Herausforderer Capriles: "Trete gegen sehr schlechten Kandidaten an."
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Rio de Janeiro/Caracas. Nach kurzem, heftigem Wahlkampf entscheidet sich am Sonntag in Venezuela, welchen Kurs das Land nach dem Tod des charismatischen Hugo Chávez einschlagen wird. Den Umfragen zufolge kann sich Übergangs-Präsident Nicolás Maduro gute Chancen ausrechnen. Oppositionskandidat Henrique Capriles hat seinen versöhnlichen Ton aufgegeben und greift Maduro hart an.
Maduro, der Chávez sechs Jahre lang als Außenminister diente, hat den Vorteil, dass Chávez ihn vor seinem Tod ausdrücklich dem Volk als Nachfolger empfahl. Der 50-Jährige, der sich nie einer Wahl gestellt hat, präsentiert sich deshalb als Garant der Kontinuität. "Chávez, ich schwör dir’s, ich wähl’ Maduro", dieser Spruch, der sich auf Spanisch reimt, wurde zum Motto des Regierungslagers.
Die Kritiker mögen Maduros Versuche, an das Vorbild Chávez anzuknüpfen, als lächerlich empfinden. Tatsächlich ahmt er Chávez’ Stil zu reden, zu argumentieren, zu scherzen bis in die Details nach. Aber ein Großteil der Anhänger des am 5. März gestorbenen Präsidenten sieht das offenbar ganz anders. Bei ihnen kommt die bis ins Religiöse verschobene Glorifizierung des angebeteten Chávez gut an. Dass sich Maduro ausdrücklich als "Apostel" des "Erlösers der Armen" bezeichnet, passt in den Zusammenhang. Selbst die Behauptung Maduros, ihm sei Chávez als Vögelchen erschienen, scheint auf die Anhänger des Chávez-Kultes noch plausibel zu wirken.
Hinzu kommt, dass Maduro die klassischen Instrumente chávezscher Wahlkämpfe einsetzt, von der Beschimpfung der Opposition als faschistisch und vaterlandsverräterisch bis zum Vorwurf, sie plane Putsch und Attentat. Diesmal sollen es Söldner aus El Salvador gewesen sein - mehr als 30 Mal, so zählte die Presse, sind solche Vorwürfe seit Chávez’ erstem Wahlsieg 1998 erhoben worden. Am Dienstag hat Venezuela seine Grenzen geschlossen und die Sicherheitsvorkehrungen im ganzen Land verstärkt.
Wenige Tage vor der Wahl hat Maduro versprochen, den Mindestlohn bis November um bis zu 45 Prozent zu erhöhen. Hinzu kam die Ankündigung, hart gegen Korruption vorzugehen, die eine Konstante der Regierungspolitik ist - die Ankündigung ebenso wie die Korruption.
Dennoch ist fraglich, ob die Strategie aufgeht. Die Umfragen, laut denen Maduro einen soliden Vorsprung von etwa zehn Prozent hat, sind wegen des kurzen Wahlkampfs nur begrenzt aussagekräftig; die Stimmung kann sich gedreht haben. Je mehr Maduro sich an Chávez orientiert, desto mehr könnte er als bloßes Imitat erscheinen. Charisma hat Maduro kaum. Ein Teil der Wähler könnte einen eigenen Führungsstil und eigene Ziele an ihm vermissen.
Capriles greift an
Herausforderer Capriles, der bei der Wahl im Oktober 2012 gegen Chávez 45 Prozent der Stimmen holte, greift Maduro frontal an. Das ist ein deutlicher Schwenk; vor einem halben Jahr hat er den Namen Chávez so gut wie nie öffentlich erwähnt. Damals war in seinem Lager der Vorwurf zu hören, er sei zu lax; diesmal kann man ihm das nicht vorhalten.
Der 40-jährige Anwalt, der im Bundesstaat Miranda als Ministerpräsident eine gute Figur gemacht hat, nennt Maduro öffentlich nur beim Vornamen: "Das Problem bist du, Nicolás!" Er wirft ihm vor, in der kurzen Zeit seiner Übergangs-Präsidentschaft habe Venezuela "den schlimmsten Moment der vergangenen Jahre" durchlebt. Diese Argumentation hat zwar den merkwürdigen Effekt, die Chávez-Zeit als relativ gut zu bezeichnen, aber zugleich zielt sie auf die gerade unter Chavisten weit verbreitete Meinung, an den Übeln Venezuelas sei nicht Chávez schuld, sondern seine korrupte, unfähige und kriecherische Entourage.
Diesmal, so frohlockt Capriles, trete er nicht gegen einen "nationalen Führer" an, sondern gegen einen "sehr schlechten Kandidaten". Folglich hat er auf eine öffentliche Debatte mit Maduro gedrungen, was das Regierungslager jedoch abgelehnt hat. Während Maduro die Errungenschaften des Chavismus herausstreicht und vor allem die Verringerung von Armut und Ungleichheit erwähnt, greift Capriles die hohe Kriminalität, die Versorgungsengpässe, die Abhängigkeit von Kuba und die großzügigen Öl-Lieferungen an ideologisch nahestehende Staaten wie Nicaragua auf.