Der verheerende Tsunami 2010 hat einen Wandel in der Entwicklungshilfe ausgelöst.
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"Wiener Zeitung":
Mr. Atwood, Sie waren schon in den 90er Jahren in Haiti als Leiter der offiziellen Hilfsorganisation der USA (USAID). Der Inselstaat wird alle paar Jahre von Hurrikans und Erdbeben getroffen. Als nunmehriger Vorstand der OECD-Entwicklungshilfe waren Sie nach dem schweren Tsunami 2010 wieder in Haiti. Wie kann man verhindern, dass Haiti alle paar Jahre neu aufgebaut werden muss?Brian Atwood: Nach der Katastrophe von 2010 in Haiti gibt es einen neuen Fokus in der Entwicklungshilfe: Widerstandsfähigkeit ("resilience"). Es gibt Staaten, die so fragil sind, dass sie mit Krisen gar nicht umgehen können. Bei einer Entwicklungskonferenz im südkoreanischen Busan im Dezember 2011 wurde ein "New Deal" erreicht. 17 Staaten, die sich selbst als "fragil" beschreiben (darunter neben Haiti auch Staaten wie Afghanistan, Liberia und Somalia, Anm.), haben gesagt: "Wir möchten anders als die anderen Entwicklungsländer behandelt werden. Wir wissen, dass wir fragil sind, wir wissen, dass wir Institutionen brauchen. Wir wissen, wir brauchen mehr Sicherheit." Dort wird nun versucht, zu helfen, einen Staat zu bauen und den Frieden zu sichern.
Wie hat sich Entwicklungshilfe hauptsächlich verändert?
Derzeit geht doppelt so viel Geld der Entwicklungshilfe in das Abmildern von eingetretenen Desastern als in das prophylaktische Fördern der Anpassung des jeweiligen Landes, damit solche Desaster nicht passieren. In Zukunft werden die Disziplinen der Klimaveränderung und der Entwicklungshilfe mehr zusammenarbeiten. Das bedeutet auch, dass die Finanzierung von klimatischen Veränderungen, wie etwa CO2-Zertifikaten, für Entwicklungshilfe verwendet wird.
Also Finanzierungsalternativen für die Entwicklungshilfe, die derzeit unter der Wirtschaftskrise gerne von den Regierungen gekürzt wird.
Ich weiß, dass derzeit die Entwicklungshilfe-Budgets unter Druck sind, gerade auch hier in Österreich. Aber es ist kurzsichtig, zu glauben, dass die Einschnitte in der Entwicklungshilfe nichts mit einem selbst zu tun haben. Denn Entwicklung hat mit Sicherheit zu tun und mit Wohlstand. Das heißt, es sind nicht nur humanitäre Gründe, die für Entwicklungshilfe sprechen. Ich finde es immer eigenartig, dass Personen nichts dagegen haben, Geld in Militärausgaben zu pumpen, wenn das Militär heutzutage weniger nützlich ist, als es früher war. Aber wenn es um Entwicklungshilfe geht, wird immer gezögert, ob Geld dafür da ist. Allerdings, wenn wir kein Geld für Entwicklungshilfe ausgegeben hätten, würden wir heute nicht die globalen Wachstumsraten sehen - von denen schließlich auch die Industrieländer profitieren. Die G8-Länder haben sich dazu verpflichtet, 130 Milliarden Dollar für Entwicklungshilfe auszugeben. Viel ist das nicht, wenn man bedenkt, dass das G8-Land USA etwa 800 Milliarden Dollar für Verteidigung ausgibt. Dabei kann man deutlich sehen, dass man in Ländern wie Afghanistan nicht mit dem Militär allein weiter kommt. Also braucht es Entwicklung.
Laut einem OECD-Wirtschaftsausblick von Afrika kommen das Wachstum und die Infrastruktur-Maßnahmen aber nur einer kleinen Elite wirtschaftlich zugute.
Nun, Afrika hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, aber ich gebe zu, es gibt noch immer Probleme und wir brauchen mehr Investitionen. Trotzdem: Es existieren mittlerweile 31 Demokratien in Afrika, mehr als je zuvor. Diese Regierungen müssen sich im Gegensatz zu den Diktaturen mehr bemühen, den Staat zu lenken und attraktiver zu machen: einer der Hauptgründe für die Wachstumsraten in Afrika. Es hat sich damit das Bewusstsein verändert. Entwicklungsprogramme werden jetzt schon von den Ländern selbst auf die Beine gestellt und nur noch teilweise von außen finanziert. Denn mit einem funktionierenden Steuereintreibungssystem in einem funktionierenden Staat kann man sich das leisten. Ghana zum Beispiel wurde von einem Niedriglohn-Land zu einem Mittellohn-Land. Jetzt nimmt das Land für seine Entwicklungsprogramme über Steuer mehr Geld ein, als es Entwicklungshilfs-Gelder bekommt. Das, wir nennen es "das Mobilmachen von heimischen Ressourcen", ist für uns beim Entwicklungshilfe-Komitee der OECD eine große Sache: Es hat einige "failed states" in Afrika gegeben, die sich inzwischen gemausert haben. Uganda war vor zehn Jahren ein "failed state" und ist es heute nicht mehr. Ruanda hatte einen Genozid. Äthiopien war im Krieg mit Eritrea und heute sieht es Wachstumsraten von fünf bis sechs Prozent.