Schön, dass es noch Themen gibt, bei denen man sich den Luxus, keine Meinung zu haben, nicht leisten kann.
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Das Schöne am Sommerloch ist seine unübertroffene Fähigkeit, an und für sich leichte politische Kost mit den Untiefen des Schicksalhaften zu kombinieren. Oder einfacher ausgedrückt: In den Hundstagen gelingt es ausgerechnet den Chronikressorts, klassische Themen des (man verzeihe den despektierlichen Ausdruck) Kanaldeckeljournalismus mit geradezu manichäischer Bedeutungstiefe aufzuladen. Während der Glaube an Gut und Böse in der klassischen Politik längst einer vagen Ahnung eines unansehnlichen Graugemischs weichen musste, feiert der Überzeugungstäter in der ehrbaren Tradition Martin Luthers ("Hier stehe ich und kann nicht anders", religiös Konnotierte können noch "Gott helfe mir, Amen" anfügen) biedere Auferstehung.
In Zeiten, in denen nicht einmal mehr Barack Obama gegen Mitt Romney als Duell des strahlenden Helden gegen einen finsteren Fiesling ironiefrei durchgeht, in solchen Zeiten wird plötzlich die vergleichsweise läppische Frage einer Ausweitung der Wiener Parkraumbewirtschaftung zum kommunalpolitischen Glaubensbekenntnis. Lavieren, relativieren und ignorieren sind selbstverständlich streng verboten.
Wer nicht dafür ist, muss deshalb zwangsläufig dagegen sein. Keine Meinung zu haben, ist ein Luxus, den sich in dieser Frage nicht einmal der Kanzler dieser Republik leisten will; und schon gar nicht, wenn die größte Zeitung des Landes um eine besorgte Stellungnahme bittet.
Die Bedeutungsschwere, mit der die - gemeinhin als Parkpickerlstreit verniedlichte - Auseinandersetzung aufgeladen wird, verwundert einigermaßen, schließlich ist die prinzipielle Notwendigkeit irgendeiner Parkraumbewirtschaftung allgemein akzeptiert. Der Konflikt dreht sich also nicht darum, ob, sondern ausschließlich darum, wie diese gestaltet werden soll. Dies führt üblicherweise zu einer nüchternen Analyse bestehender Optionen und Standpunkte, die - multipliziert durch den Faktor exekutiver Macht - dann eben zu der einen oder anderen Vorgehensweise führt. Nur in diesem Fall läuft der Prozess nicht auf einstudierte Konsensfindung, sondern in Richtung Eskalationsmaximierung ab.
Warum das so ist? Schwierig zu sagen. Fundamentalisten machen dafür den Missionarismus der Maria Vassilakou oder den Populismus der direkten Demokratie verantwortlich; wie es eben nun einmal so ist, wenn zwei unbedingt das Beste aus ihrem politischen Blatt machen wollen.
Man muss darob nicht gleich die Demokratie zugrunde gehen sehen. Schließlich ist es noch nicht so lange her, dass aufgeklärte Geister andere Städte - man denke nur an "Stuttgart 21" - um die Protestlust ihrer Bürger beneideten. Jetzt ist es eben die Parkraumbewirtschaftung.
Soll sein.
Das Gute an solch aufgeheizten Debatten in der Hitze des Sommers ist nämlich: Noch nie haben sich so viele Wiener mit den komplexen Fragen urbaner Verkehrswirtschaft auseinandersetzt wie in den vergangenen Wochen und Monaten. Weil gute Medien froh sind, ausreichend Platz für ein Thema zu haben, das die Leute interessiert.