Während die USA langsam aus der Krise kommen, dominieren in Europa Arbeitslosigkeit und mangelnde Nachfrage.
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Wien. Die Weltwirtschaft habe in den vergangenen Jahren viel Doping bekommen, meint Carsten Brzeski, Chef-Volkswirt bei der niederländischen Bank ING. Der Ökonom hat in den Büroturm Galaxy-Tower in Wien-Leopoldstadt zu einer Tour d’Horizon der Weltwirtschaft geladen, es geht um die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken, um Wettbewerbsfähigkeit, Abenomics, Eurokrise, den Cash-Crunch in China sowie die Konjunkturaussichten in den USA.
Doch wie geht es der Weltwirtschaft? Ist die Weltwirtschaft schon bereit, ohne billiges Geld, also ohne niedrige Zinsen auszukommen? Wohl eher nicht, meint der Experte, auch wenn es erstmals seit dem Beginn der tiefen Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 ein wenig Hoffnung auf Besserung gibt. Vor allem die Konjunktur in den USA sei die große Überraschung, meint Brzeski. "Die Fiskalklippe, ein Programm von automatisch in Kraft tretenden harten Sparmaßnahmen, hat offenbar niemanden interessiert", sagt er. Der Grund für die grünen Triebe: Die Haushalte haben ihre Schulden stark abgebaut, die Schiefergasvorkommen geben Hoffnung auf niedrigere Energiekosten. Diese neuen Gasvorkommen hätten das Potenzial, die globalen Spielregeln am Energiemarkt dauerhaft zu verändern. Die USA können sich vom globalen Energiemarkt unabhängig machen und ihre Leistungsbilanz mit Gasexporten aufbessern.
US-Reindustrialisierung
Diese schöne neue Unabhängigkeit lässt auch Folgen für die Geopolitik erwarten: Wenn sich die Hoffnungen auf das Schiefergas erfüllen, müssen die USA viel weniger Energie importieren und könnten ihr Engagement im Persischen Golf reduzieren. Aufgrund der niedrigeren Gaspreise in den USA überlegen auch immer mehr europäische Konzerne, Teile ihrer energieintensiven Produktion in die Vereinigten Staaten auszulagern. Österreichische Unternehmen folgen ebenfalls diesem Trend: So errichtet zum Beispiel die Voest errichtet ein Werk auf dem La Quinta Trade Gateway, in unmittelbarer Nähe zur Stadt Corpus Christi (Texas). Das Werk mit rund 150 Mitarbeitern braucht neben Eisenerz jede Menge Erdgas. Dessen Preisniveau liegt in den USA bei etwa einem Viertel von jenem in Europa.
Die China-Blase
Wenn das Wachstum stagniert, aber das Kreditvolumen steigt, ist meistens Vorsicht angezeigt. "China hatte fünf bis sieben Prozent Kreditwachstum, es entstanden Geisterstädte, es wurde sehr, sehr viel in die Infrastruktur investiert", sagt Chefökonom Brzeski.
Die People’s Bank of China (PBoC) hatte vor etwas über zwei Wochen eine Geldknappheit ausgelöst, die die Zinsen in die Höhe schnellen ließ, weil die Bank glaubte, dass die Kreditvergabe im Land außer Kontrolle geraten ist. Die Notenbanker wollten den allzu freigiebigen Banken einen Schrecken versetzen.
Nachdem die Maßnahmen der Notenbank zu greifen begannen, stieg der Tagessatz, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen, am 20. Juni auf bis zu 30 Prozent. Die Kreditklemme lief immer mehr aus dem Ruder. In Shanghai begannen Gerüchte zu kursieren, dass einzelne Institute in Schwierigkeiten seien, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Aus dem kleinen Schrecken, den die chinesische Notenbank den Instituten versetzen wollte, wurde rasch eine ausgewachsene Panik, die nur mühsam wieder in den Griff bekommen werden konnte.
Die Ängste der Notenbanker in Peking sind nicht unbegründet, Experten fürchten, dass in den vergangenen Jahren im Reich der Mitte eine Kreditblase entstanden ist, die jener den USA, Japan, Korea oder Europa gleicht und die dort jeweils einer Rezession voranging. Die Inlandskreditvergabe ist im bisherigen Jahr gegenüber dem Vorjahr um 52 Prozent gestiegen, eine beispiellose Steigerung des Kreditvolumens.
Droht im Reich der Mitte ein zweiter Lehman-Brothers-Crash? "Da haben aufgrund der schlechten Kommunikation der chinesischen Notenbank einige überreagiert", sagt Brzeski. Im Gegensatz zu liberalen Marktwirtschaften habe die Planwirtschaft China viel bessere Steuerungsmöglichkeiten.
