Der britische Premier David Cameron verliert laufend an Zustimmung.
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London. Nach einigem Zögern zeigt sich David Cameron kampfentschlossen. Am Freitag rief er im britischen Unterhaus zum Krieg. Dem Vormarsch der "Barbaren" der IS-Terrormiliz müsse Einhalt geboten werden, erklärte der britische Premierminister. Vorstöße an einer sehr viel näher gelegenen Front findet er schwerer abzuwehren.
Am Sonntag nämlich beginnt in Birmingham der letzte Parteitag der Konservativen vor den Unterhauswahlen im Mai 2015. Dafür muss der Tory-Chef seine eigenen "Truppen" mobilisieren. Dabei weiß Cameron, dass sich seine Parteigänger nur zähneknirschend hinter ihn stellen werden. Die erstarkte Parteirechte würde, wenn sie nur könnte, Cameron schon jetzt durch jemanden wie Schatzkanzler George Osborne oder Londons Bürgermeister Boris Johnson ersetzen. Johnson, ein Rechtspopulist, macht sich just für Mai zur Rückkehr ins Unterhaus bereit. Seine Rückkehr ist Signal für den kommenden Aufstand gegen die Parteispitze.
Fast, klagen sie, habe der Premier kürzlich beim schottischen Referendum durch reine Arroganz und Sorglosigkeit den Zerfall des Vereinigten Königreichs mit herbeigeführt. Hätte Schottland mit "Ja" gestimmt, wäre Camerons Schicksal besiegelt gewesen. Nun, da es ein "Nein" zur Unabhängigkeit geworden ist, hat er sich eine Frist bis zu den Wahlen im Mai erkauft. Vergeben haben ihm aber die wenigsten Tories. Viele tragen ihm insbesondere nach, dass er, in offenkundiger Panik, den Schotten in letzter Minute noch ein weitreichendes Autonomie-Versprechen machte. Dieses Zugeständnis, meint Ex-Minister John Redwood, einer der Rebellenführer, sei "völlig abstrus" gewesen.
Wie Redwood haben auch andere Tory-Parlamentarier gefordert, dass englische Abgeordnete nun ihr eigenes Parlament erhalten müssen: Andernfalls bleibe ihnen nichts anderes übrig, als Camerons Schottland-Deal niederzustimmen. Cameron versuchte damit zu besänftigen, dass er die Bewilligung größerer schottischer Autonomie an die gleichzeitige Einführung englischer Selbstbestimmung knüpfte. Als es Protestgeheul in Schottland gab, weil die Umsetzung englischer Selbstbestimmung Jahre dauern könnte, rückte er von dieser Bedingung schnell wieder ab. Freunde schuf er sich damit auf keiner der beiden Seiten. Das sei typisch für Cameron, erklärten britische Kommentatoren: Wie ein altes Sofa zeige auch er immer "den Abdruck des letzten Hintern, der gerade auf ihm gesessen ist".
Kurz vor den Wahlen liegen die Tories mit 33 Prozent nur ein paar Prozent hinter Labour. Eine klare Mehrheit, wie noch zu Margaret Thatchers Zeiten, ist nicht in Sicht. Stattdessen zieht am rechten Rand mit 14 Prozent Nigel Farages Unabhängigkeitspartei Ukip auf. In Sachen Einwanderung oder Europa, meinen Redwood und die Seinen, sei Cameron nicht hart genug. Dabei ließ sich dieser, gegen seine ursprüngliche Überzeugung, von der Redwood-Fraktion zum Versprechen eines EU-Referendums für 2017 drängen. Doch das stoppte den Ukip-Aufschwung nicht. Farage kündigte den großen Sprung seiner Partei ins Parlament an.
Der Druck durch Ukip und die Tory-Rechte hat Camerons alte Modernisierungsansätze längst verdrängt. Zwischen 2005 und 2010, als er Parteivorsitzender, aber noch nicht Regierungschef war, hatte Cameron noch zur "Entgiftung" seiner Partei grüne Triebe gesucht, Frauen gefördert, die Gesamtgesellschaft gepriesen, "gewissenlosen Kapitalismus" verurteilt und vor einer "Besessenheit" in der Europa-Frage gewarnt. Das ist jedoch lange her. Heute ist Cameron der Ansicht, dass man mit "dem grünen Mist, dem ganzen Umwelt-Unfug", Schluss machen solle. Der Frauenanteil unter den Tory-Kandidaten für die kommende Unterhauswahl ist geringer als vor vier Jahren. Kapitalismus ist Kapitalismus. Und die EU ist wieder zum Hauptzankapfel geworden.
Im Schatten lauert Boris
Auch in der Regierung hat Cameron die Gewichte nach rechts verschoben. Die letzten großen und europafreundlichen Veteranen des sozialen Ausgleichs mussten bei der jüngsten Kabinettsumbildung gehen. Tories, die im Stil der US-republikanischen Tea Party einen neuen "Turbo-Thatcherismus" für Großbritannien verlangen, rückten dagegen auf wichtige Positionen auf. Schatzkanzler Osborne drängt schon lange auf "mehr freien Markt", und Außenminister Philip Hammond will für den britischen EU-Austritt stimmen, wenn die Europäer den Briten bei der von Cameron geforderten EU-Reform nicht zu Willen sind. Johnson, im Schatten wartend, hat im Gegensatz zum früheren Foreign-Office-Chef William Hague ebenfalls "keine Probleme", sich einen EU-Ausstieg vorzustellen.
Selbst wenn die Tories bei den Wahlen stärkste Fraktion würden, kann Cameron sich nicht sicher sein, die Konservativen noch lange zu führen. Auf dem Parteitag in Birmingham werden seine Kritiker sich noch zurückhalten müssen. Aber die Planung für eine Zeit ohne ihn läuft schon.