Abkommen über Pufferzone gibt Anlass zu Optimismus. Friedlich wird der Syrien-Krieg trotzdem nicht enden.
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Damaskus/Moskau/Ankara. Gibt es doch noch Hoffnung, dass eine humanitäre Katastrophe von rund drei Millionen in Idlib eingeschlossenen Zivilisten abgewendet werden kann? Eine Einigung zwischen Russland und der Türkei, die die Schaffung einer entmilitarisierten Pufferzone zwischen syrischer Armee und Rebellen vorsieht, sorgt für Optimismus. Dazu kommt, dass der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu eine Militäroffensive auf Idlib explizit ausgeschlossen hat. Auf die Frage, ob es einen Angriff der syrischen Armee auf Idlib geben werde, antwortete der Minister laut den russischen Nachrichtenagenturen Interfax und Tass mit "Ja".
"Temporäre Lösung"
Jasmin Rupp, Nahost-Expertin im österreichischen Verteidigungsministerium, warnt gegenüber der "Wiener Zeitung", von einem Friedensabkommen zu sprechen. "Es geht hier um die Errichtung einer Pufferzone", so Rupp, "und das ist ganz klar eine temporäre Lösung". Zudem habe Russlands Präsident Wladimir Putin dem Abkommen "eine Deadline gesetzt": Bis Ende des Jahres, so Putin, müssten die strategischen Straßen in Idlib, die M4 und die M5, die von Aleppo nach Hama und Latakia führen, "befreit" werden. Eine Ansage, der auch die türkische Regierung bereits zugestimmt hat - während Ankara seine schwer bewaffneten Streitkräfte in der Provinz weiter aufstockt. So ist anzunehmen, dass die Türkei die beiden Verkehrswege in Eigenregie unter Kontrolle bekommen will.
In der Tat liegt der Ball nun bei der Türkei. Ankara muss dafür sorgen, dass auch die radikalen Kräfte aus der zu schaffenden Pufferzone abziehen. Dabei wird sich auch zeigen, ob es Russland gelingt, den oft widerspenstigen Verbündeten Bashar al-Assad unter Kontrolle zu halten und zu verhindern, dass die syrische Armee das Abkommen ignoriert und einfach angreift. Dem Vernehmen nach hätten Assads Kämpfer längst mit ihrer Offensive begonnen, wenn sie nicht von Moskau mit aller Kraft daran gehindert worden wäre.
"Abkommen nutzt allen"
Dennoch: Das in Sotschi zwischen Putin und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geschlossene Abkommen "nutzt allen", ist Nahost-Expertin Rupp sicher. "Zunächst nützt es den Zivilisten in Idlib. Es kommt aber auch dem Regime in Damaskus, Russland und dem Iran entgegen. Denn die Türkei wird jetzt intensiv auf den Al-Kaida-Ableger Hayat Tahrir al-Sham eingehen. Man wird ihnen sagen: ‚Entweder, ihr entsprecht diesem Abkommen und werdet die entmilitarisierte Zone verlassen. Oder es erfolgt eine Offensive, die auch internationale Legitimität hat.‘"
Das führe mit Sicherheit dazu, dass Hayat Tahrir al-Sham "fragmentiert und geschwächt wird", so Rupp. Sie geht davon aus, dass sich zahlreiche Kämpfer dem russisch-türkischen Abkommen unterstellen werden. Andere würden bis zum bitteren Ende kämpfen. "Diese Fragmentierung bei dem Al-Kaida-Ableger ist sehr sinnvoll", so Rupp. Und: "Das Abkommen von Sotschi kann jedenfalls eine Grundlage für weitere Verhandlungslösungen sein." Denn es liege im Interesse aller Akteure, auch des Assad-Regimes, dass eine humanitäre Katastrophe in Idlib verhindert werde.
Aber: Wenn es Rebellen-Gruppen ablehnten, sich dem Assad-Regime zu unterstellen, "dann wird es wohl oder übel zu einer Offensive kommen müssen", prophezeit Rupp. Sie geht klar davon aus, dass die Türkei und die von Ankara abhängigen Rebellenverbände die radikalislamistischen Kräfte mit Waffengewalt bekämpfen würden.
Dass in Syrien eine autonome, von Rebellen beherrschte Region in Zukunft weiterexistieren wird, wird von der russisch-türkischen Vereinbarung ausgeschlossen. Die Übereinkunft basiere auf "Syriens Souveränität und Einheit", heißt es aus dem türkischen Außenamt.
Schlechte Erfahrungen
Doch gibt es mehr als einen Wermutstropfen. Skeptiker geben einmal mehr zu bedenken, dass die Liste der geschlossenen Vereinbarungen und Waffenstillständen in Syrien lang ist. Gehalten haben derartige Verträge noch nie. Es wäre aber unbedingt notwendig, dass die Rebellen darauf vertrauen können, dass das Abkommen diesmal das Papier wert ist, auf dem es geschrieben steht. Denn de facto verlagert sich die Front zurück in ihr Gebiet. Vorstöße der syrischen Armee und der vom Iran unterstützten Milizen wären für die Rebellen dort nicht mehr zurückzuschlagen.
In der Sotschi-Vereinbarung geht es konkret darum, dass bis zum 15. Oktober eine bis zu 20 Kilometer tiefe Zone zwischen Armee und Rebellen eingerichtet sein muss. Fünf Tage zuvor müssen alle schweren Waffen wie Panzer, Artillerie, Mörser und Panzerabwehrraketen aus der Zone abgezogen werden. Als Terroristen definierte Kämpfer haben das Gebiet zu verlassen, moderate Rebellen dürfen bleiben. Russische und türkische Militärpolizisten sollen die Umsetzung des Übereinkommens überwachen.
Ab kommendem Dienstag wird der Konflikt Thema der UN-Vollversammlung in New York sein. Derzeit stehen die Chancen gut, dass die Debatten nicht von Kämpfen um Idlib und Berichten über humanitäres Elend in der Rebellen-Enklave überschattet werden. Das dürfte vor allem Russland ein Anliegen sein.