Zum Hauptinhalt springen

Kampf um die Geschichte

Von Walter Hämmerle

Politik

Neuer Sammelband will nüchternen Blick auf die Ära Schüssel werfen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Von "Unsicherheit" sprach ÖVP-Klubchef Karlheinz Kopf in Bezug auf die Bewertung der schwarz-blau/orangen Ära (2000 bis 2007). Das Wort trifft es nicht wirklich, weil praktisch jeder auch nur halbwegs politisch Interessierte eine höchst prononcierte Meinung zu dieser Epoche der jüngeren österreichischen Geschichte hat: Als solcher ist man entweder enthusiastisch dafür oder dagegen - dazwischen gibt es keine Abstufung. Entsprechend schlussfolgerte Historiker Robert Kriechbaumer, dass "die Ära Schüssel noch nicht Teil der Geschichte ist", die wie keine andere nach 1945 Wissenschafter und Zeitzeugen entzweie.

Anlass für die Reden war die Präsentation eines wissenschaftlichen Sammelbands, bei dem die beiden - durchaus ÖVP-nahen -Historiker Kriechbaumer und Franz Schausberger als Herausgeber fungieren, mit dem Anspruch einer kritischen Bilanz dieser Jahre am Dienstagabend im Hohen Haus. Selbstgestellter Anspruch ist es dabei, auf über 840 Seiten die Politik dieser Jahre ohne ideologische Scheuklappen zu bewerten, Errungenschaften zu würdigen und Misserfolge zu kritisieren. Schwerpunkte bilden dabei die Wirtschafts- und Finanzpolitik, Europa- und Kulturpolitik sowie die Vergangenheitspolitik, als Autoren fungieren unter anderen Ernst Hanisch, Michael Gehler, Heinz Fassmann, Wolfgang C. Müller und Herbert Dachs.

Wie schwer eine nüchterne Bewertung dieser Jahre heute noch fällt, zeigt der Umstand, dass ausschließlich ÖVP-Angänger und ehemalige Weggefährten von Altkanzler Wolfgang Schüssel anwesend waren. Aktuelle und ehemalige Politiker von FPÖ und BZÖ glänzten mit Abwesenheit. Beim Kampf um die Lufthoheit über den Stammtischen bei der Bewertung dieser Ära ist die ÖVP offensichtlich auf sich allein gestellt. Und dass bis dato etliche Korruptionsverdachtsfälle aus diesen Jahren Medien und Justiz beschäftigen, macht die Aufgabe nicht wirklich leichter.

Kriechbaumer, Schausberger (Hg.): Die umstrittene Wende. Österreich 2000-2006, Böhlau, Wien 2013