Das Vorgehen gegen die Korruption in der Ukraine gestaltet sich schwer.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Kiew. Die Tulpen und Dahlien standen auch in diesem Sommer wieder in voller Blüte, neben den Schwertlilien und den prächtigen Rosen. In kleinen Beeten rankten sich Gurken, Tomaten und Radieschen. Es ist ein schöner Anblick, aber trotzdem erfüllte er Maria mit Schwermut - besonders in diesem Jahr.
Maria Pristinskaja ist Juristin und versucht seit Jahren, das Grundstück legal auf ihren Namen überschreiben zu lassen. Vergebens. Dabei wäre die Überführung in Marias Eigentum nur eine Formalität: Das 1000 Quadratmeter-Grundstück im Südosten Kiews wurde Marias Familie noch zu Sowjetzeiten, in der Gorbatschow-Ära, zugeschlagen, erzählt Maria. Aber weil sich Maria weigert, in den Amtsstuben die üblichen Schmiergelder zu zahlen, bleibt Maria ihr Recht verwehrt, das Grundstück auf ihren Namen zu registrieren.
"Meine Familie nutzt das Grundstück schon seit mehr als 20 Jahren, aber die Bürokratie und die Korruption ermöglichen es mir nicht, es gesetzlich auf mich zu überschreiben." Maria schüttelt ihren schwarzen Lockenkopf. "Das Gesetz ist vollkommen auf meiner Seite - aber es passiert trotzdem nichts."
Keine Spur von "neuem Leben"
Im Winter, als die Blumen- und Gemüsebeete unter einer dicken Schneedecke lagen, demonstrierte Maria wenige Kilometer weiter, auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan. Gegen das System, gegen Korruption und gegen und die ständigen Bestechungsgelder auf den Ämtern. Nach dem Umsturz klopfte Maria in der Sache wieder bei den Kiewer Amtsstuben an - vergeblich. Vom "neuen Leben", das der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in seinem Wahlkampf beschworen hatte, keine Spur.
Wie Maria, so haben viele Ukrainer große Hoffnungen in einen politischen Neustart gesteckt. Das Ende der Korruption war eine der Hauptforderungen am Maidan. "Korruption bestimmt alle Bereiche des ukrainischen Alltags", schrieb die ukrainische NGO People First Foundation zuletzt in einem Beitrag. Laut einer Umfrage des Kiewer Instituts Gorschenin gaben 68,5 Prozent der Ukrainer zu, im Alltag Bestechungsgelder zu bezahlen. Wer das nicht tut, wird auf den Behörden schikaniert - wie Maria.
Zuletzt wurde allerdings ein Wendepunkt im Kampf gegen die Korruption erzielt: Am 14. Oktober wurde im ukrainischen Parlament in zweiter Lesung ein Gesetzespaket zur Korruptionsbekämpfung angenommen. Die Maßnahmen reichen von einem Anti-Korruptions-Büro bis hin zu einem offenen Register über die Vermögensverhältnisse hochrangiger Beamter.
"Der Kampf mit der Korruption ist in erster Linie unser internes Problem. Wir müssen handeln. Das hat oberste Priorität!", twitterte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko dazu. "Dieses Anti-Korruptionspaket anzunehmen, wird der Ukraine die Chance geben, sich endlich auf den Weg wirklicher Korruptionsbekämpfung zu machen", hatte der ukrainische Premier Arseni Jazeniuk zuvor für das Paket die Werbetrommel gerührt.
Doch der Kampf gegen die Korruption verlief längst nicht so linear und geschlossen, wie die Jubelmeldungen der beiden Politiker glauben machen wollen. Monatelang waren Anti-Korruptions-Gesetze immer wieder im ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, durchgefallen. Kritiker hatten den Parlamentariern wiederholt den politischen Willen abgesprochen, der Korruption ernsthaft entgegentreten zu wollen - Journalisten gehen davon aus, dass es im ukrainischen Parlament nur eine Handvoll Parlamentarier gibt, die nicht von Oligarchen abhängig sind. Der Vorwurf: Sie hätten kein Interesse an transparenten Regeln - aus handfestem Eigeninteresse.
