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Kampf um Mitbestimmung

Von Martyna Czarnowska

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Die türkische Regierung verspricht Reformen - Frauenorganisationen fordern die Umsetzung ein.


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Nimet Cubukcu trägt kein Kopftuch. Sie darf es auch nicht, will sie ihr Amt ausüben. Denn sie ist Frauenstaatssekretärin in der türkischen Regierung, und in dem Land mit überwiegend islamischer Bevölkerung ist das Kopftuchtragen in Behörden, Schulen und Universitäten verboten.

Cubukcu weiß um die Vorwürfe der EU, dass es bei der Etablierung der Frauenrechte in der Türkei Schwierigkeiten gibt, dass Mädchen noch immer nicht die gleichen Bildungschancen haben wie Buben, dass es Zwangsheiraten gibt.

Doch dass es an politischem Willen zur Umsetzung der Reformen mangle, lässt sie nicht gelten. Gerade die islamisch geprägte Regierungspartei AKP habe eine Reihe von Gesetzen erlassen, die Frauen gleiche Rechte einräumen wie Männern. "Unsere rechtlichen Regelungen sind auf dem Stand der Zeit", sagt sie. "Und sie sind sogar in einigen EU-Staaten noch nicht umgesetzt."

Die Probleme der Frauen in der Türkei seien ähnlich wie in anderen Ländern: Gewalt, fehlende Bildung, Doppelbelastung durch Beruf und Familie. Mit einer groß angelegten Kampagne und speziellen Programmen für Regionen wie Ostanatolien etwa will die Regierung Maßnahmen gegen familiäre Gewalt an Frauen setzen, wegen der in den letzten sechs Jahren 420 Frauen ums Leben gekommen seien. Ein Gesetz verpflichtet etwa alle Kommunen, Frauenhäuser einzurichten - wird aber keinesfalls von allen erfüllt.

Gerade die Umsetzung von Frauenrechten auch auf lokaler Ebene ist Frauenorganisationen ein Anliegen. Doch der Reformwille ist nicht bis zu allen Bürgermeistern durchgedrungen. Halime Güner, Koordinatorin des Frauennetzwerks Ucan Süpürge (Fliegender Besen), ortet große Verwirrung: "Einerseits haben wir eine Politik, die Reformen fördert, andererseits eine traditionelle Gesellschaft." Konservative treffen auf liberale Einstellungen, neben religiösen Führern, die Frauen ins Haus verbannen wollen, stehen solche, die ausdrücklich für Gleichberechtigung eintreten.

"Wir haben nun gleiche Rechte auf dem Papier", betont Güner. Doch um die Mentalität der Menschen zu ändern, brauche es Zeit.

Es war nicht die EU, die begonnen hat, Frauenrechte in der Türkei einzufordern. Es waren die Frauenorganisationen, die zu den aktivsten NGOs in dem Land zählen. Ihre Arbeit hat der Annäherungsprozess an Europa zwar etwas erleichtert: Immerhin will der Staat seine Bereitschaft zu Reformen zeigen. Doch ein EU-Beitritt ist nicht oberstes Ziel. Vielmehr sehen viele Frauenorganisationen den Weg dorthin als Mittel für den Zweck an, ihre Anliegen durchzubringen.

Dennoch macht Halime Güner die Distanz zwischen der EU und der Türkei Sorgen: das teilweise Einfrieren der Beitrittsverhandlungen und das Gefühl des Zurückgewiesenseins in ihrem Land. "Für die Nationalisten wäre ein Abbruch der Gespräche gut", sagt sie. "Doch die Verliererinnen werden die Frauen sein." So ergibt sich die paradoxe Situation, dass die EU eine islamisch geprägte Regierung unterstützen müsste, die Reformen umsetzen möchte.

Allerdings ist für viele Türken die AKP ein Wolf im Schafspelz. Klar unterstütze die Regierungspartei etwa die Forderung der EU, die Macht des Militärs einzuschränken, heißt es. Doch nur deswegen, damit sie ihr eigentliches Ziel ungestört von Zwischenrufen der Generäle verfolgen kann: eine Islamisierung des Staates.

"Nein zur Scharia" stand daher auf Transparenten bei Demonstrationen, zu denen sich in den letzten Wochen hunderttausende Türken eingefunden hatten, um gegen Versuche der AKP, auch den Posten des Staatspräsidenten zu besetzen, zu protestieren. Darunter waren viele Frauen, die meisten ohne Kopftuch. Dass sie ihre Rechte aufgeben könnten, sich gezwungen sähen, ihre Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten aufzugeben, ist ihnen unvorstellbar.

Die Furcht vor Rückschritten im Kampf um Gleichberechtigung ist auch Halime Güner nicht fremd. Doch sie zeigt sich entschlossen. Egal, welche Regierung kommt, egal, ob mit oder ohne Unterstützung der EU: "Wir werden nicht aufgeben."