Wann ist eine Kündigung unsozial? | Bei Spitzenverdienern liegt die Latte höher. | Wien. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat sich im Herbst mit der Kündigungsanfechtung eines weit überdurchschnittlich verdienenden 55-jährigen Piloten befasst. Er wies die Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit trotz 40-prozentigen Gehaltsnachteils mit Hinweisen auf die überdurchschnittlich hohe Betriebspension sowie die fehlende wesentliche Interessenbeeinträchtigung und damit Sozialwidrigkeit der Kündigung ab.
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Der Pilot - der monatlich 13.276,56 Euro brutto verdiente - wurde vom Dienstgeber gekündigt. Laut Kollektivvertrag hatte er Anspruch auf ein Jahresgehalt Abfertigung und danach auf eine Betriebspension in Höhe von 60 Prozent des letzen Bruttomonatsgehaltes, d.h. in Höhe von fast 8000 Euro brutto, 14 Mal jährlich. Die Kündigung wurde beim Arbeits- und Sozialgericht mit der Begründung "Sozialwidrigkeit" angefochten und diese mit dem 40prozentigen Einkommensnachteil und hohen finanziellen Verpflichtungen inklusive Unterhaltspflichten begründet.
Erster Punkt der gerichtlichen Anfechtungsprüfung ist die Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens einer Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Arbeitnehmers. Dabei ist die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers einzubeziehen. Der Kündigungsschutz ist jenen Arbeitnehmern zu gewähren, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung des Lebensunterhaltes angewiesen sind.
Wesentliche Kosten
Bei der "wesentlichen Interessenbeeinträchtigung" ist nur auf die wesentlichen Lebenshaltungskosten, nicht aber auf "Luxusaufwendungen" abzustellen. Allein aus einer Brutto-Einkommensverminderung um 40 Prozent kann noch nicht auf die geforderte wesentliche Beeinträchtigung geschlossen werden. An Aufwendungen hat der Pilot circa 2500 Euro pro Monat für Sorgepflichten und Wohnraum zu tragen. Der Gekündigte ist daher mit seiner Pension von fast 8000 Euro auch weiterhin in der Lage, nicht nur durchschnittliche, sondern auch darüber liegende Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Die Kündigung des Klägers ist daher laut OGH nicht als sozial ungerechtfertigt zu beurteilen.
Laut bisheriger OGH-Judikatur lagen wesentliche Interessenbeeinträchtigung bei Einkommeneinbußen von 10 bis 15 Prozent nicht vor, bei 20 jedoch schon, sofern dies nicht im Zusammenhang mit einer Pensionierung erfolgte; ebenso bei einem Verlust von brutto 57 Prozent.
Strengerer Maßstab des OGH
Die vorliegende Entscheidung ist insofern neu, als erstmals auch 40-prozentige Einkommenseinbußen in Kauf genommen werden müssen und diesbezügliche Kündigungen nicht erfolgreich wegen Sozialwidrigkeit angefochten werden können. Allerdings ist augenfällig, dass der Kläger zu den absoluten Topverdienern in Österreich zählt und selbst 60 Prozent des bisherigen Verdienstes noch einem Vielfachen des heimischen Durchschnittseinkommens entsprechen. Der OGH kommt zu dem Schluss, dass man auch mit fast 8000 Euro sehr gut leben - sprich seinen Lebensunterhalt inkl. Zweithaus und Ferienwohnung - problemlos bestreiten kann, noch dazu bei Lebenshaltungskosten von 2500 Euro.
Wie weit ist dieses Urteil verallgemeinerbar? Wahrscheinlich in jenem Maß, als die Einkommenshöhe vor und nach der Kündigung für österreichische Arbeitnehmer repräsentativ ist. Spitzenverdiener mit Zusatzpensionsanspruch werden aber in Zukunft Kündigungen selbst bei deutlichen Einkommenseinbußen wohl weniger entgegensetzen können; vor allem dann, wenn sie die Kündigung nicht wegen Altersdiskriminierung anfechten können.
Lukas Stärker ist stellvertretender Direktor der österreichischen Ärztekammer. Die ausführliche Version dieses Artikels lesen Sie in der Arbeits- und Sozialrechtskartei des Linde Verlages.