Staudamm-Projekte bedrohen die albanische Vjosa. Umweltschützer und Anrainer protestieren.
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Tirana. "Ihr dürft das Land unserer Vorfahren nicht zerstören", "Kein Damm!", "Wir werden nicht aufgeben", steht auf den Schildern und Bannern geschrieben. Rund 150 Menschen, darunter die Präsidentin des Europaparlaments Ulrike Lunacek, haben sich am Ufer des Wildflusses Vjosa nahe des Ortes Qeserat im Süden Albaniens versammelt. Sie fordern Premier Edi Rama auf, den geplanten Bau eines Großkraftwerks zu stoppen. Es ist Tag 33 der Balkan Rivers Tour, bei der Kajakfahrer aus ganz Europa auf den Flüssen zwischen Slowenien und Albanien unterwegs waren. Die Vjosa, "Königin des Balkans", ist die letzte Etappe auf der Tour, die ins Leben gerufen wurde, um gegen den "Staudamm-Tsunami" am Balkan zu protestieren. Rund 2700 Projekte sind derzeit geplant, 400 davon in Albanien, acht entlang der Vjosa.
Die Demonstranten setzen viel Hoffnung in Lunacek, in Europa, in das EU-Parlament. Es soll Druck machen auf Albanien, das nach wie vor Lizenzen für Wasserkraftwerke an der Vjosa vergibt. "Im Jahr 1984 haben wir in Österreich gegen ein Kraftwerk protestiert", ruft Lunacek in ein Megafon, umringt von albanischen Männern aus den umliegenden Dörfern. "Damals haben wir gewonnen - es wurde nicht gebaut." Jubel. Lunacek hat dafür gesorgt, dass der Passus über die albanischen Kraftwerke im Bericht des Europaparaments zu Albanien aufgenommen wurde. Darin rufen die EU-Mitgliedstaaten den Balkanstaat ausdrücklich zum Schutz seiner Flüsse auf.
Einen idyllischeren Ort für die Endkundgebung der Balkan Rivers Tour kann man sich kaum vorstellen. Insekten brummen über dem hohen Gras, Schafe und Ziegen laufen über die Hänge, Rinder grasen neben den Demonstranten. Am Ufer stehen Männer in albanischer Tracht und singen Volkslieder, immer geht es um die Vjosa, stets wird ihre Schönheit gelobt. Der iso-polyfone Sänger Golek, weltberühmt in Albanien, wie es augenzwinkernd heißt, erhebt seine Stimme gegen das Kraftwerk. Weiter unten, an der tiefsten Stelle des Tals, fließt die Vjosa durch ihr wildes Kiesbett. Die Königin der Flüsse ist das ideale Labor für Biologen, die perfekte Spielwiese für Kajakfahrer und Rafter. Sie folgt keinem festgelegten Lauf, sondern verändert sich ständig, steigt und fällt mit den Jahreszeiten, dehnt sich aus, um sich dann wieder zu einem reißenden Strom zu verengen.
Die Staumauer würde dasganze Tal unter Wasser setzen
Noch vor einem Jahr sei Premier Edi Rama begeistert gewesen von der Idee eines Nationalparks entlang der Vjosa, sagt Ulrich Eichelmann von der NGO Riverwatch. Er habe sich mit Rama getroffen, ihm erklärt, wie wichtig es sei, diesen letzten Wildfluss Europas zu schützen. "Dass es so einen Fluss überhaupt noch gibt, ist ein großes Glück und eine enorme Chance für Albanien", sagt der Umweltschützer. "Ihn zu verbauen wäre eine Bankrotterklärung für den europäischen Naturschutz." Zumindest flussaufwärts des Dorfes Tepelene sollten keine Kraftwerke gebaut werden, habe es damals vonseiten Ramas geheißen. Alte Konzessionen würden überprüft und keine neuen mehr vergeben. Heute sieht das anders aus. Während Rama noch vor einem Jahr die Vorgängerregierung für die vorschnelle Vergabe von Konzessionen kritisierte, sucht seine eigene mittlerweile selbst nach Investoren.
Deswegen richtet sich die Botschaft "Vjosa - No Dams!", die in sieben Meter großen, weißen Buchstaben auf der Wiese vor dem Fluss prangt, vor allem an Edi Rama. Nachdem die Kajakfahrer am Flussufer angekommen sind, holen sie ihre Boote an Land und posieren gemeinsam mit den Demonstranten vor den Lettern. Dann geht es weiter flussabwärts, Richtung Pocem. Dort hat die Regierung den Bau eines Großkraftwerks beschlossen und die Konzession an ein türkisches Unternehmen vergeben. Die geplante, 25 Meter hohe Staumauer würde dafür sorgen, dass hier alles unter Wasser steht. "Wir befänden uns hier 50 Meter unter dem Wasserspiegel", ruft Eichelmann in sein Megafon. Einige der Männer, die ihn umringen, müssten dann ihre Häuser verlassen. So würde etwa das Dorf Kuta überschwemmt. "Das lassen wir nicht zu", rufen die Männer, "wir werden dagegen kämpfen."
