Der Lungau wehrt sich gegen die Aufgabe eines Landstrichs, die Kasernenschließung ist nur ein Symptom. Bürgermeister Gappmayer hält den erwarteten Veräußerungserlös für die Kaserne von 5,3 Millionen Euro für unrealistisch.
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Tamsweg. "Man muss das Ganze großräumiger sehen", sagt Herr Srutek. Mit "dem Ganzen" meint der pensionierte Vizeleutnant die geplante Schließung der Strucker-Kaserne in Tamsweg. Diese Schließung, als eine von 13 geplanten Kasernenschließungen, ist zwar erst geplant und noch nicht beschlossen. Großräumiger betrachtet ändert aber die Schließung oder Aufrechterhaltung der Kaserne im Salzburger Lungau nicht rasend viel an der Lage des Bezirks.
Die bereits mehrmals geplante und nun wieder avisierte Schließung der Kaserne würde nur einen Trend bestätigen. Wieder wären 70 Arbeitsplätze weg aus dem Bezirk. Dieser Trend wird beim großräumigeren Blick, den Herr Srutek fordert, offensichtlich: Von 2004 bis Anfang 2014 nahm die Bevölkerung des Bezirks um 706 Personen oder mehr als 3 Prozent auf 20.450 Personen ab.
Erst vor zwei Wochen kündigte Landeshauptmann-Stellvertreter Christian Stöckl an, dass die Zahl der Betten im Krankenhaus Tamsweg nahezu halbiert wird, dass Stationen geschlossen werden. Die 300 Arbeitsplätze im Krankenhaus sollen aber erhalten bleiben. Anfang Juli schloss die Polizeiinspektion Mariapfarr.
Die Postämter in Muhr, Ramingstein und Mariapfarr schlossen im Lauf der vergangenen zehn Jahre. Eine Postfiliale gibt es neben der Bezirkshauptstadt Tamsweg nur noch in Mauterndorf. Das Bezirksgericht in Tamsweg stand auch schon auf einer Schließungsliste, ist aber noch in Betrieb. Das Vermessungsamt wird ebenso wie das Finanzamt aus der nächsten Bezirkshauptstadt St. Johann im Pongau betreut. Auch die Salzburger Sparkasse schloss 2011 zwei Filialen im Lungau - wegen Unrentabilität. Tamsweg bekam zwar ein neues Schulgebäude, im Zuge dessen wurden aber die beiden Neuen Mittelschulen zusammengelegt.
All das bringt Herrn Srutek zu einem Befund, dem man wenig entgegensetzen kann: "Der Lungau wird von Staatsseite ausgehungert, wie viele benachteiligte Regionen." Georg Gappmayer, ÖVP-Bürgermeister von Tamsweg, formuliert zwar nicht ganz so drastisch, sagt im Prinzip aber dasselbe: "Unser Bundesgebiet hat unterschiedliche Voraussetzungen und Bedürfnisse. Es gibt bereits eine allgemeine Landflucht, da muss man sich generell Gedanken machen. Das ist volkswirtschaftlich eine völlig falsche Entwicklung. Das kostet mehr, als es bringt."
Der Lungau, eine Spur größer als der Bezirk Melk in Niederösterreich, ist schon jetzt der am dünnsten besiedelte Bezirk Österreichs.
Herr Srutek rechnet vor, dass ein Prozent der Lungauer Bevölkerung von einer Schließung der Kaserne direkt betroffen wäre. Rechnet man zu jedem fixen Kasernenarbeitsplatz je einmal Frau und Kind dazu, kommt man auf mehr als 200 Betroffene, was einem Prozent der Lungauer Bevölkerung entspricht.
Bürgermeister Gappmayer könnte sich vorstellen, Verwaltungsjobs in die Peripherie zu verlagern, um die Entvölkerung aufzuhalten. Der Bezirk ist abgesehen davon überwiegend auf den Tourismus ausgerichtet. "Ob ein Computer in Wien steht oder in Tamsweg, ist letztlich egal. Wir brauchen Unterstützung vom Bund", erklärt Gappmayer. Der Erhalt der Kaserne in Tamsweg wurde zuletzt erst 2011 durch die Schließung einer anderen Kaserne bei Salzburg gesichert.
