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Mit der Rückkehr zum Präsenzunterricht für alle Schüler ab Montag flammt die Debatte um Schutzmaßnahmen neu auf.
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Der Bildungsminister bemüht sich zu beruhigen - die Eltern, die Lehrer, wie die Schüler. Denn nach wochenlangem Heimunterricht und geteilten Klassen wird sich in den letzten Wochen des außergewöhnlichen Schuljahres 2020/21 noch einiges ändern. Bevor am Montag nach den Volksschulen auch die Mittelschulen, Unterstufen und höheren Schulen wieder in den Vollbetrieb gehen, sollten zumindest in mehreren Wiener Schulen PCR-Gurgeltests zusätzliche Sicherheit bringen. Mehr als die Antigen-Schnelltests, die alle zwei Tage durchgeführt werden müssen. Ressortchef Heinz Faßmann stellte die Aktion am Mittwoch gemeinsam mit dem Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) vor. Erste Versuche an zehn Gymnasien seien vielversprechend verlaufen, hieß es.
Unter den Eltern sind die Meinungen zu den Schulöffnungen indessen gespalten. Sind manche äußerst skeptisch gegenüber dem Präsenzunterricht für alle, ist es für andere höchste Zeit. "Es gibt natürlich kein einheitliches Meinungsbild", sagt der Vorsitzende des Wiener Landesverbandes der Elternvereine an öffentlichen Pflichtschulen, Karl Dwulit, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Rund ein Drittel sei der Ansicht, dass die volle Öffnung "zu früh und zu wenig gesichert" erfolge, schätzt er auf Grundlage der Rückmeldungen von Elternvertretern. Eine Mehrheit von etwa zwei Dritteln fände es hingegen "gut und wichtig", dass der Präsenzunterricht wieder voll losgeht. Bei der Gruppe der Befürworter sei oft nicht so sehr die Frage des Lernfortschrittes das Argument, sondern dass das Zusammentreffen "wirklich wichtig für die Beziehungen der Jugendlichen" sei.
"Von vielen wird auch positiv gewertet, dass der Präsenzunterricht mehr Jugendliche in die Testungen bringt", sagt Dwulit. Nicht zuletzt, weil es für diese Altersgruppe noch keine Corona-Impfungen gibt. Insofern könnten auch die nun vorgesehenen Pilotprojekte mit den zuverlässigeren PCR-Gurgeltests in Wien "ein weiterer Durchbruch" sein, Schulen sicherer zu machen. Aber auch die sogenannten "Nasenbohrertests" in den Volksschulen böten immerhin den Vorteil, dass bei einem positiven Testergebnis eine Nachprüfung mittels PCR-Test erfolge. "Alles ist besser, als nichts zu tun", betont Dwulit.
Vor allem der Wechsel von Präsenzunterricht zu Beginn des Schuljahres hin zu Heimunterricht und dann wieder zu Schichtbetrieb mit geteilten Klassen hat die Nerven der Lehrer und Direktoren wie auch der Väter und Mütter strapaziert. Daher sei bei den Eltern der Wunsch groß, "die Schule endlich bis zum Ende des Schuljahres offen zu halten", sagt der Elternverbandsvorsitzende.
Konträre Petitionen von Befürwortern und Gegnern
Elternvertreter aus Schulen in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich berichten, ihnen seien bisher keine Einwände von Eltern gegen die Wiederaufnahme des Vollbetriebs in Schulen bekannt gegeben worden. Viele Eltern seien einfach froh, dass die zusätzliche Belastung durch den wochenlangen digitalen Heimunterricht ein Ende hat. "Mein Eindruck ist: Die meisten Eltern pochen darauf, dass die Kinder in der Schule sind", erzählt eine Elternvertreterin an einer Wiener Volksschule. Bei Eltern mit Migrationshintergrund komme noch dazu, dass sich diese häufig den Vorschriften der Schulen und Behörden stärker "fügen" würden. Jene Eltern, denen die Rückkehr in die Klassen noch zu unsicher sei, würden sich unterdessen mehr in Gruppen in sozialen Netzwerken äußern.
In den sozialen Medien treffen die Gegner und Befürworter der Schulöffnungen recht kontroversiell aufeinander. In offenen Briefen wenden sich zudem beide Seiten direkt an Bundeskanzler, Bildungs- und Gesundheitsminister. So verlangt die Initiative "Sichere Bildung", die laut eigenen Angaben von 66 Eltern, Großeltern, Lehrern und Medizinerinnen ins Leben gerufen wurde, eine "wissenschaftlich basierte Vorgehensweise" beim Infektionsschutz in Schulen und Kindergärten. Normalbetrieb sei unter den "herrschenden Bedingungen nicht akzeptabel". Die hohen gruppenspezifischen Inzidenzen müssten berücksichtigt werden. Diese Lage treibe "die Infektionsdynamik bei den Kindern noch weiter nach oben und gefährdet demzufolge das Leben ihrer noch ungeimpften Eltern". Dabei lande diese Altersgruppe ohnehin bereits vermehrt auf Intensivstationen.
