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Kampf der Kulturen oder Ende der Geschichte?

Von Thomas Seifert

Politik
Vier Gesichter, vier Identitäten: Bobo, Arbeiter, Wutbürger, Bourgeois.
© WZ Illustration

Der ideologische Streit zwischen Samuel Huntington und Francis Fukuyama geht in die nächste Runde.


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Wien. Folgt auf den Nationalstaat - eine Idee des 19. Jahrhunderts - im 21. Jahrhundert der "Zivilisationsstaat"? Diese Frage warf der stets geistreiche Kommentator der "Financial Times", Gideon Rachman, in seiner jüngsten Kolumne auf. Ein "Zivilisationsstaat" ist ein Land, das sich nicht nur auf ein bestimmtes traditionelles Siedlungsgebiet oder eine traditionelle Sprache oder ethnische Gruppe beruft, sondern auf eine bestimmte Zivilisation.

Die Ideengeschichte dieses Konzepts lässt sich zumindest bis ins Jahr 1992 zurückverfolgen. Der US-Sinologe Lucian W. Pye schrieb damals in seinem Buch "The Spirit of Chinese Politics": "China ist eine Zivilisation, die so tut, als wäre sie ein Nationalstaat." Diese Idee griff der China-Kenner Martin Jacques in seinem 2009 erschienen Bestseller "When China Rules the World" wieder auf: China wurde am Ende des 19. Jahrhunderts ein Nationalstaat - das schwache Reich wurde von den dominanten westlichen Kolonialmächten dazu gezwungen, am internationalen System teilzunehmen. Chinas Geschichte als Nationalstaat, so Jacques, lässt sich 120 bis 150 Jahre zurückverfolgen, die Geschichte der chinesischen Zivilisation begann hingegen vor tausenden von Jahren. Zhang Weiwei, Professor an der Shanghaier Fudan-Universität, hat diese Ideen wieder zurück nach China gebracht und argumentiert in seinem Buch "The China Wave: Rise of a Civilisational State", dass der Erfolg Chinas auf die Rückbesinnung auf konfuzianische Kultur und meritokratische Traditionen beruhe.

Chinas Präsident Xi Jinping beruft sich in Reden stets auf Chinas Zivilisation, für Indiens Regierungspartei von Premier Narendra Modi, die Bharatiya Janata Party, ist die Idee einer indischen, hinduistischen Zivilisation ebenfalls attraktiv. Doch die Idee des Zivilisationsstaats bringt Probleme mit sich: Welchen Platz haben Tibeter und Uiguren im von Han-Chinesen dominierten Zivilisationsstaat China? Und welchen Raum bekommen in einem von Hindutva geprägten Indien Muslime, Christen, Sikh, Jaines, Buddhisten, Parsen oder säkulare Humanisten? Wer nicht zur Kern-Zivilisation gehört, bleibt nach diesen Ideen am Rand: Das betrifft ethnoreligiöse Minderheiten, Migranten genauso wie kosmopolitische Globalisten.

Und doch: Derzeit scheint die Idee des Zivilisationsstaats auf dem Vormarsch. Russland beschwört seine Rolle als Herzland des eurasischen Doppelkontinents und sieht sich als Hüter des wahren, orthodoxen, Christentums. Steve Bannon - er war kurze Zeit Chefberater von Donald Trump im Weißen Haus -, arbeitet mit Benjamin Harnwell vom ultrakonservativen, rechtskatholischen Institut "Dignitas humanae" zusammen, um in der mittelalterlichen Kartause Trisulti in Collepardo (100 Kilometer südöstlich von Rom) ein Studienzentrum aufzubauen und glaubt an einen "Kampf der Kulturen". Diesen beschrieb Samuel Huntington in seinem gleichnamigen Buch - das auf einer Vorlesung aus dem Jahr 1992 fußt. Huntingtons Thesen waren übrigens eine direkte Antwort auf Francis Fukuyamas Buch: "Das Ende der Geschichte".

Es scheint, dass diese Debatte - hier Fukuyama, der rationale Optimist, der an die liberale Demokratie als Endpunkt der Geschichte glaubt und dort Huntingtons gelehriger Schüler Steve Bannon, der eine Art Neo-Manichäismus, wo die Mächte des Lichts den Mächten der Finsternis gegenüberstehen, predigt.

Politik der Würde

Doch während Steve Bannon über den "Clash of Civilizations" reden will und über den "Krieg gegen Islamofaschisten", interessiert Fukuyama die Frage, wie der Niedergang der liberalen Demokratie gestoppt werden kann.

Fukuyama fokussiert in seinem zuletzt erschienenen Buch "Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet" auf die Frage von - genau - Identität. Er rät zu Maßnahmen, die wieder zu stärkerer Kohäsion innerhalb westlicher Gesellschaften führen (wie etwa einem verpflichtenden sozialen Jahr), verstärkte Maßnahmen zur erfolgreichen Integration und Assimilation von Migranten und der Wiederherstellung eines höheren Grads an sozialer Gerechtigkeit. Die Linke habe sich - vor allem in den USA - zu lange damit zufriedengegeben, Fragen des Respekts und der Gleichberechtigung benachteiligter Gruppen zu thematisieren, anstatt konkrete Pläne vorzulegen, wie gegen die soziale und wirtschaftliche Benachteiligung dieser marginalisierten Gruppen vorgegangen werden kann.

Für Fukuyama sind soziale und politische Konflikte lösbar, wenn es um Verteilungsfragen geht. Sobald diese Konflikte allerdings als Identitätsfragen daherkommen, ist es schwierig, Kompromisse zu finden. Für Fukuyama lenken Identitätsdebatten davon ab, Lösungen für die der Auseinandersetzung zugrunde liegenden sozialen Fragen zu finden.

Das Muster ist bekannt: Debatten über Sozialpolitik werden im Rahmen eines Identitätsframings geführt - so wird jedes sozialpolitische Problem zu einem "Ausländer-, Integrations- oder Identitätsproblem. Unter diesem Framing verschwinden soziale Gruppengegensätze und machen neuen politischen Frontverläufen Platz. Fukuyama schreibt in seinem Buch: "In Ländern mit diversen ethnischen und religiösen Schichten wie den USA, Südafrika oder Indien war es viel schwieriger, eine breite Koalition der Arbeiterklasse zu bilden, die um Umverteilung kämpfen könnte, weil jene Gruppen, die sich mit einem höheren sozialen Status identifizierten, nicht gemeinsame Sache mit jenen Gruppen in den unteren sozialen Schichten machen wollten und vice versa."

William Davies brandneues Buch "Nervous States. Democracy and the Decline of Reason" versucht so wie Fukuyamas Buch, einen Beitrag zur gegenwärtigen Debatte zu leisten: Vor allem die Handlungsanleitungen zur Bewältigung der derzeitigen Krise der Demokratie sind beachtenswert. Davies ist - so wie Fukuyama - ein ultra-rationalistischer politischer Schriftsteller.

Aber so wie Fukuyama in seinem Buch die Sehnsucht der Menschen nach Zugehörigkeit anerkennt, ruft Davies dazu auf, zu akzeptieren, dass Angst und Ressentiment Teil der menschlichen Natur sind. "Zu einer Zeit, wo diese Kräfte unsere politische Sphäre erobern, haben wir die Chance zuzuhören und diese menschlichen Eigenschaften zu verstehen."