Mit dem Europäischen Grünen Deal nimmt die EU eine Vorreiterrolle ein. Doch dazu sind auch kulturelle Veränderung notwendig.
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Im Oktober hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an dieser Stelle für das Europäische Bauhaus-Projekt geworben. Sie scheint entschlossen, Lippenbekenntnisse in konkrete Taten umzusetzen. Denn die internationale Gemeinschaft von Wissenschaftern, Politikberatern, UNO-Körperschaften und Entscheidungsträgern stellt vermehrt fest: Wissenschaft, Technologie und neue Geschäftsmodelle bildeten in der Vergangenheit eine erfolgreiche Konstellation zur Lösung von Problemen wie zum Beispiel des Ozonlochs. Die Nachhaltigkeitstransformation jedoch wird diesen alleine nicht gelingen. Dazu brauchen wir auch kulturelle Veränderung.
Mehr als fünf Jahre sind vergangen, seit der 15-Jahresplan zur Nachhaltigkeitstransformation für die Welt ("SDG-Agenda") und das Pariser Klimaabkommen von der Weltgemeinschaft unterzeichnet wurden. Die Umsetzung der Ziele jedoch hinkt. Konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der kulturellen Veränderung gibt es bisher nicht. Nun übernimmt von der Leyen als erste Politikerin die Führung. Das Europäische Bauhaus soll das kulturelle Projekt des Europäischen Grünen Deals sein. Es soll "die Brücke zwischen Wissenschaft und Technik sowie der Welt der Kunst und Kultur schlagen", um "den Menschen den Europäischen Grünen Deal sowohl gedanklich als auch in ihren Häusern näherzubringen".
Dass Europa die Führung in Sachen Kultur übernimmt, passt auch in die Tradition unseres Kontinents. Zuletzt ist dies mit dem Bauhaus-Projekt vor 100 Jahren gelungen. 1920, als die Welt sich von der Spanischen Grippe und dem Ersten Weltkrieg erholte, kamen Architekten, Künstler, Studenten, Ingenieure und Designer zusammen, um der Moderne eine Gestalt zu geben. Soll das Europäische Bauhaus des 21. Jahrhunderts ebenfalls international erfolgreich sein, muss es den Herausforderungen unserer Zeit angepasst werden. Es braucht Architekten und Ingenieure, aber auch Systemwissenschafter, KI-Spezialisten, Darstellende und Visuelle Künstler, um die notwendigen kulturellen und Verhaltensveränderungen zu ermöglichen, die für den Erfolg des Europäischen Grünen Deals unerlässlich sind.
Zwei Säulen
Ob es Erfolg haben wird, ist noch unklar. Bisher wurde nur verlautbart, dass Architekten und Ingenieure involviert sein werden, um Häuser zu renovieren und nachhaltige Städte zu planen, da "für mindestens 40 Prozent aller Treibhausgasemissionen Gebäude und Infrastrukturen verantwortlich sind". Ein kulturelles Projekt müsste jedoch auf zwei Säulen gebaut sein: Neben Architekten und Ingenieuren braucht es auch Wissenschafter und Künstler, die die Kluft zwischen Wissen und Handeln schließen. Die Konsequenzen des Klimawandels bringen große soziale Herausforderungen wie Generationengerechtigkeit, Entwicklungsgerechtigkeit, Gesundheit, Wohlstand, Frieden und Migration. Wir brauchen Künstler, die sich mit ethischen und moralischen Fragen, die damit einhergehen, auseinandersetzen. Wie müsste diese zweite Säule des Europäischen Bauhauses gebaut sein?
Am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien habe ich fünf Jahre lang erforscht, wie darstellende Künstler und Wissenschafter wirksam zusammenarbeiten können, um die brennenden Themen unserer Zeit wie Klimawandel, Artensterben, Migration oder Ressourcengerechtigkeit trotz deren umfassender Komplexität einer breiten Öffentlichkeit begreifbar zu machen. Im Laufe dieser Arbeiten ist eine Methode entstanden, die wissenschaftliche Erkenntnisse aufgreift, sich mit der ethischen Komponente dieser Erkenntnisse auseinandersetzt, tief sitzende Überzeugungen in Frage stellt und durch Tanz, Theater und Musik veranschaulicht. Das Publikum wird in die Vorstellungen eingebunden und kann anhand seiner Entscheidungen erkennen, wie sich das Verhalten jedes Einzelnen auswirkt.
Diese Erfahrung ermöglicht es, besser durchdachte Entscheidungen zu treffen. Im Wesentlichen stärkt dieser Ansatz die Demokratie. Denn wenn wir weiterhin auf demokratische Mechanismen setzen wollen, um die Nachhaltigkeitstransformation umzusetzen, brauchen wir die Unterstützung der Bürger Europas, die durch individuelles Handeln, aber auch durch das Einfordern politischer Maßnahmen kollektives Handeln ermöglichen.
Wird das Europäische Bauhaus auf dieser zweiten Säule, der Säule der kulturellen Veränderung durch die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kunst gebaut, kann auch die Entschließung des Europäischen Rats von 2019 zur kulturellen Dimension der nachhaltigen Entwicklung umgesetzt werden. Ziel dieser Entschließung ist es, den Beitrag der Kultur zur nachhaltigen Entwicklung zu verstärken. Bisher gibt es jedoch keine Finanzierungsstrukturen, die es Künstlern ermöglichen, einen Beitrag zur Nachhaltigkeitstransformation zu leisten.
Strukturen schaffen
Die EU wird 0,19 Prozent ihres Budgets für den Zeitraum 2021 bis 2027 für Kultur ausgeben. Das Ziel des Kulturprogramms "Creative Europe" ist es, kulturelle Akteure innerhalb Europas besser zu vernetzen. Das Ziel ist es nicht, Künstlern zu ermöglichen, sich mit den brennenden Themen der Zeit auseinanderzusetzen, um kulturell zur Umsetzung des Europäischen Grünen Deals beizutragen. Wie jeder EU-Mitgliedstaat hat auch Österreich zugestimmt, Kultur in der nachhaltigen Entwicklung einzubeziehen. Strukturen, die dies ermöglichen, wurden bisher nicht geschaffen.
"Die Wissenschaft gibt uns noch genau 15 Jahre, um eine neue, eine ökologische Zivilisation zu schaffen", hat der Regisseur Peter Sellars bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele 2019 festgestellt und gefragt: "Und wo sind die Künstler?" Nach vielen Jahren, die eher durch Lippenbekenntnisse zur Wichtigkeit von Kunst und Kultur geprägt waren, gibt es nun, zumindest auf europäischer Ebene, zum ersten Mal eine konkrete Möglichkeit zur Umsetzung. Die Künstler sind bereit. Das Know-how ist da. Möge das Europäische Bauhaus nun sein Potenzial ausschöpfen.