Experiment Abenomics
Das volkswirtschaftliche Experiment in Japan scheint zu funktionieren, meint der Chefökonom. "Allerdings nimmt da der Staat ein wenig überhand", sagt er und meint damit die Direktiven an die Japanische Notenbank, der Premier Shinzo Abe aufgetragen hat, ein wenig für Inflation zu sorgen. Immerhin: Das Wirtschaftswachstum hat angezogen, der Japanische Yen an Wert verloren - ein Segen für die japanische Exportindustrie. Ein Grund zum Aufatmen ist die Erholung der Wirtschaft dennoch nicht: Das Defizit liegt bei rund 10 Prozent, der Schuldenstand hat 214 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Doch warum hat Japan trotz seines hohen Schuldenstands bisher keine Probleme bekommen? Die Zinsen sind dank niedriger Inflation niedrig, die Staatsanleihen-Papiere werden von japanischen Rentnern gehalten. Wenn nun die Inflation steigt, wird niemand mehr mit den niedrigen Zinsen auf die Staatsanleihen zufrieden sein, die Zinsen werden in diesem Fall steigen. Wenn zudem Japan ein dauerhaftes Leistungsbilanzdefizit bekommt, muss ausländisches Kapital zufließen - ausländischen Investoren werden mit so niedrigen Zinsen nicht zufrieden sein.
Die Macht der Notenbanker
EZB-Chef Draghi hat zuletzt die Finanzmärkte auf anhaltend niedrige Zinsen vorbereitet. "Der EZB-Rat geht davon aus, dass die Schlüsselzinsen in der Eurozone noch für eine längere Zeit auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau (0,5 Prozent, Anm.) bleiben", sagte er am Donnerstag in Frankfurt. Fed-Chairman Ben Bernanke hatte den Märkten vor einigen Wochen einen Schrecken versetzt, und zwar mit der vorsichtigen Ankündigung, dass er langsam daran denkt, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen - soll heißen: Die Anleihenkaufprogramme, mit denen die Märkte gestützt wurden, werden sukzessive zurückgefahren.
Europa erholt sich langsam
Was die Eurozone betrifft, ist langsam Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Die negativen Folgen der Sparpolitik (siehe Grafik links) lassen langsam nach, einige der Krisenstaaten haben ihre Wettbewerbsfähigkeitsposition verbessert. Vor allem in Griechenland, Portugal und Spanien, aber auch in Italien ist es deutlich einfacher geworden, ein Unternehmen zu gründen, beziehungsweise mit der Bürokratie im Land fertigzuwerden. Das Wirtschaftsklima ist aber weiterhin schlecht, wobei hier vor allem Portugal und Italien negativ auffallen. Interessanterweise sind die Erwartungen in die Wirtschaftsentwicklung in Griechenland weniger schlecht - schließlich konnte es dort kaum mehr schlimmer werden. Österreich liegt in Bezug auf das Wirtschaftsklima übrigens im vorderen Feld.
Das größte Problem in der Eurozone ist aber weiterhin die hohe Arbeitslosigkeit. Und da gibt es kaum Hoffnung, dass sich das so schnell ändert. Befragt man Wirtschaftskapitäne nach ihren Plänen, in der nächsten Zukunft neue Jobs zu schaffen oder bestehende Jobs abzubauen, bekommt man eher niederschmetternde Antworten. Vor allem bei den Problemkindern der Eurozone wie Griechenland, Portugal, Spanien denkt derzeit niemand daran, im großen Stil neue Jobs zu schaffen.
Nachfrage-Problem
Der Grund für die Probleme in der Eurozone: Es will sich keine Nachfrage einstellen. Befragt man die Manager von Klein- und Mittelbetrieben in der Eurozone, welche Probleme ihnen am meisten zu schaffen machen, der mangelnde Zugang zu frischem Kapital und Krediten oder die mangelnde Nachfrage, so lautet die Antwort fast unisono: Es gibt zu wenig Nachfrage. Und wenn die Güter und Dienstleistungen nicht nachgefragt werden, dann investieren die Unternehmen auch nicht, beziehungsweise können keine neuen Jobs entstehen.
In Griechenland ist übrigens das Problem des mangelnden Zugangs zu Finanzierungen noch größer als die mangelnde Nachfrage. Es gibt einfach zu wenig Vertrauen in die griechische Wirtschaft, die Banken halten sich mit neuen Krediten zurück, zudem sind die heimischen Institute allesamt überschuldet.
Und Österreich?
Österreichs Wirtschaftsausblick ist nach wie vor vom schwierigen Umfeld in den Märkten Südosteuropas und Osteuropas eingetrübt. "Mit Deutschland liefert sich Österreich in den vergangenen 13 Jahren ein Match im Export", sagt Brzeski, zuletzt habe die Alpenrepublik an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, "den Leistungsbilanzüberschuss gibt es nur mehr wegen dem sehr guten Dienstleistungssektor".
Insgesamt sollten andere europäische Länder neidisch auf Österreich sein, sagt der ING-Volkswirt. Die Arbeitslosigkeit sei niedrig, die Wirtschaft wächst. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, das Fundament für das Wachstum der nächsten Jahre zu legen. "Das ist wichtiger, als sich mit kurzfristigen Wahlgeschenken aufzuhalten", sagt Brzeski.