Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nach dem 11. September 2001 ist tatsächlich nichts mehr, wie es war. Fast die ganze Welt bekundete Abscheu vor dem Verbrechen - dass tausende Menschen sterben mussten, nur weil sie zufällig in New York arbeiteten, löste auch im Großteil der islamischen Welt Unverständnis aus. Spät, aber doch hat sogar der Irak kondoliert.
Zum ersten Mal seit 1812 wurden die USA auf dem Festland von außen angegriffen und schwer in ihrem Glauben an die eigene Unverwundbarkeit erschüttert. Die Reaktion ist nahezu panisch: Dass die Flughäfen, auf denen bei inneramerikanischen Flügen nur lax kontrolliert wurde, nun verschärft überwacht werden, scheint logisch. Aber Bürgerrechtler sehen bereits die ersten Anzeichen dafür, dass die viel gerühmte Freiheit der amerikanischen Bürger in Gefahr ist. Einige Internet-Provider, bisher scharf gegen jede Kontrolle von außen, haben bereits ihre Datenbestände den Sicherheitsbehörden übergeben, ohne dass diese auch nur darum gebeten hätten. Und auch in Deutschland wird bereits über eine Lockerung des Datenschutzes diskutiert.
Totale Sicherheit gegenüber Selbstmordattentätern ist jedoch selbst mit schärfsten Maßnahmen nicht zu erreichen, das ist auch in Washington klar. US-Präsident Bush hat daher dem Terrorismus insgesamt den "Krieg" erklärt. Vorläufig konzentriert sich der Kampf aber nur auf eine Region: Auf Afghanistan. Wie ein Schlag gegen dieses für Partisanen ideale zerklüftete Land, an dem schon die russische Besatzungsmacht gescheitert ist, und das Vorgehen gegen den "Hauptverdächtigen" Osama bin Laden aussehen soll, weiß bisher kaum jemand - vielleicht nicht einmal die Amerikaner selbst.
Bush hat sich daher zunächst darauf beschränkt, mit kriegerischen Worten vor allem seinem eigenen Volk klar zu machen, dass man sich die mörderische Provokation nicht gefallen lassen wird. Es ist für ihn eine schwierige Gratwanderung. Worte wie "Kreuzzug" oder "monumentaler Kampf zwischen Gut und Böse" scheinen aus dem Fundus jener christlich-fundamentalistischen Teile der US-Gesellschaft zu stammen, die ihn in seinem Wahlkampf unterstützt hat, schreibt die deutsche "taz". Paradoxerweise ähnelt dies der Sichtweise der Terroristen, für die der Westen einen mit allen Mitteln zu vernichtender Feind darstellt. Der martialischen Cowboy-Rhetorik des Texaners - wir wollen bin Laden "dead or alive" - steht allerdings auch der Versuch gegenüber, in einer Moschee in den USA sowohl die islamischen Mitbürger als auch aufgebrachte Wirrköpfe zu beruhigen. Immerhin haben Übergriffe auf Muslims bereits zu Todesopfern geführt.
Man darf annehmen, dass dieser Akt auch nach außen gerichtet war - in Richtung jener islamischen Staaten, die Bush als Verbündete im Kampf gegen den Terror zu gewinnen sucht. In diesem Punkt ist er zumindest bisher seinem Vater gefolgt, der als Präsident im Golfkrieg um möglichst breite Unterstützung warb.
Und er folgt auch dem Autor Samuel Huntington, dessen Buch "Clash of Civilizations" aus dem Jahr 1996 nun wieder in aller Munde ist. Der Harvard-Professor meint in einem Interview mit der "Zeit", das Massaker von New York allein sei noch keine Zeichen für diesen "Kampf der Kulturen", alles hänge von der Haltung der islamischen Länder zum Terrorismus ab.
Bei deren Einbindung in eine Anti-Terror-Koalition, wie sie Huntington fordert, könnte Europa, vom Nahost-Konflikt nicht so belastet wie die USA, eine entscheidende Vermittlerrolle spielen - also eine neue Herausforderung für die europäische Außenpolitik ebenso wie für die der USA.