Auf Netanyahu kommt heikle Gesetzesänderung zu.
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Jerusalem/Wien. Ultraorthodoxe Juden sind seit der Zeit der israelischen Staatsgründung 1948 vom Militärdienst befreit. Das Oberste Gericht in Jerusalem hat am Dienstagabend entschieden, dass dieses Gesetz gegen die Gleichberechtigung verstößt und damit für eine kleine Sensation gesorgt. Premierminister Benjamin Netanyahu hat nun fünf Monate Zeit entsprechende Änderungen vorzunehmen. Eine heikle Aufgabe, regiert er doch in Koalition mit strengreligiösen Parteien.
"Sollen Eure Brüder in den Krieg ziehen, während Ihr selbst hier bleibt?" Einer der neun Höchstrichter zitierte Moses aus der Bibel in der Begründung des Urteils gegen das sogenannte "Tal-Gesetz". Es besagt, dass eingeschriebene charedische (ultra-orthodoxe) Studenten einer der religiösen Jeschiva-Hochschulen nicht in die Armee eintreten müssen. (Orthodoxe Frauen können den Wehrdienst unter Berufung auf ihre Religiosität verweigern.) Die Strengreligiösen begründen dies damit, dass der Militärdienst ihnen die Ausübung ihres Glaubens erschwere. Diese Ausnahme hat 1948 gerade einmal 400 Menschen betroffen. Bis heute ist diese Zahl auf 71.000 angewachsen, berichtet die Zeitung "Jediot Achronot". Etwa 13 Prozent der Männer im wehrpflichtigen Alter erhalten mittlerweile eine Freistellung aus religiösen Gründen.
Das heißt nicht, dass die Charedim grundsätzlich nicht Soldaten werden. Für sie wurde mit "Nahal HaCharedi" sogar ein eigenes Bataillon gegründet. Dort wird besonders auf religiöse Bedürfnisse geachtet (zum Beispiel strikt koscheres Essen, Frauen dürfen das Camp nur betreten, wenn sie mit einem der Soldaten verheiratet sind). Anfangs erfreute sich diese etwa 1000 Mann starke Einheit regen Zustroms, der allerdings immer mehr zum Erliegen kam, weil zunehmend Nicht-Charedim rekrutiert wurden. Zudem stieg bei den Streng-religiösen die Furcht vor einem versteckten Säkularisierungsbestreben.
Gerade in den letzten Wochen hat sich in Israel zunehmend Widerstand gegen fundamentalistische Trends formiert. Im Dezember weigerte sich eine Frau, die mit einer öffentlichen Buslinie fuhr, sich wie verlangt hinter die männlichen Fahrgäste zu setzen. Dies endete in einem wüsten Streit und dem Eingreifen der Polizei. Daraufhin gingen 10.000 Demonstranten, darunter auch viele religiöse Israelis und prominente Politikerinnen, auf die Straße und erklärten sich solidarisch mit den Kritikern der Ultraorthodoxie.
Urteilswirkung fraglich
Was das Urteil des Höchstgerichts letztlich bewirken wird, bleibt abzuwarten. Zum einen anerkennen viele Ultraorthodoxe nämlich den Staat Israel in seiner Form nicht, da ihrer Ansicht nach nur der Messias einen jüdischen Staat wiedererrichten kann. Experten glauben, dass so mancher fundamentalistische Rabbi seinen Schützlingen empfehlen wird, im Ernstfall Widerstand zu leisten. Abgesehen von dem zu erwartenden Aufruhr stellt sich die Frage, ob eine Zwangsrekrutierung personell wie finanziell überhaupt leistbar wäre.
Zum anderen dürfte die nötige Gesetzesänderung für Premier Netanyahu ein Eiertanz werden. Ein radikaler Eingriff würde ihn politisches Kapital kosten. Einen solchen unterstützt Oppositionsführerin Tzipi Livni, die erklärte, dass "die Einheit des Volkes zu allererst durch einen gemeinschaftlichen Beitrag zu Staat und Gesellschaft erfolgt." Bei Netanyahus strengreligiösem Koalitionspartner Shas hingegen gibt man sich bereits betont zuversichtlich. Parteisprecher Yakov Betzalel erklärte, das neue Gesetz werde ähnlich dem jetzigen sein, "mit kleineren Veränderungen". Er vertraue darauf, dass eine neue Ausnahmeregelung den Ansprüchen des Gerichts genügen werde und dass die Jeschiva-Studenten weiterhin eher ihre Studien verfolgen würden, statt in der Armee zu dienen.
Netanyahus rechtsorientierte Koalition verfügt über 66 der insgesamt 120 Parlamentssitze. 16 der Abgeordneten in der Regierungskoalition sind Mitglieder der beiden strengreligiösen Parteien Shas und Vereinigtes Thora-Judentum.