Einen Tag nach einer tödlichen Geiselnahme gab es zwei weitere Angriffe in Istanbul.
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Istanbul. Nur einen Tag nach der tödlichen Geiselnahme eines Staatsanwalts durch Linksextremisten gab es in Istanbul erneut bewaffnete Überfälle mit offenbar politischem Hintergrund. Erst stürmte am Mittwochvormittag ein Bewaffneter ein Büro der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP. Die Polizei zog daraufhin Einsatzkräfte zusammen, stürmte das Gebäude und nahm den Angreifer fest. Niemand sei zu Schaden gekommen.
Am späten Mittwochnachmittag wurde das Hauptquartier der Istanbuler Polizei attackiert. Eine "Terroristin", die eine Bombe am Körper getragen habe, sei von Sicherheitskräften getötet worden, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf den Gouverneur Istanbuls, Vasip Sahin. Der zweite Angreifer sei verwundet gefasst worden. Ein Polizist sei leicht verletzt worden.
Anadolu berichtete, die beiden Angreifer hätten am Haupteingang des Präsidiums das Feuer eröffnet. Sicherheitskräfte hätten zurückgeschossen. Anadolu zeigte ein Foto einer Toten mit einem Schnellfeuergewehr, neben der Leiche war eine Pistole zu sehen. Die Hintergründe des Angriffs waren zunächst nicht bekannt.
Linksextremisten hatten bereits am Dienstag während eines landesweiten Stromausfalls im Istanbuler Justizgebäude im Innenstadtbezirk Sisli einen Staatsanwalt als Geisel genommen. Zu der Tat bekannte sich die verbotene marxistisch-leninistische Untergrundgruppe "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C). Beide Täter wurden bei der Befreiungsaktion am Abend von der Polizei erschossen, der Staatsanwalt kam nach widersprüchlichen Berichten entweder im Gerichtsgebäude durch Schüsse ums Leben oder erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen.
Am Mittwoch nahm daraufhin die türkische Polizei bei Razzien in den türkischen Großstädten Antalya, Izmir und Eskisehir 29 Personen fest, die Mitglieder der DHKP-C sein sollen. Den Verdächtigen werde vorgeworfen, ähnliche Aktionen wie die Geiselnahme geplant zu haben. Der Anwalt der Verdächtigen wies die Vorwürfe zurück. In der Nacht zum Mittwoch gab es gewaltsame Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei in zwei Istanbuler Stadtbezirken zwischen DHKP-C-Sympathisanten und der Polizei, die Wasserwerfer und Tränengas einsetzte.
Der getötete Staatsanwalt Mehmet Selim Kiraz hatte in dem politisch bedeutenden Fall Berkin Elvan ermittelt. Der 15-jährige Jugendliche war bei den Gezi-Protesten im Sommer 2013 von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen worden, als er laut seinen Eltern Brot vom Bäcker holen wollte. Er starb nach neun Monaten im Koma und wurde zu einem Symbol der Protestbewegung, nachdem Präsident Recep Tayyip Erdogan, damals Premier, den Buben öffentlich als "Terroristen" bezeichnet hatte. Die Geiselnehmer forderten von den Polizisten, die für Elvans Tod verantwortlich seien, ein Geständnis "live im Fernsehen" und die Einstellung aller Verfahren gegen Menschen, die wegen der Teilnahme an Demonstrationen für den getöteten Jugendlichen gerichtlich verfolgt würden. Bisher wurde der Todesschütze nicht ermittelt.
DHKP-C verübte bereits mehrere tödliche Anschläge
Nach Angaben des Istanbuler Polizeichefs Selami Altinok seien vor der Stürmung sechsstündige Verhandlungen ergebnislos verlaufen, man habe handeln müssen. Es bleiben Fragen offen, vor allem: Wie konnten die Täter mit ihren Waffen in das hochgesicherte Gericht gelangen?
Die Ende der 1970er Jahre gegründete DHKP-C soll mehrere hundert Angehörige haben und wird von den USA, der EU und der Türkei als terroristische Organisation gelistet. Sie verübte seit 2001 mehrere tödliche Anschläge in Istanbul und bekannte sich zum Selbstmordanschlag auf die US-Botschaft in Ankara 2013, bei der auch ein Wachmann getötet worden war. In der Türkei werden ihr häufig "als übliche Verdächtige" Verbrechen zugeschrieben, die sie nicht unbedingt verübt haben, wie die bisher unaufgeklärten Autobombenanschläge von Reyhanli 2013, die mehr als 50 Tote forderten. Die beiden erschossenen Geiselnehmer vom Dienstag im Alter von 24 und 28 Jahren sind nach Polizeiangaben inzwischen identifiziert worden.
Am Mittwoch wurde am Gerichtsgebäude in Istanbul eine Trauerzeremonie für den getöteten Staatsanwalt abgehalten, an der viele Justizmitarbeiter und Regierungsmitglieder teilnahmen. Justizminister Kenan Ipek sagte bei der Feier, "jene dunklen Kräfte", die "die Pistole auf unsere Nation richten", würden verfolgt und zur Rechenschaft gezogen. Das Justizgebäude soll in Zukunft Kiraz’ Namen tragen.