Gefordert werden in einer Online-Petition, die bisher von mehr als 5.000 Personen unterstützt wurde, PCR-Gurgeltests und PCR-Lollitests in Schulen und Kindergärten in ganz Österreich. Bis diese dreimal wöchentlich möglich seien, dürfe kein Vollbetrieb stattfinden. Es müsse mobile Luftreiniger zur Reduktion der Aerosolbelastung und Maskenpflicht für alle Schüler geben.
Genau in die entgegengesetzte Richtung zielt die Petition "Kinder in die Schule", die eine gänzlich uneingeschränkte Öffnung von Schulen und Kindergärten ab Montag fordert. Sie wurde von 62 Personen eingebracht, darunter sind Psychologen, Ärztinnen, Schuldirektoren, der Olympionike Felix Gottwald und die Politikwissenschafterin Ulrike Guérot. Treibende Kraft ist der Arzt und Public-Health-Experte Martin Sprenger. Die Petition, die bereits knapp 14.000 Unterstützer zählt, fordert ein Bekenntnis zur "Aufrechterhaltung eines normalen Schulbetriebes unabhängig vom Infektionsgeschehen".
"Schneeketten auf trockener Straße nicht sinnvoll"
Mit Montag sollen die Bildungseinrichtungen laut der Initiative nicht nur aufsperren, auch die Massentests sollten eingestellt werden. Ebenso die Mund-Nasenschutz-Pflicht in Kindergärten und Volksschulen und die FFP2-Maskenpflicht für ältere Schülerinnen und Schüler. Zudem wird uneingeschränkter Sportunterricht gefordert. Mit diesen Forderungen sollen die gesundheitlichen und psychosozialen Folgen bei Kindern und Jugendlichen minimiert werden.
"Nach 15 Monaten Pandemie gibt es keinen Beleg, dass Kinder Erwachsene in großem Ausmaß infizieren", sagt Sprenger zur "Wiener Zeitung". Dagegen gäbe es etliche Studien, wonach Erwachsene Kinder infizierten, die dann in den Schulen positiv getestet würden. "Die Infektion hat aber außerhalb der Schule stattgefunden", sagt Sprenger.
Natürlich gehe man ein Risiko ein, wenn man Schulen ohne Tests und Maskenpflicht öffne. "Aber ein uneingeschränkter Schulbetrieb generiert viel größeren Nutzen." Das stundenlange Tragen von FFP2-Masken sei für Schüler beschwerlich, die hohe Testzahl lasse die Wahrscheinlichkeit für falsch positive Ergebnisse steigen - und damit die Wahrscheinlichkeit für unnötige Quarantänen. Bei den aktuell rasant sinkenden Infektionszahlen liege die Vortestwahrscheinlichkeit bei Kindern und Jugendlichen unter 0,01 Prozent, wodurch sich jede Massentestung erübrige. "Bei trockener Straße Schneeketten anzulegen, ist nicht sinnvoll", sagt Sprenger. "Was nicht heißt, dass man sie im Winter nicht im Kofferraum haben und bei Bedarf rechtzeitig herausholen soll." Bildung sei aber ein Menschenrecht, der Zugang zu Bildungseinrichtungen solle nicht an Maßnahmen gebunden werden, die "nicht evidenzbasiert" seien.
Auch Komplexitätsforscher Peter Klimek hält die Schulöffnungen in der aktuellen Lage für gut vertretbar: "Wenn die Infektionsdynamik insgesamt unter Kontrolle ist, gibt es natürlich auch an den Schulen eine Entspannung." Allerdings: "Die Pandemie ist noch nicht zu Ende", Vorsichtsmaßnahmen werde es weiter brauchen. Für den Nutzen von Masken in Schulen sei die Evidenz tatsächlich dünn - weil es kaum Vergleichsstudien gebe. Breite Testungen hält Klimek jedenfalls für sinnvoll. Dem Risiko, dass ein einzelner Schüler wegen eines falsch positiven Antigentests für 24 Stunden, bis also das Ergebnis eines PCR-Kontrolltests vorliegt, unnötig in Quarantäne muss, stehe die Chance gegenüber, pro Woche rund 1.000 in Schulen eingetragene Infektionen zu verhindern.