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Kann die Wahrheit Verhetzung sein?

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Öffentlich auszusprechen, dass die Migrationswelle ab 2015 auch Antisemitismus mit sich gebracht hat, ist sensiblen Gemütern nicht zu empfehlen.


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Es war ein Satz wie eine im Studio detonierende Handgranate, den der Modeschöpfer Karl Lagerfeld jüngst live auf Sendung in einer französischen TV-Talkshow in Bezug auf die Migrationspolitik der deutschen Kanzlerin formulierte: "Wir können nicht Millionen Juden töten und Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land holen." Um das zu illustrieren, berichtete Lagerfeld, was einer Bekannten in Deutschland passiert war, die einen jungen Syrer bei sich aufgenommen hatte. Dieser meinte nach ein paar Tagen zu seiner Gastgeberin: "Die beste Erfindung Deutschlands ist der Holocaust."

Mehr hat Lagerfeld nicht gebraucht. "Volksverhetzung" war noch einer der höflicheren Vorwürfe, die er sich gefallen lassen musste, die französische Medienaufsichtsbehörde erwägt den Sender wegen des Sagers offiziell zu rügen.

RTL gelang gar der Beweis, dass NS-Propagandaminister Joseph Goebbels offenbar gar nicht tot ist, sondern heute in Deutschland Fernsehen macht. Lagerfeld, so erklärte RTL nämlich, habe das ja nur gesagt, weil das Modelabel Chanel, für das er Kleider kreiert, "fest in jüdischer Hand ist".

Nun mag man Lagerfelds Behauptung zugespitzt finden - liest man sie als plakatives Synonym für importierten Antisemitismus, ist sie im Kern durchaus zutreffend. Dass mit der Migrationswelle ab 2015 ein erhebliches Maß an Antisemitismus in die Zielländer kam, ist ein Fakt. Selbst der für vorsichtige Zurückhaltung bekannte Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat deshalb heuer einbekannt: "Was in unserer Gemeinschaft seit 2015 Sorgen macht, ist, dass unter den als Flüchtlinge nach Deutschland gekommenen arabischen Muslimen viele sind, die in ihrer Heimat über Jahrzehnte antisemitisch indoktriniert wurden."

Denn in vielen Herkunftsländern der Migranten - etwa in Syrien und anderen arabischen Staaten - ist Antisemitismus weit verbreitet und absolut üblich, schon die kleinen Kinder in der Schule werden dort häufig antisemitisch erzogen. Laut einer Studie des angesehenen Pew-Institutes sehen etwa in Ägypten, Libanon oder Jordanien mehr als 90 Prozent der Befragten Juden negativ. In Syrien ist das nicht viel besser. Und nicht nur die Ungebildeten und Armen sehen das so, sondern auch viele Wohlhabende und Gebildete. Antisemitische Verschwörungstheorien, die berüchtigten "Protokolle der Weisen von Zion" und die Verherrlichung antisemitischer NS-Propaganda sind in der arabischen Welt noch immer weit verbreitet.

Festzustellen, dass Menschen, die aus derartigen Gesellschaften zu uns einwandern, nicht in allen, aber eben doch in vielen Fällen auch den Antisemitismus ihrer Heimat mitbringen, ist deshalb nicht "hetzerisch", sondern schlicht der Logik geschuldet. Dass sich Lagerfeld, indem er das aussprach, einen veritablen Shitstorm zuzog, dürfte einen einfachen psychologischen Grund haben. Damit, dass die Willkommenskultur von 2015 hohe Kosten, schwere soziale Probleme und erhebliche Frauenfeindlichkeit mit sich gebracht hat, können deren ehemalige Proponenten wohl gerade noch leben - aber einzubekennen, nun auch Antisemitismus verursacht zu haben, ist gerade in Österreich oder Deutschland unerträglich. Auch und gerade, wenn es stimmt.