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Kann denn Jagen Sünde sein?

Von Elisabeth Hewson

Reflexionen

Für die einen ist es mordsmäßige Schlächterei, für die anderen Pflege und Hege der Natur: Über die Jagd lässt sich vortrefflich streiten. Ein argumentativer Leitfaden für Gegner und Befürworter.


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Darin sind sich viele einig: Du sollst nicht töten! Und schon gar nicht freiwillig und ohne Not! Jagen ist Morden zum Vergnügen, jeder Jäger ein wild gewordener Instinktmensch, der seinen primitivsten Gefühlen freien Lauf lässt und sich an der Grenze zum Massenmörder herumtreibt! Der gefühllos unsere Erdmitbewohner abschlachtet, um ein wenig Nervenkitzel zu erleben!

Nein, tönt der Chor der Jäger: Wir tun, was Menschen tun, seit es sie gibt! Was auch Tiere tun, um sich am Leben zu erhalten. Wir folgen dem natürlichsten Instinkt der Welt, bekennen uns zu der ehrlichsten Art, sich Fleisch zu verschaffen, und leben damit in Harmonie mit der Umwelt. Wir sehen den Tod pragmatisch - und diese Art des Tötens von Tieren als sportliche und psychische Herausforderung. Ohne sentimentale Scheinheiligkeit.

Wer hat Recht? Sicher nicht die Machos auf Großwildjagd, die ach-so-männlichen Hemingways und Potentaten, die sich gerne mit aufgepflanzter Waffe, das Bein triumphierend auf den erlegten Tiger/Bären/Hirschen gestellt, abbilden lassen; die Trophäensammler, die den Elefantenfuß als originellen Schirmständer nützen; die Geschäftsleute, die Eventjagden zum Zweck der Seilschaftsbildung veranstalten.

Das wird wohl niemand mehr ernsthaft befürworten, außer einigen Lobbyisten und/oder Waffenhändlern, die das auch heute offiziell noch toll und vertretbar (und leider auch immer noch nachahmenswürdig) finden. Denn es hat sich doch einiges in der Bewusstseinsbildung der Gesellschaft getan, seit Kaiser Maximilian unter dem Murren seiner Untertanen möglichst vielen Gämsen Tirols den Garaus machte, und nicht nur er: Fürsten brachten zu ihren Jagden ihre Büchsenlader mit, um wie am Fließband bis zu 60 Gämsen pro Tag erlegen zu können. Und Kaiser Franz Joseph I. konnte nach einer einzigen, allerdings besonders "erfolgreichen" Jagd 30.000 Opfer zu einer "Strecke" auslegen lassen. Thronfolger Franz Ferdinand mähte bei seinen Jagdausflügen angeblich 270.000 Stück Hoch- und Niederwild nieder, das ihm von seinen Jägern auf übersichtliche Waldschneisen (die er extra dafür schlagen ließ) vor die Flinte getrieben wurde. (Wie bizarr sein Ende in Sarajewo unter diesem Gesichtspunkt erscheint!)

Aber wie steht es nun mit den Berufsjägern? Mit den Sportjägern? Mit Jägern und Jägerinnen, die das Waidwerk lernen, um als Hobby auf die Pirsch zu gehen und Tiere zu erlegen? Spätestens beim Rehgulasch und der Hirschwurst sollte man sich ehrlicherweise mit dem Töten von reh-, hasen-, vogeläugigen Lebewesen auseinandersetzen. Und selbst, wenn man dem Fleisch abhold und dem Gemüsekonsum zugeneigt ist, sollte man seine Toleranz einmal ehrlich prüfen: Ist Jagen moralisch vertretbar?

Findet man für seine Meinungsbildung Hilfe in der Geschichte? Nicht wirklich, war doch noch bis vor kurzem das Wild eine hungermildernde Beute, die "Jagdgründe" also völlig andere. So wurde einst im "Sachsenspiegel" (aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts) das Recht dargelegt, dass jedermann mit der Jagd für seine Ernährung sorgen dürfe - ein Überlebensfaktor.

Doch bald kamen Kaiser und Kirche und beanspruchten Wald und Wild für sich, ließen ihre Untertanen zwar zur Jagd zu, aber nicht zur Beute: Die wurde sogar manchmal verbrannt oder vergraben, nur um sie dem gemeinen Volk nicht zu überlassen. Wer da wohl gemein war . . .?

Das trieb die Menschen zum Wildern; der Wilderer wurde zum Revoluzzer - und manch einer zum Volkshelden. Und offiziell zum Staatsfeind Nummer eins, den man räderte (wie den Bayrischen Hiasl, der wie Robin Hood "Helfer der Armen" genannt wurde); den man hängte oder an einen Hirschen band, der ihn dann zu Tode schleifte. Man erzählt sich noch heute vom jungen Wilderer Georg Jenewein, der 1877 von einem befreundeten Jäger "erlegt" worden war, ohne dass dieser verurteilt wurde. Oder aus jüngerer Zeit von Pius Walder, den ein Jäger 1982 in Osttirol erschoss, und dessen Angedenken noch heute von seinem Bruder immer wieder in die Öffentlichkeit getragen wird.

