Bonn - Am zweiten Tag der Afghanistan-Konferenz ist der Kampf um die zukünftige Machtverteilung in dem kriegszerstörten Land voll entbrannt. Die Zentralfragen lauten: Wie kann die Vielzahl der Stämme gerecht in der Übergangsverwaltung und der provisorischen Regierung berücksichtigt werden und wie werden die Schlüsselpositionen aufgeteilt?
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Ein Problem ist es, dass die unter enormen Zeitdruck auf dem Petersberg bei Bonn zusammengerufene Tagung nicht alle Volksgruppen vertritt. Unter den vier Delegationen in Bonn sind zwei Gruppen von Exilafghanen, die keinen Bezug zu den gegenwärtigen Verhältnissen im Land haben: die Gruppe um den früheren König Mohammed Zahir Schah und die Zypern-Gruppe der Intellektuellen. Sie vertreten keine Stämme.
Ein Sprecher des Hasara-Stammes bemängelte am Mittwoch, dass sein Stamm mit etwa 20 Prozent der Bevölkerung nur einen Delegierten am Tisch habe. Die Usbeken mit ihrem mächtigen "Kriegsherrn" Raschid Dostum sind überhaupt nicht im Konferenzhotel auf dem Petersberg.
Zwar haben die Vereinten Nationen als Organisator des Treffens und die Bundesregierung als Gastgeber darauf gedrungen, dass die Afghanen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer forderte eindringlich alle Staaten auf, darauf zu verzichten, "die Konkurrenz unterschiedlicher nationaler Interessen auf dem Rücken und auf Kosten der Afghanen auszutragen". Und doch ist dieser Druck von außen und Einmischungen in die inneren Verhältnisse Afghanistans am Konferenzort unübersehbar.
Die Amerikaner sind mit rund 20 Beobachtern auf dem Petersberg und versuchen, möglichst viel Einfluss für die pro-westliche Monarchisten-Gruppe herauszuholen. Das hat die Iraner alarmiert, die auf die Nordallianz setzen. Wie verlautet, sollen sie den zweiten Mann im Teheraner Außenministerium, Mohammed Sarif, überstürzt nach Bonn schicken.
Es wird nicht nur um die Stammesvertretung, sondern bereits konkret über Namen und Schlüsselposten gerungen. Der Iran will verhindern, dass zu viele wichtige Posten wie beispielsweise Verteidigung und Innenpolitik in die Hand einer Machtgruppe gelangen. Pakistan wünscht, der Bevölkerungsmehrheit der Paschtunen, die 40 Prozent der Afghanen ausmacht, so viel Macht wie möglich zu geben.