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Kanadische Hintertür

Von Alexander U. Mathé

Politik
Das Klagerecht für Konzerne , die ihre Gewinnaussichten durch Gesetze geschmälert sehen, stößt Bürgerrechtlern und Globalisierungskritikern sauer auf.
© fotolia/Olivier Le Moal

Umstrittener Investorenschutz zwischen EU und USA: Bürgerrechtler fürchten Aushöhlung der Demokratie.


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Wien/Berlin. Investitionsschutz ist eines der heißesten Themen bei den Freihandelsgesprächen zwischen der EU und den USA. Die Klauseln zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Investoren und dem Staat (englisch "Investor-to-State Dispute Settlement", ISDS) ermöglichen es Unternehmen, Staaten vor nicht-öffentlichen Schiedsgerichten zu klagen, wenn sie sich durch die Gesetzgebung in einem Land diskriminiert und bei ihren Investitionen geschädigt fühlen.

Kritiker fürchten eine Aushöhlung der Demokratie, durch die Anpeilung des "höchsten Liberalisierungs- und Investitionsschutzniveaus", wie die EU in ihrem Positionspapier zu TTIP geschrieben hat. Denn ISDS hebelt nicht nur nationale Gerichte aus und ersetzt sie durch Schiedsgerichte. Es räumt Investoren Klagerechte ein, wenn politische beziehungsweise demokratisch legitimierte Maßnahmen ihre Gewinnaussichten schmälern. "Unter diese Maßnahmen fielen dann zum Beispiel die Verschärfung von Umweltstandards, Re-Kommunalisierung von öffentlichen Dienstleistungen (wie etwa Strom, Wasser) und selbst die Einführung oder Erhöhung von Mindestlöhnen", heißt es von der globalisierungskritischen Organisation Attac. Ein abschreckendes Beispiel ist der Tabakkonzern Philipp Morris, der auf Grundlage eines Investitionssicherheitsabkommens Uruguay geklagt hat, weil das Land strikte Raucherschutzgesetze eingeführt hat.

Gegen die Urteile ist keine Berufung möglich. Wegen des großen Drucks von Bürgerrechtsbewegungen hat die EU-Kommission die Verhandlungen über ISDS im Freihandelsabkommen mit den USA vorerst auf Eis gelegt. Doch es besteht die Vermutung, dass über den Umweg des bereits ausgehandelten, jedoch nicht veröffentlichten Abkommens mit Kanada (Ceta) amerikanische Firmen sich entsprechende Rechte in Europa sichern können. Ceta, so viel weiß man jetzt schon, wird nämlich die umstrittenen ISDS-Klauseln enthalten.

Ceta gilt gemeinhin als Testballon für TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership, wie das EU-USA-Freihandelsabkommen auf Englisch heißt): Was beim einen möglich ist, wird auch beim anderen möglich sein, glauben Verhandler und Politiker. Im Schatten von TTIP haben die EU-Kommission und die kanadische Regierung bereits im Oktober eine politische Einigung über das Freihandelsabkommen Ceta erzielt. Der Text wurde allerdings bis heute nicht veröffentlicht. Jetzt scheint es, als hätte Ceta nicht nur Testcharakter, sondern könnte auch Pforten öffnen, die bei TTIP verschlossen sind.

Wer will eigentlich ISDS?

Abgeordnete der deutschen Linkspartei haben eine Anfrage an ihre Bundesregierung gestellt, in der sie wissen wollten, ob es möglich wäre, dass US-Firmen über eine Zweigniederlassung in Kanada in den Genuss von ISDS-Klauseln kommen, selbst wenn TTIP diese nicht enthalte. Diese Möglichkeit räumt die Regierung ein: "Diese Frage kann derzeit nicht abschließend beantwortet werden, da insoweit noch kein endgültiges Verhandlungsergebnis vorliegt." Allerdings will sich Berlin dafür einsetzen, "dass Zweigniederlassungen von US-Konzernen in Kanada nicht Bestimmungen über Investor-Staat-Schiedsverfahren in Ceta nutzen können, um Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland oder andere EU-Mitgliedstaaten geltend zu machen."

Offen bleibt die Frage, wer eigentlich ein Interesse daran hat, ISDS in den Abkommen zu verankern. Spricht man mit den Verantwortlichen, so zeigt jeder mit dem Finger auf einen anderen.

"Wir haben das Thema nicht aufgebracht", erklärte ein ranghoher US-Beamter gegenüber der "Wiener Zeitung". Auch wenn gleichzeitig klar ist, dass die USA nicht besonders abgeneigt gegen ISDS sind. "Wir wussten, dass die USA das Thema ohnedies aufbringen würden", hört man wiederum in Kreisen der EU-Kommission. Besonders Deutschland habe hier Druck gemacht, heißt es.

Doch das scheint zumindest zweifelhaft. Zum einen fällt das Thema ausländische Direktinvestitionen, das ISDS betrifft, seit dem Lissabonvertrag in den Kompetenzbereich der EU. Zum anderen hängt das Herzblut der Regierung in Berlin offenbar nicht an ISDS, wie aus ihrer Stellungnahme ersichtlich ist: "Deutschland erachtet Bestimmungen zum Investitionsschutz einschließlich Investor-Staat Schiedsverfahren in Abkommen mit OECD-Staaten (...) grundsätzlich nicht als erforderlich."

EU-Mitgliedstaaten am Zug

Von den TTIP-Verhandlern hört man, dass die Verankerung von ISDS im Freihandelsabkommen als Vorbildwirkung gedacht ist. Es soll als Schablone für künftige Verträge dienen. Insbesondere denkt man hier offenbar an China. Klar ist, dass ISDS in einem Vertrag der EU auch unter den Mitgliedstaaten auf einen Schlag gleiche Verhältnisse schaffen würde. Denn die müssten sich konsequenterweise alle an die Vereinbarung halten - egal, in welchem Ausmaß der Investitionsschutz auf nationaler Ebene durchgesetzt wurde. Offenbar hat die EU-Kommission hier keine Gelegenheit ausgelassen, denn Ceta ist das erste Abkommen seit dem Kompetenzübergang für ausländische Direktinvestitionen auf die EU.

Nachdem er das Thema lange Zeit als nicht so dringlich gesehen hatte, lenkte EU-Kommissar Karel de Gucht schließlich ein. "Regierungen müssen immer Regulierungsfreiheit haben, um ihr Volk und die Umwelt zu schützen. Sie müssen aber auch die richtige Balance finden, um Investitionen anzulocken", erklärte er. TTIP solle beides sicherstellen. Er erwartet auf dem Gebiet nun Lösungsvorschläge von den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten. Unterdessen liegt das Thema ISDS bei den TTIP-Verhandlungen auf Eis. Wie es beim Abkommen mit Kanada aussieht, ist allerdings noch nicht bekannt.