Als "Soldaten des Hinterlandes" spielten Hausfrauen im Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle. Sie mussten für die alltägliche Bewältigung des Lebens im Ausnahmezustand sorgen.
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"Der furchtbareKrieg,den wir jetzt erleben, wird nicht nur mit Blei und Pulver geführt, sondern ist auch ein volkswirtschaftlicher Krieg, so daß jeder Einzelne, ob männlichen oder weiblichen Geschlechtes, Soldat in diesem Kriege sein muß. Die beste Waffe, die die Frau in die Hand bekommt, ist ihr seit jeher vertraut - es ist der Kochlöffel. Mit ihm muß sie in den Kampf ziehen, zum Wohle unseres geliebten Vaterlandes."
Mit diesen Worten leitete eine Wiener Frauenzeitschrift im Frühling 1915 einen Artikel über zeitgemäße Hausarbeit ein, und mit zahllosen ähnlichen Aufforderungen wurde die weibliche Bevölkerung während des Ersten Weltkriegs immer wieder direkt angesprochen und in ihrer Rolle als Hausfrauen in die Pflicht genommen. Der traditionell männlich konnotierte Krieg erhielt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sehr schnell auch ein spezifisch weibliches Gesicht: Die Frauen galten von Beginn an als wichtige Akteurinnen, wobei sie vor allem als "Soldaten des Hinterlandes" und als "weibliche Ersatzreserve" adressiert wurden.
In Anknüpfung an die herkömmliche Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen kam ihnen besonders in Haushalt und Familie eine kriegswichtige Funktion zu. Indem die Hausarbeit zu einem entscheidenden und überlebenswichtigen "Schlachtfeld" erklärt wurde, erfuhr sie eine Aufwertung und gewann an Sichtbarkeit in der öffentlichen Wahrnehmung. Gleichzeitig ging damit natürlich eine Zementierung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und damit verbundener Rollenleitbilder einher.
Stadt als "Heimatfront"
Daran änderte auch die Tatsache nicht wesentlich etwas, dass mit fortschreitendem Krieg wegen der Abwesenheit der Männer immer mehr Frauen Tätigkeiten ausüben mussten, die zuvor Männern vorbehalten gewesen waren.
Beim Ersten Weltkrieg handelte es sich zwar um einen Krieg, dessen Fronten weit entfernt von Wien lagen, dennoch war die Zivilbevölkerung in hohem Ausmaß in das Kriegsgeschehen involviert und von seinen Auswirkungen betroffen. Die Stadt wurde - wie das restliche "Hinterland" - zur "Heimatfront" erklärt, an der sich möglichst alle Bevölkerungsgruppen, inklusive der Kinder, nützlich machen und zum Sieg beitragen mussten.
Für die Frauen brachte der Kriegsalltag auf unterschiedlichsten Ebenen zahlreiche Änderungen und massive Belastungen. Sie waren nun nicht nur vielfach zu Erwerbstätigkeit (oder zumindest zu außerhäuslichen Hilfsdiensten) gezwungen, was damals für bürgerliche und adelige Frauen ungewöhnlich war. Auch hinsichtlich ihrer Aufgaben in Haushalt und Familie sahen sie sich mit Neuerungen und Problemen konfrontiert, die vor allem aus der immer katastrophaler werdenden allgemeinen Ernährungs- und Versorgungskrise resultierten.
Versorgungsengpässe
Die privaten Haushalte waren nun in einem zuvor unbekannten Ausmaß in die Gesamtwirtschaft eingebunden und konnten nur noch sehr beschränkt nach eigenem Gutdünken agieren. Da sich bereits nach wenigen Kriegsmonaten erste Versorgungsengpässe bei Nahrungsmitteln abzeichneten und ab April 1915 immer mehr Lebensmittel und Bedarfsgüter auf Kartenbezug umgestellt wurden, kontrollierten die Regierungsstellen und Gemeindeverwaltungen de facto nicht nur die Zuteilung, sondern auch den Verbrauch von Konsumgütern in den einzelnen Haushalten.
Zusätzlich verschafften sich öffentliche Stellen durch flankierende Propagandamaßnahmen sowie Schulungs- und Aufklärungsaktivitäten im übertragenen Sinn Eintritt in die Küchen. Die Zusammenhänge zwischen privater Hauswirtschaft und Volkswirtschaft wurden nun buchstäblich am eigenen Leib erfahrbar und rückten immer mehr in den Fokus weiblicher Aus- und Weiterbildung. Hausarbeit wurde zur staatstragenden Macht, die Konzentration auf das Wohl der eigenen Familie galt als egoistisch und verantwortungslos. Das für die Bewältigung des Lebens im Ausnahmezustand notwendige neue Wissen mussten sich die Frauen mit Hilfe von Kursen, Vorträgen, Beratungsstellen von Frauenorganisationen und Hilfseinrichtungen, Kriegskochbüchern, Haushaltsratgebern, Zeitungen und Zeitschriften, amtlichen Anschlägen und Mitteilungen aneignen. Überall wurde klar gemacht, dass das Überleben des Individuums wie des Volkes nicht zuletzt vom umsichtigen und verantwortungsvollen Handeln der Hausfrau abhänge - darin waren sich Politik, Verwaltung und Frauenorganisationen unterschiedlicher Richtungen einig.
Die von einem Großteil der Frauen mitgetragene anfängliche Kriegsbegeisterung wich bald dem Zwang, alle Kräfte auf das Überleben zu konzentrieren. Hausarbeit bedeutete im Ersten Weltkrieg vor allem ein Wirtschaften mit dem Mangel. Dies betraf insbesondere die Ernährung, aber auch verschiedene andere Güter des täglichen Bedarfs, wie Kleidung und Schuhe, Hygieneprodukte oder die Energieversorgung. Dazu kamen finanzielle Nöte durch geringere Familieneinkünfte, die zeitliche Belastung durch das ständige stundenlange Anstellen um die rationierten Nahrungsmittel, die Erledigung von familiären Aufgaben, die zuvor die Männer erledigt hatten, oder die Übernahme von diversen gemeinnützigen Hilfstätigkeiten.
