Keine einhellige Meinung unter Wissenschaftern. | Europas niedrige Fertilität auf Dauer ein Problem. | Wien. Zu den größten Sorgen vieler Österreicher gehört laut Umfragen die geringe Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau. Damit eine Bevölkerung langfristig nicht schrumpft, wäre laut Wissenschaftern eine Fertilitätsrate von 2,1 nötig. Auch der EU-Schnitt ist mit 1,5 zu tief. Die Frage, ob familienfreundliche Politik diese Entwicklung nachhaltig ändern kann, ist auch unter Wissenschaftern umstritten. Das Vienna Institute of Demography der Akademie der Wissenschaften hat vor kurzem eine internationale Konferenz zu diesem Thema abgehalten.
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Vor allem Experten aus dem anglo-amerikanischen Raum halten den Einfluss der Politik auf das Verhalten der Bürger für eher gering. "Auch spektakuläre politische Maßnahmen hätten nur kurzfristige Wirkungen", meint der Demographie-Experte Paul Demeny vom Population Council in New York. Kulturelle Wurzeln, Religiosität und Wirtschaftswachstum seien vor allem entscheidend.
In einem Punkt sind sich alle einig: Zurzeit gibt es zu wenige wissenschaftliche Untersuchungen, die über die Ursachen hoher oder niedriger Fertilität Aufschluss geben. Österreich gilt zum Beispiel wegen des Kindergeldes und der langen Karenzzeit als durchaus familienfreundlich. Dennoch liegt Österreichs Geburtenrate unter dem EU-Durchschnitt.
Vorbilder Frankreich und Skandinavien
Dimiter Philipov von der Akademie der Wissenschaften nennt als positive Beispiele Frankreich und Skandinavien. Geburtenraten von 1,8 bis 1,9 seien flexiblen Arbeitszeiten und den vielen Angeboten von Teilzeitarbeit zu verdanken. "Es ist aber riskant, Maßnahmen, die in einem Land erfolgreich sind, zu kopieren" , betont Philipov.
Wesentlich sind auch staatliche Kinderbetreuungseinrichtungen, weil Frauen damit der Berufseinstieg erleichtert wird.
Das gegenwärtig niedrige Bevölkerungswachstum Europas bewerten die Experten unterschiedlich. Demeny glaubt, dass es etwa in Italien mit einer Geburtenrate von 1,34 gerade eine vorübergehende Gegenbewegung zur früher sehr hohen Fertilität gebe. Das werde sich in der Zukunft wieder ändern.
Pessimistischer ist Wolfgang Lutz, Direktor des Vienna Institute of Demography. Für ihn ist unsere Gesellschaft in einer Falle. Nach Jahrzehnten zu geringer Fertilität gibt es nun auch weniger Frauen, die Kinder bekommen können. Darüber hinaus hat sich durch zahlreiche Einkindfamilien die Mentalität der Menschen verändert. Die Situation werde sich nur schwer verbessern lassen.
Frei von Europas Sorgen ist Israel mit einer Geburtenrate von 2,9. "Wir sind optimistisch", meint Sergio Della Pergola von der Hebrew University in Jerusalem. Dabei sei die ökonomische Situation Israels durchaus mit der Italiens vergleichbar. "Für uns ist der Nachwuchs ein Gemeinschaftsprojekt. Wir konnten in Israel Individualismus und Gemeinschaftssinn gut miteinander vereinbaren." Viele Israelis heiraten schon in jungen Jahren.
Auch andere Experten räumen ein, dass es von Vorteil wäre, wenn die europäische Bevölkerung früher mit dem Kinderkriegen beginnen würde.