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Vor mehr als 160 Jahren verschwanden die Schiffe der legendären Franklin-Expedition im Eismeer. Mit Riesenaufwand will Kanada jetzt nach den Wracks suchen - und damit seine Souveränität über die Arktis untermauern.
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Edmonton. Das letzte Lebenszeichen von Sir John Franklin gab es am 26. Juli 1845. Ein paar Walfänger sichteten den Kapitän und seine zwei Expeditionsschiffe "Erebus" und "Terror" vor der Küste von Grönland. Danach verloren sich die Spuren Franklins, seiner 129 Mann Besatzung und der Schiffe. Sie gelten bis heute als verschollen. Es ist eine der größten Tragödien der Expeditionsschifffahrt. Franklin sollte im Auftrag der britischen Königin Victoria die legendäre Nordwestpassage finden, die auf rund 6000 Kilometern den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Stattdessen endete die Suche in einer Tragödie.
Mehr als 160 Jahre später lässt die kanadische Regierung jetzt mit noch nie dagewesenem Aufwand nach den Wracks der Franklin-Expedition suchen - der Klimawandel und das schmelzende Eis machen es möglich. Seit dieser Woche suchen Unterwasserarchäologen den arktischen Meeresboden ab. Die Aktion dauert mehrere Wochen.
Den Kanadiern geht es dabei weniger um historische Neugier als um Ansprüche auf die Arktis.Daraus macht Umweltministerin Leona Aglukkaq auch gar kein Geheimnis. Werden die Schiffe Ihrer Majestät, der Königin von England, die zugleich Staatsoberhaupt von Kanada ist, gefunden, untermauert das die territorialen Ansprüche Ottawas. Denn die britischen Schiffe gehen dann per Vertrag in Kanadas Besitz über.
Seit das polare Meereis immer schneller schmilzt, ist um die Arktis ein internationaler Wettlauf um die dort lagernden Rohstoffe ausgebrochen. Mehrere Nationen rivalisieren um das Polargebiet, neben Kanada unter anderem Russland, die USA, Norwegen und Grönland. Russland hatte bereits 2007 auf dem Meeresboden unter dem Nordpol symbolisch die Nationalflagge hissen lassen, um seinen Anspruch deutlich zu machen.
Klimaforscher schätzen, dass die Arktis schon in 25 bis 40 Jahren komplett eisfrei sein könnte - und das weckt Begehrlichkeiten. Nach Schätzungen lagern nördlich des Polarkreises bis zu 30 Prozent der bislang unentdeckten Gas- und 13 Prozent der unentdeckten Erdölvorkommen der Welt, dazu Rohstoffe und Edelmetalle wie Kupfer, Gold oder Diamanten. Den Kanadiern ist daher jedes Wrackteil willkommen, mit dem sich womöglich Ansprüche sichern lassen. Wie ernst dem Land die ganze Sache ist, zeigt sich auch daran, dass die Regierung das alljährliche Manöver der Streitkräfte in der Arktis parallel zur Wracksuche abhalten lässt. Im Rahmen der "Operation Eisbär" üben dieser Tage hunderte Soldaten den Einsatz im Polargebiet. Zuletzt brachen auch zwei Eisbrecher in Richtung Nordpol auf - um auch dort Kanadas Ansprüche abzustecken.
Shell als Sponsormit an Bord
Seit dem Fund der "Titanic" 1985 gab es um keine Wracks mehr so viel Aufregung wie um die "Erebus" und die "Terror": Mehr als 20 Crews aus dem In- und Ausland haben in den letzten Jahrzehnten nach den Schiffen gefahndet. Für die kanadische Regierung ist es der sechste Versuch in sieben Jahren - und noch nie war der Aufwand so groß. Mit dabei in diesem Jahr sind der Eisbrecher "Sir Wilfried Laurier", das Forschungsschiff "Martin Bergmann" und das Kreuzfahrtschiff "One Ocean Vogayer". Erstmals nimmt auch die kanadische Marine teil und sendet das Patrouillenboot "HMCS Kingston". Gesponsort wird die Expedition von der Regierung, die dafür mehr als eine viertel Millionen Dollar ausgibt. Aufgestockt wird das Budget von Wirtschaftsvertretern wie dem Gründer des Blackberry-Konzerns, Jim Balsillie. Auch der britische Erdölkonzern Shell beteiligt sich.
An Bord der Schiffe befinden sich Unterwasserkameras, Sonar, Echoloten, Satellitenempfänger und Messboote. Unbemannte U-Boote sollen dabei das Meer wie ein Rasenmäher "abgrasen". Aus den Signalen wollen die Forscher Unterwasser-Karten erstellen, denn noch immer sind große Teile des Polarmeeres nicht kartografiert. Diese Daten sollen die Hoheit Kanadas über die Arktis auch dann untermauern, wenn die Schiffwracks nicht gefunden erden. Die Forscher wollen eine Fläche von mindestens 1200 Quadratkilometern absuchen - so viel wie bei allen vorherigen Expeditionen zusammen. Sie konzentrieren sich dabei auf ein Gebiet in der Victoria-Straße vor der Westküste der King-William-Insel, die etwa 2000 Kilometer südlich des Nordpols liegt. Die Gegend unweit der Siedlung Gjoa Haven gilt bis heute als eine der unwirtlichsten Regionen der Welt. Selbst im arktischen Sommer im August und September türmt sich hier das arktische Eis oft meterhoch.
Inuit-Überlieferungen, handschriftlicher Brief
"Ich glaube, dass wir gute Chancen haben, zumindest eines der Schiffe zu finden", ist John Geiger von der Canadian Geographic Society überzeugt. Anhaltspunkte bieten Überlieferungen der lokalen Inuit-Ureinwohner und eine handschriftliche Aufzeichnung der Franklin-Crew, die in einer Steinpyramide auf der King-William-Insel gefunden wurde. Aus der Notiz lässt sich schließen, dass Franklins Schiffe im Herbst 1846 unweit der Nordspitze der Insel im Treibeis stecken geblieben waren und ihre Fahrt danach nicht fortsetzen konnten. Der Kapitän hatte noch einen arktischen Winter an Bord der "Erebus" ausgeharrt, bis er schließlich im Juni 1847 an Kälte, Skorbut und einer Bleivergiftung starb. Sein Grab wurde nie gefunden. Der Rest der Besatzung kam ein Jahr später bei dem Versuch um, sich zu Fuß zu retten. Was danach mit den Segelschiffen passierte, ist bis heute ein Rätsel.
Die Menschheit wisse mehr über die Oberfläche des Mars als über den Meeresboden der Arktis, erklärte Ryan Harris, der leitende Unterwasserarchäologe. Manche Forscher glauben, dass zumindest eines der Schiffe später an Ort und Stelle sank. Auf diese Theorie konzentriert sich die Mission. Falls sie stimmt, sind die Chancen groß, dass die Artefakte gut erhalten sind - konserviert im eisigen Wasser der Arktis.