Talabanis Vermittlung ist gefragt, doch der Präsident liegt weiter im Spital.
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Kirkuk. Die Iraker machen sich Sorgen um "Onkel Jalal". Seitdem ihr Staatspräsident einen Schlaganfall erlitten hat und im Berliner Herzzentrum behandelt wird, fragt sich so mancher Einwohner zwischen Euphrat und Tigris, was sein wird, wenn Jalal Talabani nicht mehr zurückkommt. Denn gerade jetzt ist der 79-Jährige unentbehrlich. Genau ein Jahr nach dem Abzug der Amerikaner aus dem Irak kocht ein Konflikt hoch, der zu den ungelösten Problemen der Besatzung gehört.
Als der letzte US-Soldat kurz vor Weihnachten 2011 symbolisch das Tor nach Kuwait schloss und sich damit aus dem Zweistromland verabschiedete, war aus der US-Botschaft in Bagdad zu hören, man habe Sorge vor dem nächsten Bürgerkrieg. Dieser werde nicht, wie in den Jahren 2006/07, zwischen Sunniten und Schiiten ausgefochten, sondern zwischen Arabern und Kurden. Die Prognostiker sollten recht behalten. Seit zwei Wochen stehen sich eine Division der irakischen Armee und die kurdische Peschmerga-Miliz vor Kirkuk in einem Kriegsszenario gegenüber, das es so noch nie gegeben hat. Onkel Jalal hatte alle Hände voll zu tun, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Der erste kurdische Präsident in der Geschichte Iraks ist um Ausgleich und Versöhnung im Vielvölkerstaat bemüht und hat großen Einfluss auf den arabischen Premier Nuri al-Maliki.
Schon 50 Kilometer vor Kirkuk auf der Hauptstraße von Bagdad: Panzer, Artillerie, Humvees und jede Menge patrouillierende Soldaten säumen den Weg in die Ölstadt im Norden Iraks. In die über Jahre hinweg leer stehenden Militärbaracken und Kontrollhäuschen aus Saddam Husseins Zeiten ist wieder Leben eingekehrt. Dazwischen sind Biwak-Zelte aufgestellt. Man sieht geschäftige Offiziere hin- und herlaufen, auf Hügel und Anhöhen zeigen, als würden sie gerade einen Verteidigungsplan diskutieren. Fast jedes Gefährt trägt eine irakische Fahne - rot, weiß, schwarz mit grünem Schriftzug "Allah ist groß" in der Mitte. Der Schnitt folgt an der Stadtgrenze. Von da an sieht man nur Polizisten, die sogenannten "Joint Forces", die die Amerikaner noch vor ihrem endgültigen Abzug ins Leben gerufen haben und die Angehörige aus allen Volksgruppen Kirkuks zusammenführen. Doch sobald man aus Kirkuk im Norden hinausfährt Richtung Erbil, der Hauptstadt der semi-autonomen Region Kurdistan, ändert sich das Bild wieder. Panzer, Artillerie, Humvees und jede Menge Soldaten auch hier. Doch tragen diese nicht die irakische Fahne, sondern die kurdische mit der leuchtend gelben Sonne in der Mitte. Und die Männer tragen die Uniformen der Peschmerga, der kurdischen Freiheitskämpfer.
Eine Verfolgungsjagd als Auslöser des Konflikts
Anlass für den militärischen Aufmarsch vor 14 Tagen: Soldaten der irakischen Armee verfolgten einen Ölschmuggler, der im Büro einer kurdischen Partei in dem kleinen Städtchen Tuz Khurmato 50 Kilometer südlich von Kirkuk Zuflucht fand. Zusammenstöße mit den kurdischen Peschmerga-Kämpfern, die das Büro sicherten, forderten einen Toten und mehrere Verletzte. Iraks Regierungschef Maliki schickte Truppen. Die "Operation Tigris" wurde ins Leben gerufen, eine Spezialtruppe zusammengestellt, die in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" für Ruhe und Ordnung sorgen soll, zu denen vor allem Kirkuk mit seinen begehrten Ölfeldern zählt. Die Zentralregierung in Bagdad und die kurdische Regionalregierung in Erbil reklamieren beide die Verwaltungshoheit über die Stadt. Seit dem Abzug der Amerikaner wurde der Ton zwischen Erbil und Bagdad aggressiver. Bis dahin dienten US-Soldaten als Puffer zwischen den Kontrahenten und konnten eine derartige Konfrontation stets verhindern. Nun kommt es zum offenen Konflikt.