Die Waldrevoluzzer

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Wilderer machten sich mit Ruß unkenntlich.
© Bild: Wilderermuseum St. Pankraz

Wer sich über diese Subkultur informieren will, sollte einmal einen Ausflug nach St. Pankraz in Oberösterreich machen, in das Wilderermuseum: Die Sympathie liegt dort, auch wenn man das nicht zugeben will, eindeutig beim Waldrevoluzzer. Beim Räuber-und-Gendarm-Spiel ist ja auch meist der Räuber der Coolere . . .

Doch wie ist das mit den moralischen Bedenken von Tierschützern, Umweltmahnern, Vegetariern, Vordenkern: Darf man töten? Und schon gar zum Spaß? Ist das überhaupt Spaß? Und wenn nicht, warum macht man es dann? Kann man Jagdinstinkt oder Abenteuerlust nicht auch anders ausleben? Auf die Pirsch gehen, Tiere beobachten, ohne sie zu erlegen? Oder predigt man damit einen "coitus interruptus", der zwar Lust zulässt, aber den Höhepunkt verleugnet? Kann es stimmen, dass man leichter auf Menschen abdrückt, wenn man Tiere erschießen lernt? Ist Jagen sexy?

Viele Autoren - es gibt unzählige Bücher über das Warum und das Wieso, über Frauen als Jägerinnen, das Beuteschema, den auf andere Gebiete übertragenen Jagdinstinkt - vergleichen Jagen mit Sex. Und das gierige Verhalten von Bankern, die Machtlust der Politiker, die Karrieregeilheit von Managern mit Jagdinstinkt. Der ja auch wieder mit Sex zu tun haben kann. Trotzdem beantwortet es die Frage nicht, ob gewisse Instinkte unterdrückt werden sollen. Und ob das wirklich erstrebenswerte Kultur-Evolution ist. Oder die Ursache von Neurosen und empathieloser Brutalität?

Auch der spanische Philosoph José Ortega y Gasset (1883-1955) quälte sich mit den Gedanken über das Töten bei der Jagd und kommt zu dem Schluss, dass der Jäger der glücklichste Mensch sei: Er "spielt" Steinzeitmensch, löst sich damit vom einengenden Stadtleben, der Technik und dem kritiklosen Fortschrittsglauben, nimmt "Ferien vom Menschsein", kehrt zurück in die Ursprünglichkeit, den Urzustand des Menschen als Jäger. Und erlebt die totale Wunscherfüllung: Zufriedenheit. Nur kurz, denn, so meint Ortega y Gasset, ein guter Jäger wird vor der Tötung jedes Lebewesens immer Zweifel und Gewissensbisse haben. Jäger empfinden ihren freien Willen besonders intensiv. Gute Jäger streben nicht nach äußerlichen Zielen wie Ehre oder Angeberei, sie betreiben die Jagd wegen des innerlichen Erlebens.

Fröhliches Hinmetzeln ist die ernsthafte Jagd jedenfalls nicht. Wenn man stundenlang im Nebel auf dem Hochstand hockt, bewegungslos, während Füße und Hände gefühllos werden, und man bloß den fallenden Tropfen und dem Rauschen in den Wipfeln und im Laub lauschen kann, muss man schon viel Begeisterung mitbringen, um das immer wieder durchzustehen bzw. zu -sitzen. Oft ist die einzige "Action" vieler Stunden das Beobachten schemenhafter Baumumrisse, die einmal aus einer wabernden Nebelwand auftauchen, dann wieder dahinter verschwinden, von Reh, Hirsch, Gämse oder Wildschwein keine Spur.

Wenn man dann am Ende des Tages nur mit schmerzenden Sitzmuskeln und kratzendem Hals nach Hause zurückkehrt - und das nicht einmal, nein, dutzende Male -, kann von leichtfertiger Tötung wohl keine Rede mehr sein. Wenn man dann noch dem "Jägerlatein" der Jagdkollegen bei der "Nachbearbeitung" folgt, die jeden vermeintlich erlauschten Tritt eines Rehs, jede Sichtung von einem Futzerl Fell im Laubdickicht nicht nur beobachtet, sondern sich auch gemerkt haben, inklusive genauer Zeit- und Ortsangabe, dann kann man diese Art von Jagd wohl nicht als mutwilligen Tötungsakt betrachten.

Wer ist gegen Fischen?

Auch wenn man miterlebt, wie tragisch ein möglicher Streifschuss genommen wird; wie man gemeinsam versucht, das verletzte Tier zu bergen, wobei man oft gar nicht genau weiß, ob vielleicht ohnehin vorbeigeschossen wurde. Da wird dann ganz genau analysiert, welche Tiergruppe das gewesen sein könnte, wo wohl jetzt welche Hirsche grasen, ob es der junge aus dem anderen Revier gewesen sein kann, oder doch der Nachfolger vom älteren hiesigen - jeder Jäger scheint jedes Stück Wild seines Waldes zu kennen, seine Angewohnheiten, seine Vorlieben, seinen Gesundheitsstatus und seine listigen Täuschungsmanöver.