Politiker in Mülltonne geworfen
Dass es aber diesmal dennoch geklappt hat, wird vor allem massivem Druck von außen zugeschrieben: Der Internationale Währungsfonds knüpft die Auszahlung weiterer Finanzhilfen an maßgebliche Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung. Die nächste Tranche soll im Dezember fließen.
Außerdem hatten Anti-Korruptions-Aktivisten zuletzt zu unorthodoxen Mitteln gegriffen, um die Parlamentarier zur Verabschiedung der Gesetze zu drängen: Bei der ersten Lesung hatten Aktivisten gedroht, Parlamentarier, die gegen das Gesetz stimmen, vor der Werchowna Rada mit Tomaten zu bewerfen. Auf der Galerie des Parlaments prangte das Plakat mit der Aufschrift: "Nur Korrupte wählen nicht für das Anti-Korruptions-Paket", flankiert von einer Zielscheibe und einer Tomate. Zuletzt war es zu tätlichen Angriffen auf Parlamentarier gekommen: Wenige Tage zuvor hatten Aktivisten einen ehemaligen Parteigänger des gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch in eine Mülltonne geworfen.
Der Zeitpunkt ist wohl auch aus anderen Gründen nicht ganz zufällig: Am Sonntag wählt die Ukraine ein neues Parlament. Den Kampf gegen die Korruption haben sich praktisch alle Parteien auf die Fahnen geschrieben - passiert war indes bisher wenig.
Experten sehen in dem Gesetz einen Meilenstein, wenngleich der Weg zur Korruptionsbekämpfung noch lang ist. "Das Wichtigste ist, dass das Gesetz durch ist", kommentiert Oleskij Chmara, Direktor von Transparency International (TI), die Abstimmung. "Die Gesetze wirken aber erst ab 2015 - und auch nur dann, wenn dafür auch Geld im Budget vorhanden ist. Das ist erst der Anfang", so Chmara weiter. "Das Allerwichtigste ist es, jetzt zu zeigen, dass die Strafverfolgung von hochrangigen korrupten Politikern unumkehrbar ist - ob sie nun aus dem Umfeld von Wiktor Janukowitsch stammen oder nicht."
Wiktor Tschmuak warnte indes davor, die Erwartungen allzu hoch anzusetzen. Tschumak ist Mitglied der Partei "Udar" und leitet in der Werchowna Rada derzeit das Komitee für Korruptionsbekämpfung: "Das heißt jetzt nicht, dass wir in einem halben Jahr wie in der Schweiz oder in Finnland leben werden. Darüber mache ich mir gar keine Illusionen - aber jede Verbesserung im Index von TI ist ein Gewinn", so Tschumak zuletzt vor Journalisten in Kiew.
Im Ranking von TI hat die Ukraine tatsächlich Luft nach oben: Derzeit rangiert die Ukraine auf Platz 144 von 177 Ländern - ex aequo mit Kamerun, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young zählt die Ukraine gar zu den drei korruptesten Ländern der Welt.
"Säuberung" der Behörden
Von einem "historischen Tag für die Ukraine" sprach indes zuletzt der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Er hat dieser Tage das Gesetz zur Lustration - der "Säuberung" der Behörden - unterschrieben. Dadurch sollen bis zu eine Million Beamte auf ihre Loyalität und ihre Vermögensverhältnisse abgeklopft werden. "Der Staatsapparat wird neu aufgestellt", schrieb Poroschenko auf seiner Facebook-Seite, um mit der Schlussformel des Maidan "Slawa Ukraini - Ruhm der Ukraine" zu enden.
Der pathetischen Phrasen ist Maria derweil überdrüssig. Wiederholt hat sie beim Kiewer Bürgermeisterbüro von Witali Klitschko um Hilfe für ihren Fall nachgefragt - bisher ohne Antwort. Maria ist enttäuscht. "Ich habe diese Gesetzlosigkeit so satt", sagt sie. "Es ist, als hättest Du einen Koffer, den Du immer mitschleppen musst - aber ohne Griff." Das neue Gesetz zur Korruptionsbekämpfung gibt ihr zumindest neue Hoffnung - bis zum nächsten Gang aufs Amt.