alpen-
Adria-Raum, Autoren wie Dragan Velikic, Danilo Kis, Fulvio Tomizza, Scipio Slataper oder auch György Dalos stehen bei ihr ganz hoch im Kurs. "Ich mag aber auch jene Art von Reise-Literatur, die
Länder und Landschaften poetisch beschreibt, wie etwa die Reihe EUROPA ERLESEN des Kärntner Wieser-Verlages." Auf der Sachbuchebene greift Kammerlander immer wieder zu Büchern über den Widerstand
gegen das NS-Regime. Daß sie nun mit Ende der Gesetzgebungsperiode neue Aufgabenfelder sucht und aus dem Parlament ausscheidet, entspricht ihrer Aufgeschlossenheit für das Neue und wird ihr wohl auch
mehr Zeit für ihre Lektüre lassen. Die Lücke aber, die sie dadurch im Hohen Haus hinterläßt, wird erst noch zu füllen sein.Õ
Andreas P. Pittler ist Mitarbeiter des Parlamentarischen Pressedienstes