Dass sich Jäger unfair behandelt fühlen, kann man nachvollziehen: Kaum jemand ist gegen das Fischen, obwohl doch ebenfalls Tiere gejagt und getötet werden. Niemand bezeichnet den Bauern als Mörder, der seine Tiere (im besten, humansten Fall) wie Familienmitglieder hält, mit Namen, täglichem Kontakt und individueller Betreuung, nur um sie dann zu schlachten - übrigens niemals "artgerecht" gehalten, denn alle Fleischlieferungen ab Hof sind spezielle Züchtungen, die mit der ursprünglichen Art wenig zu tun haben.

Warum nicht? Nur, weil er Tiere nicht mühsam verfolgt, beobachtet und die passenden, die zum Bestand und Nutzen der Revier-Bewirtschaftung eliminiert werden müssen, erlegt, sondern hilflose, zum Vertrauen erzogene Rassen zur Schlachtbank führt? Da taucht doch die Frage auf, ob das nicht viel grausamer ist als das Erschießen von Tieren in der freien Wildbahn, die ihr Leben artgerechter leben durften, und dann eigentlich artgerecht - durch einen Verfolger, der für seine Nahrung sorgen möchte, wie ein Luchs oder Bär auch - schnell getötet werden.

Genau deshalb, werden da wieder die Vegetarier rufen, sollte man gar keine Tiere essen! Beides ist widerlich. Aber ist eines davon nicht noch widerlicher, nämlich die Viehzucht?

Als Pragmatiker müsste man aus allen diesen Beobachtungen und Überlegungen einen klaren Schluss ziehen können: Menschen werden immer Fleisch essen wollen, es tut ihnen auch (in Maßen) gut, wie viele Ärzte bestätigen; und Völker, die bisher zu arm waren, um sich öfter Fleisch leisten zu können, werden nicht einsehen, warum sie jetzt, wo es ihnen besser geht, nicht das genießen sollen, was wir in unseren verwöhnten Breiten lange genossen haben, nur um uns jetzt in unserem Überfluss moralisch zu kasteien und es auch von anderen zu verlangen.

Ein befreundeter Tierfilmer und Journalist, viel mit Jägern unterwegs, viel mit Tieren beschäftigt, beantwortet die Frage nach seiner Einstellung zur Jagd so: "Ich habe im Prinzip nichts gegen Jagd und esse überaus gern Wild. Den ‚Kick‘ am Totschießen von Tieren kann ich aber nicht nachvollziehen - und bin daher froh, wenn es andere für mich tun. Wenn ich großen Hunger hätte, könnte ich es aber schon. Was ich allerdings nachvollziehen kann, ist die Freude am Pirschen. Ich fand es immer sehr spannend, mit auf die Pirsch zu gehen, besonders in Afrika."

Eine Jägerin, nach ihren Gefühlen nach dem Abdrücken gefragt, spricht von einer Art von Trauer, die dem Triumph folgt (post-coitale Tristesse?), und von achtungsvoller Liebe dem Tier gegenüber.

Absch(l)usshandlung

Am anderen Ende der Welt meint ein australischer Hobbyjäger und Bildungsbeauftragter für die Outbacks, der selbst auf die Jagd geht, dass die meisten Jäger das Töten nicht genießen, sondern es als mental nötige Abschlusshandlung einer selbst gestellten Aufgabe empfinden. Er erwähnt auch einen Freund und Jäger, der seine "Jagd" auf Frauen sofort beendet, wenn das angepeilte "Opfer" leicht zu haben ist: er braucht offenbar die Selbstbestätigung, etwas Besonderes zu sein, zu erreichen, woran andere scheitern.

Und er betont, dass Jäger mehr Geld und Energie in den Schutz und die Pflege der Natur stecken, als jede andere Interessensgruppe unserer Gesellschaft. Womit er sicher nicht nur in Australien Recht hat: In Deutschland etwa werden allein für Jagdpachten 500 Millionen Euro ausgegeben. Dazu kommen Förstergehälter, Holzarbeiter, die Bekämpfung von Schädlingen . . . Die aufgewendeten Stunden an Beobachtung des Reviers und der Tiere, für Fütterungen und die Pflege des Waldes sind nur schwer abzuschätzen.

Ob das Töten von Tieren als Hobby vertretbar ist, wird damit freilich noch nicht geklärt. Das muss wohl auch von jedem selbst beurteilt werden - und die Gegenmeinung toleriert. Wer die Jagd aber verurteilt, ohne sich intensiv damit beschäftigt zu haben, beweist damit nur eine eher gedankenlose Political Correctness. Und davor sollte man immer auf der Hut sein.

Elisabeth Hewson, in Wien geboren, einige Zeit in England und in Tirol zu Hause, arbeitete lange Jahre als Werbetexterin, später als Chefredakteurin einer Konsumentenzeitung; lebt nun als freie Journalistin in Wien.