Noch findet der Fluss ungehindert seinen Lauf. Das milchig-blaue Wasser sucht sich seinen Weg durch das Tal, gibt hie und da Kiesinseln frei und zeigt sich, je nach Saison und Witterung, mal wild rauschend, mal ruhiger. Um etwas Vergleichbares zu sehen, müsste man bis nach Sibirien reisen. Nur selten winkt ein Ziegenhirte vom Ufer, die meiste Zeit ist niemand zu sehen, kein Dorf weit und breit. Der rund 20 Kilometer lange, völlig unerforschte Abschnitt ist einer der wertvollsten entlang der Vjosa. Das Projekt "Pocem" würde ihn unwiederbringlich zerstören.
Das letzte Eldoradofür Wasserkraft in Europa
Über Stromschnellen geht es Richtung Nordwesten. In den Lehmwänden entlang der Vjosa nisten Uferschwalben und Bienenfresser, nach einigen Kilometern rücken die felsigen Berghänge näher, der Fluss wird schmäler. An den Hängen links und rechts sind riesige Terrassen angelegt - für die Staumauer, die hier gebaut werden soll. Doch die Pläne für das Kraftwerk bei Kalivac liegen auf Eis. Francesco Becchetti, ein italienischer Unternehmer und Fußballmanager, hatte die Lizenz für den Bau erhalten, stieg aber aus, nachdem der Strompreis gesunken war. Mittlerweile ist Becchetti untergetaucht, gegen ihn wird wegen Geldwäsche ermittelt. Wie es nun mit Kalivac weitergeht ist unklar, doch die Umweltschützer vermuten, dass die Rama-Regierung sich bereits nach einem neuen Investor umsieht. "Ohne Kalivac", sagt Eichelmann, "ergibt das neue Kraftwerk bei Pocem keinen Sinn. Kommt das eine, wird auch das andere gebaut."
Unter den rund 1000 Firmen, die am Balkan an Wasserkraftprojekten beteiligt sind, befinden sich zahlreiche aus Österreich. Eichelmann spricht von einem "Riesenbusiness", tatsächlich ist der Balkan mit seiner wilden Natur das letzte Eldorado für Wasserkraft in Europa. Die beteiligten Unternehmen verfügen über eine mächtige Lobby, die seit der Klimakonferenz in Paris wohl noch einmal Aufwind bekommen hat. Geld zur Finanzierung der Kraftwerke gibt es reichlich. Auch die Europäische Investitionsbank, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die Weltbank und die Österreichische Entwicklungsbank fördern Projekte in Albanien.
Unternehmen bauen die Kraftwerke auf eigene Kosten und dürfen den Strom in der Regel die ersten 35 Jahre verkaufen. Erst danach fließt der Erlös in die Taschen Albaniens. Der Staat leidet unter akutem Strommangel. Marode Infrastruktur und angezapfte Leitungen sorgen dafür, dass nur für einen Bruchteil des Stroms bezahlt wird. Albanien muss jedes Jahr dutzende Millionen für importieren Strom aufwenden.
Eine Staumauer, wie sie hier bei Kalivac geplant ist, würde den ganzen Fluss verändern. Das Ökosystem, das hier über Jahrmillionen entstanden ist, wäre verschwunden, begraben unter dem aufgestauten Wasser. "Sie sprechen zwar davon, Fischschleusen zu installieren", sagt der Biologe Olsi Nika von der NGO EcoAlbania, "aber Fische schwimmen mit dem Strom, nur rund fünf Prozent schaffen es durch solche Schleusen auf die andere Seite." Auch die Sedimente, die von den zahlreichen Nebenflüssen in die Vjosa getragen werden und irgendwann als Sand an den Stränden der Adria landen, blieben im Stausee hängen. "Der wäre dann irgendwann voll mit Kies, dann müsste man auch die Nebenflüsse verbauen", sagt Nika, "ein Horrorszenario." In Albanien sei jeder Fluss von Staudämmen bedroht, während das größte Potenzial für Energiegewinnung, die Sonne, ungenutzt bliebe: "Wir haben hier keine Energiepolitik, nur eine Staudammpolitik."