Surood hält die Spannung in der Stadt kaum mehr aus. Die Chefin der irakischen NGO Al Amal in Kirkuk ist eine tapfere Frau. "Ich muss etwas tun", wiederholt sie immer wieder. "Wir müssen etwas tun!"
Zwei Tage lang sind die fast eine Million Einwohner Kirkuks quasi eingesperrt. Die irakische Armee blockiert die Zufahrstraßen in den Süden, im Norden zieht die kurdische Peschmerga immer größere Truppenverbände auf. "Und wir sind mittendrin", sagt die 34-jährige Irakerin. Sie seien die Opfer der Machtspiele zwischen Bagdad und Erbil.
"Hier ist alles politisch aufgeladen"
Surood plant eine Protestaktion "Frauen für den Frieden" und will eine Menschenkette sowohl vor den Soldaten als auch der kurdischen Peschmerga bilden. Doch sie hat Mühe, genügend Teilnehmerinnen zu finden, die mitmachen. "Hier ist alles so politisch aufgeladen, dass es kaum unabhängige Organisationen gibt, die neutral agieren können." Auch fast zehn Jahre nach dem Sturz des Diktators Hussein gibt es im Irak noch keine funktionierende Zivilgesellschaft. Die hier arbeitenden Organisationen sind zumeist entweder politisch, ethnisch oder religiös geprägt. "Die Demonstrationen, die in den letzten Tagen in Kirkuk gegen den militärischen Aufmarsch stattgefunden haben, wurden entweder von politischen Parteien oder Interessengruppen organisiert und waren gegen eine Seite gerichtet." Dabei gäbe es gerade in Kirkuk viel zu tun für die Zivilgesellschaft. Durch den jahrelangen Terror, der in Spannungszeiten wie jetzt wieder zunimmt, nehmen psychische Störungen vor allem bei Kindern und Jugendlichen dramatische Ausmaße an. Eine traumatisierte Generation wächst heran. Suroods NGO hat eine Studie veröffentlicht, wonach die Gewalt im Alltag drastisch zunimmt. Selbstverbrennungen und Selbstmorde von Frauen seien keine Seltenheit und reflektierten die ausweglose Situation, in der sich viele befänden.
Wie sagte noch US-Präsident Barack Obama im vergangenen Dezember vor heimkehrenden Soldaten? "Wir hinterlassen einen souveränen, stabilen und selbstständigen Irak." Für die Menschen in Kirkuk muss dies wie Hohn klingen. Von Stabilität kann angesichts des Säbelrasselns und der noch immer fast täglich stattfindenden Bombenschläge keine Rede sein. Hinzu kommt die Dauerkrise der Regierung in Bagdad: Mit dem Torschluss des letzten US-Soldaten brach die Koalition zusammen. Noch immer sind wichtige Ressorts unbesetzt. Maliki führt sie in Eigenregie und lässt vermeintliche Widersacher oft willkürlich vor Gericht stellen. Und selbstständig ist der Irak auch nur bedingt. Zu sehr hängt das Land vom Einfluss seiner Nachbarn Türkei, Syrien und vor allem Iran ab. Ohne Onkel Jalal würde alles noch viel schlimmer, sagen die Menschen in Kirkuk - jedenfalls darin ist sich die Mehrheit der Iraker einig.