"Man muß sich eine vollständig veränderte Lebenseinteilung angewöhnen", hieß es dazu lapidar in der eingangs zitierten Zeitschrift. Auf Dauer ging diese ständige Überlastung vielen Frauen an die physische und psychische Substanz, zumal noch die Sorge um die männlichen Familienmitglieder an der Front und um das Gedeihen der Kinder dazu kam.
"Zwangsvegetarismus"
Kein Wunder also, dass der Kräfte raubende und zusätzlich durch Hunger und schlechte hygienische Verhältnisse geprägte Kriegsalltag den Gesundheitszustand vieler Frauen enorm verschlechterte und ihre Sterberate um mehr als 55 Prozent ansteigen ließ. Zahlreiche Dinge, die zuvor über den Markt bezogen worden waren (in den Städten hatte die hauswirtschaftliche Eigenproduktion seit dem späten 19. Jahrhundert deutlich abgenommen), mussten nun wieder selbst hergestellt werden. Das reichte von der Bevorratung mit verschiedenen Lebensmittelkonserven über das Kochen von Seife bis hin zur Besohlung von Schuhen. Das wiederholte Reparieren von beschädigtem Hausrat oder abgenutzter Kleidung war unumgänglich, da Neues aufgrund der kriegswirtschaftlichen Produktions- und Einkommensverhältnisse häufig nicht nachgekauft werden konnte.
Ungewohnt waren zudem die vielen Ersatzlebensmittel und jene Zutaten, die man in Friedenszeiten als zu minderwertig erachtet hatte. So wurden etwa zahllose Rezepte und Anleitungen darüber publiziert, wie das fehlende Weizenmehl durch andere Getreidesorten wie Mais oder Hirse, die oft völlig andere Koch- und Backeigenschaften besaßen, ersetzt werden konnte. Da Fleisch nur eingeschränkt zur Verfügung stand, hielt ein gewisser "Zwangsvegetarismus" Einzug in die Speisepläne. "Haferschnitzel" oder "Pilzgulasch" führten zwar noch die Bezeichnungen von Wiener Leibspeisen im Namen, bestanden aber aus frugalen Zutaten.
Durch den Mangel an Fetten konnte sich die - ebenfalls selbst gemachte - Marmelade als Brotaufstrich einen neuen, wichtigen Platz erobern. Und selbst bei der Speisendekoration war der Krieg präsent, denn die Frauenzeitschriften enthielten immer wieder Ratschläge für das Schmücken der fertigen Gerichte mit kleinen Papierflaggen der Verbündeten und ähnlichem patriotischen Beiwerk - es sollte wohl auch ein Versuch sein, den Missmut wegen der schlechten Ernährungslage in eine heroische staatstragende Geste zu wenden.
Symbol des Mangels
Ein Küchengerät, das zwar schon länger existierte, während des Ersten Weltkriegs jedoch einen enormen Popularitätsschub erlebte und wie die Lebensmittelmarken zu einem Symbol der Mangelwirtschaft wurde, war die Kochkiste. Dabei handelte es sich um eine Holzkiste mit einem fest schließenden Deckel, die zur Wärmeisolierung mit Heu, Holzwolle oder ähnlichem Dämmmaterial gefüllt war und Vertiefungen für die Aufnahme von Kochtöpfen besaß. Das Essen wurde zunächst auf dem Herd angekocht und dann zum Fertiggaren im eigenen Dampf für mehrere Stunden in die Kochkiste gegeben.
Auf diese Weise konnte Heizenergie ebenso gespart werden wie Zeit - das war für die nun häufig außer Haus befindlichen Frauen ein willkommener Zusatznutzen. Vielfach wurde aber gar nicht mehr in der eigenen Küche gekocht, sondern man ging für die bescheidenen Mahlzeiten in eine der zahlreichen Kriegsküchen und Ausspeisungen, wo wiederum weibliches Personal das Bild beherrschte.
Eine weitere kriegswichtige Beschäftigung, in welche die Frauen viel Zeit investierten, waren die "weiblichen" Handarbeiten, wie etwa Stricken und Nähen. Nicht nur der eigene Bedarf war zu decken, auch die propagandistisch als "Liebesgaben" hochstilisierten Socken, Mützen, Handschuhe, Schals, Unterhosen und Prothesenstrümpfe für die Soldaten halfen eine mangelnde Versorgung mit Kleidung zu kompensieren.
Insgesamt führte der Erste Weltkrieg zu einer strukturellen Angleichung der Bürger- und Arbeiterhaushalte - eine Entwicklung, die sich in den Nachkriegsjahren noch verstärkte: Durch den massiven Rückgang häuslicher Dienstboten und den inflationsbedingten Verlust zahlreicher Vermögen musste nun auch in den höheren Schichten die anfallende Arbeit zunehmend von den Frauen allein bewältigt werden, und die Doppelbelastung durch Erwerbs- und Hausarbeit betraf nicht mehr nur Arbeiterfrauen. Vor diesem Hintergrund sind jene Professionalisierungs-, Rationalisierungs- und Technisierungsbestrebungen zu sehen, die in der Zwischenkriegszeit dann die Debatten über die "Neue Frau" und den "Neuen Haushalt" bestimmen sollten.
Susanne Breuss, geboren 1963, ist Kulturwissenschafterin und Kuratorin im Wien Museum. Sie ist ständige Glossistin der "extra"-Rubrik "schwarz & weiß".