Auch jetzt will Landeshauptmann Wilfried Haslauer das letzte Wort noch nicht gesprochen haben. "Ich nehme das Papier als das zur Kenntnis, was es ist: eine Verhandlungsgrundlage", sagt er über den Reformvorschlag des Bundesheeres.
In Tamsweg findet man niemanden, der die Kasernenschließung begrüßt. "Es ist total schlimm", sagt Frau Neubacher, die in der Fleischerei Lankmayr arbeitet. Sie hat vor allem die wirtschaftlichen Auswirkungen durch den Verlust der Arbeitsplätze im Blick, aber auch der Katastrophenschutz bereitet ihr Sorgen. "Was ist, wenn ein Hochwasser kommt", fragt Frau Neubacher.
"Es ist nicht gut", sagt Sylvia Jonak, die in unmittelbarer Nähe zur Kaserne ein Gasthaus betreibt. Sie wäre von einer Schließung direkt betroffen, vor allem die Rekruten bringen ihr Geschäft. "Wenn welche da sind, kommen sie jeden Tag in größeren Gruppen", erzählt Jonak. Auch andere Betriebe wären von einer Schließung direkt betroffen, Lungauer Bäckereien beliefern die Kaserne. Die Hauptmahlzeiten kommen schon länger tiefgekühlt aus Klagenfurt.
Dieses Detail zeigt, dass der Lungau - abgesehen vom gemeinsamen Kampf um die Kaserne - teilweise nur eine lose Verbindung zum Rest seines Bundeslandes hat. Es gibt nur zwei Straßenverbindungen zum übrigen Salzburg, eine davon ist mautpflichtig. Die einzige Bahnstrecke im Bezirk führt in die Steiermark nach Murau. In den Gasthäusern des Bezirks wird nicht wie im Rest des Landes Stiegl sondern Murauer Bier getrunken.
Bei der Volksbefragung zur Beibehaltung der Wehrpflicht übertrumpften die Lungauer ihre Salzburger Landesnachbarn deutlich. Während in Salzburg gut 60 Prozent für die Beibehaltung der Wehrpflicht waren, stimmten im Lungau mehr als 70 Prozent für den Erhalt der Wehrpflicht. Dabei ist Tamsweg keineswegs ein traditioneller Kasernenstandort. Erst 1986 wurde die Strucker-Kaserne eröffnet. "Ich war bei der ersten Stunde dabei", erzählt Herr Srutek stolz. Argumentiert wurde das damals unter anderem mit Arbeitsplätzen für den strukturschwachen Lungau. Mittlerweile ist das kein hinreichendes Argument mehr.
Doch politische Prioritäten ändern sich schneller, als öffentliche Gebäude ihre Funktionstüchtigkeit verlieren. "Die Kaserne ist in gutem Zustand, man könnte sie sicher noch 30 Jahre ohne große Probleme weiterbetreiben", sagt Herr Srutek. Daraus wird wohl nichts, die Nachnutzung ist noch völlig offen. "Das werden Ruinen", ist der Pensionist überzeugt.
Das liege auch an der Lage der Kaserne. "Der Grund ist nichts wert und für Wohnbau ungeeignet. Direkt an der Mur ist es feucht, schattig und um drei Grad kälter als direkt im Ort", erzählt er. Auch Bürgermeister Gappmayer hält es für völlig unrealistisch, mit dem Verkauf die veranschlagten 5,3 Millionen Euro zu lukrieren. "Maximal spart sich das Heer die Betriebskosten in der Höhe von 200.000 Euro im Jahr", sagt Gappmayer.
Frau Neubacher glaubt, dass die Nachnutzung schon feststeht, und schlägt eine Brücke zu einem anderen medialen Dauerthema der vergangenen Wochen: "Da kommen sicher Asylanten hinein." Das schließt Bürgermeister Gappmayer aus: "Nein, der Lungau erfüllt seine Quote."