Was Polen wolle, sei schlicht und einfach ein "fair deal". Wenn Chefverhandler Jan Truszczynski über die EU-Beitrittsbemühungen seines Landes spricht, stellt er in erster Linie die Forderung nach gleichen Wettbewerbsbedingungen. Diese seien jedoch kaum gegeben, wenn die polnischen LandwirtInnen - wie es die Europäische Kommission vorsieht - in den ersten Jahren der EU-Mitgliedschaft drei mal weniger an Direktzahlungen erhalten als die portugiesischen etwa. Die beginnenden Agrarverhandlungen zwischen den Beitrittswerbern und der Union gehören damit zu den schwierigsten Kapiteln - und Polen spielt darin eine Schlüsselrolle.
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Vor den InspektorInnen der Union habe er keine Angst. Dariusz Sapinski ist der Vorsitzende der Milchgenossenschaft "Mlekovita", einer der modernsten und größten Molkereien Polens. Und während eine Abordnung der Europäischen Kommission noch eine Woche lang stichprobenartig polnische Milchbetriebe auf ihre EU-Tauglichkeit prüft, kann sich Sapinski beruhigt zurücklehnen. Zum einen hat er eine derartige Inspektion schon vor längerer Zeit erlebt. Zum anderen erfülle die Genossenschaft bereits alle technischen und hygienischen Standards.
Doch der Preis für die Modernisierung war hoch - nicht nur für "Mlekovita". Die Genossenschaft hat immerhin ihren Platz behaupten können, ihr Marktanteil in Polen beträgt acht Prozent. Doch viele andere Betriebe haben es nicht geschafft. "Die Hälfte der Molkereien hat in den letzten Jahren Bankrott gemacht", erzählt Sapinski. Von 800 wären 400 über geblieben. Dieser Trend werde sich fortsetzen, meint der Vorsitzende und illustriert dies anhand der Genossenschaft. "Wir haben derzeit 12.000 Milchlieferanten, in zehn Jahren werden es nur noch 3.000 sein", schätzt er.
Die Zahlen zur polnischen Landwirtschaft schwanken, die heuer durchgeführte Volkszählung soll mehr Klarheit schaffen. Rund 1,9 Millionen landwirtschaftliche Betriebe gebe es, etwa drei Millionen Menschen seien davon abhängig, schätzt Polens Vizepremier und Landwirtschaftsminister Jaroslaw Kalinowski. Eine Umstrukturierung der Landwirtschaft sei notwendig, doch dafür benötige Polen die Hilfe der Union. Allerdings: Weder mit den von der Union vorgeschlagenen Produktionsquoten noch den Plänen zur Agrarförderung zeigt sich die polnische Regierung zufrieden.
Der Entwurf für eine gemeinsame Verhandlungsposition der 15 EU-Mitgliedsstaaten liegt seit vergangener Woche auf dem Tisch. Schon im Vorfeld hatte Polen an der stufenweisen Anhebung der Direktzahlungen für LandwirtInnen Kritik geübt. Denn im ersten Jahr ihrer EU-Mitgliedschaft werden die derzeitigen Kandidatenländer nur 25 Prozent der Beihilfen erhalten, die volle Subventionssumme erst nach einer zehnjährigen Übergangsfrist. Dies sieht die polnische Seite als wettbewerbsverzerrend an. "Bald wird sich herausstellen, dass polnische Bauern in der EU draufzahlen werden, damit sie von anderen Bauern vom Unionsmarkt verdrängt werden", befürchtet Kalinowski.
Ebenso umstritten ist der Referenzzeitraum, nach dem die Produktionsquoten berechnet werden. Brüssel plädiert für die Jahre 1995 bis 1999, Polen lehnt dies mit Hinweis auf den "Transformationsschock" ab, der in diesem Zeitraum zum Tragen gekommen sei. So setze das Land rund 12 Milliarden Liter Milch ab, die Europäische Kommission schlage aber 8,9 Milliarden vor, erläutert Kalinowski.
Es werde schwierig sein, einen Kompromiss zu finden, räumt Polens Chefverhandler Jan Truszczynski ein. Dass sich dadurch die für Herbst angesetzten Verhandlungen verzögern würden, hält er daher nicht für ausgeschlossen. Viel weniger real ist für ihn die Gefahr, dass Polen in der "großen" Erweiterungsrunde nicht dabei ist. Dies würde eine schwere Krise auslösen - nicht nur in der Wirtschaft.
Schon derzeit hinkt der größte Beitrittsbewerberstaat in seiner Konjunkturentwicklung den anderen Kandidatenländern hinterher. Für heuer wird mit einem Wirtschaftswachstum von etwa 1,5 Prozent gerechnet. Auch das ist ein Problem, dessen Lösung Polens Regierung nicht zuletzt an den Beitritt zur EU knüpft.