"Opferflüsse"sollen anstatt derVjosa verbaut werden
Doch die Aktivisten und Umweltschützer sind nicht per se gegen Kraftwerke. Eichelmann spricht von einem Balkanflüsse-Masterplan: Damit nicht überall und vereinzelt Kraftwerke entstehen, sollen sogenannte "Opferflüsse" festgelegt werden. Das Vjosa-System sei wie ein Baum, erklärt Eichelmann: "Die Vjosa ist der Stamm. Die Nebenflüsse sind die Arme, die man nicht abschneiden darf."
Das Mindeste, was die Rama-Regierung machen müsste, sei durchzusetzen, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen nach europäischem Standard durchgeführt werden. Die Vjosa einfach zu verbauen, ist für Eichelmann, der sich mit seiner Kampagne "Rettet das blaue Herz Europas" seit fünf Jahren in Albanien engagiert, "eine Bankrotterklärung für den europäischen Naturschutz".
Für ordentliche Umweltverträglichkeitsprüfungen setzt sich auch Lunacek ein. Während ihres Besuchs in Albanien sprach sie mit Vize-Premier Niko Peleshi, erklärte ihm, was für die EU wichtig sei: "Ich halte es für nötig, dass diese Kraftwerke verhindert und Alternativen aufgezeigt werden. Es ist auch Aufgabe der Regierung, ein Konzept für die Energiegewinnung vorzulegen", sagt sie. Lunacek glaubt daran, dass sie etwas erreichen, dass sie zumindest dazu beitragen kann, Bewusstsein für das Thema zu schaffen. "Nationaler und lokaler Widerstand hilft", ist sie überzeugt, "denn die Regierung will nicht in ein schlechtes Licht gerückt werden".
Verlockung, Bestechung, Korruption
Rok Rozman, Olympionike aus Slowenien und Initiator der Balkan Rivers Tour, lässt sich auf seinem Kajak zwischen den Kiesinseln hindurchtreiben. Aus den Lautsprechern seines Handys dringt Jack Johnsons "On and on". Mehr als tausend Menschen haben ihre Unterschrift auf Rozmans Kajak gesetzt, um gegen die geplanten Staudämme zu protestieren und einen Nationalpark an der Vjosa zu fordern. Später soll es nach Tirana gebracht und an Edi Rama übergeben werden.
Doch der albanische Premier ist an diesem Tag für die Aktivisten nicht erreichbar. Er sei nicht im Land, heißt es offiziell. Begleitet von hunderten Schaulustigen, marschieren die Kajakfahrer mit ihren Booten auf den Schultern durch Tirana. Weil die Polizei Barrikaden um Ramas Amtssitz aufgebaut hat, legen die Aktivisten das Kajak mit den Unterschriften vor dem Polizeikordon ab. "Die Flüsse gehören den Bürgern", rufen die Demonstranten. Wir werden der Vjosa keinen Schaden zufügen, hieß es einst vonseiten der Rama-Regierung - für die Umweltschützer ist das nicht mehr als Heuchelei. "Korruption ist der größte Treiber für all diese Projekte", sagt Eichelmann, der nach Tirana gereist ist, um die Kajak-Petition zu übergeben. Andere gehen noch weiter, wenn sie davon sprechen, dass der Druck von oben zunimmt. Dass jene, die sich für den Fluss einsetzen, damit bedroht werden, ihren Job zu verlieren oder ihren Pensionsanspruch. Viele sind überzeugt, dass es bei der Lizenzvergabe nicht mit rechten Dingen zugeht. Vielleicht, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, werden im Zuge der Deals mit den Kraftwerken auch andere Lockangebote gemacht.
Rok Rozman, der Sportler aus Slowenien, ist enttäuscht, Rama an diesem Tag nicht zu Gesicht zu bekommen. "Wir wollen der Vjosa und der Bevölkerung eine Stimme geben", sagt er. Doch das Interesse der Regierung hält sich in Grenzen, kein Regierungsvertreter ist bereit, die Petition im Empfang zu nehmen. Aufgeben will Rozman dennoch nicht: "Wir kommen wieder!"
Die Vjosa ist der letzte große Wildfluss Europas. Auf 270 Kilometern Länge fließt sie von den griechischen Pindusbergen durch Albanien bis in die Adria. Die Balkan Rivers Tour fand im Rahmen der Kampagne "Rettet das Blaue Herz Europas" statt. Insgesamt paddelten rund 500 Kajakfahrer aus 18 Nationen 23 Flüsse am Balkan entlang, um gegen Wasserkraftprojekte zu protestieren.
www.balkanriverstour.com
www.riverwatch.eu
www.ecoalbania.org