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Kann man Kriege noch gewinnen?

Von Wendelin Ettmayer

Politik

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Angesichts der militärischen Siege, die auch während der letzten Jahre der Welt immer wieder verkündet wurden, scheint die Frage, ob man heute Kriege noch gewinnen kann, kaum gerechtfertigt. Zu präsent ist noch die Erklärung von Präsident George W. Bush auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln, als er unter dem Motto "Mission Accomplished" den Sieg im Irak-Feldzug verkündete. Und nur eineinhalb Jahre vorher hatten die amerikanischen Streitkräfte die Taliban-Regierung in Afghanistan entscheidend geschlagen. Selbst Slobodan Milosevic musste 1999 im Kosovo einlenken, nachdem sein Land einige Wochen lang Bombardements der Alliierten ausgesetzt war.

Aber gerade im Zusammenhang mit den drei genannten Konflikten kann man feststellen, dass die ursprünglich gesetzten Kriegsziele bei weitem nicht erreicht wurden: Im Irak werden eineinhalb Jahre nach Beendigung der offiziellen Kampfhandlungen immer noch amerikanische Soldaten getötet, schwere Auseinandersetzungen zwischen den Irakern verunsichern das Land. In Afghanistan kontrolliert die von den Amerikanern eingesetzte Regierung gerade die Hauptstadt Kabul. In den Provinzen herrschen die Kriegsherren und der Drogenhandel blüht. Und auch im Kosovo konnte ein friedliches Zusammenleben zwischen Serben und Albanern nicht erreicht werden.

Diese Entwicklungen werfen die grundsätzliche Frage auf, welche Erfolgschancen Kriege im 21. Jahrhundert noch haben.

1. Das Wesen des Krieges

Tatsächlich konnten in der Vergangenheit ganze Epochen der Weltgeschichte durch Schlachten und Kriege entschieden und gestaltet werden: durch Kriege wurden Länder erobert und Reiche gegründet, von Alexander dem Großen bis zu Napoleon. Die Sieger dieser Schlachten gingen als bedeutende Gestalten in die Weltgeschichte ein und erfreuten sich allgemeiner Heldenverehrung. Kriege brachten aber nicht nur territoriale Gewinne, auch ideologische und selbst religiöse Auseinandersetzungen wurden mit Waffengewalt entschieden. Der Herrscher bestimmte demnach nicht nur das Glaubensbekenntnis seiner Untertanen ("cuius regio, eius religio"), noch im "Kalten Krieg" ging es darum, die militärische Macht zur Abstützung der eigenen ideologischen Überzeugung einzusetzen.

Worum ging es dabei? Worin bestand durch Jahrhunderte das Wesen des Krieges? Eben darin, dass jemand versuchte, einem anderen durch physische Gewalt seinen Willen aufzuzwingen, wie schon General Carl von Clausewitz feststellte. Kriege waren demnach ein Gewaltakt, "um den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zu zwingen".

Jahrhundertelang genügte der militärische Erfolg, um nicht nur Herrscher zu besiegen, sondern auch, um deren Untertanen zu beherrschen. Territorien wechselten ohnehin auf die verschiedenste Weise immer wieder ihre Herrscher. Tatsächlich war es für die Bevölkerung weitgehend irrelevant, welchem Herzog oder König sie gerade Untertan waren. Sicherlich haben immer wieder Mächte, vor allem Kolonialmächte, versucht, ihre Aktionen unter ein humanitäres Banner zu stellen. Die "Mission civilisatrice" der Franzosen wie "The white man's burden" der Engländer sind Beispiele dafür. Aber entscheidend war letztlich, dass ganze Kontinente erobert werden konnten, dass sich der geschlagene Feind bedingungslos unterwerfen musste, ohne dass der Bevölkerung der besiegten Gebiete irgendeine Mitsprache bei der Gestaltung ihrer eigenen Zukunft eingeräumt worden wäre.

2. Was hat sich geändert?

Schon die Kriege des 20. Jahrhunderts brachten Ergebnisse, mit denen auch die Sieger nicht gerechnet hatten, und Entwicklungen, die auch sie nicht beeinflussen konnten. Ein wesentlicher Grund dafür lag darin, dass auch die Bevölkerung besiegter Staaten mündiger geworden war. Durch den 1. Weltkrieg wurde die Welt nicht für die Demokratie gerettet, wie es das erklärte Kriegsziel der USA bei ihrem Eintritt in den europäischen Krieg 1917 war. Vielmehr entstanden überall in Europa Diktaturen. Das durch den "großen Krieg" verursachte Elend und die Massenarbeitslosigkeit in der Folge des 1. Weltkriegs waren wesentliche Ursachen für den 2. Weltkrieg. Auch die Sieger dieses Krieges mussten sich nicht gewollten Herausforderungen stellen. Danzig wurde nicht befreit und fiel unter eine neue Diktatur. Die Kommunisten bedrohten ganz Europa, und England und Frankreich konnten den Zerfall ihrer Kolonialreiche nicht verhindern.

Genügte es nämlich in der Vergangenheit, eine Armee zu besiegen, um Völker zu beherrschen, so hat sich dies mit dem Recht der Nationen auf Selbstbestimmung, mit dem Fortschreiten der Demokratie und mit der Bildungsgesellschaft grundlegend geändert.

Heute muss man auch, will man einen Krieg erfolgreich beenden, nicht nur die gegnerische Armee schlagen, man muss vielmehr auch die Menschen selbst eines besiegten Landes gewinnen. Es geht also darum, nicht nur den Krieg, sondern auch den Frieden zu gewinnen. Dabei erhebt sich die Frage, ob dies nicht ohne vorherige militärische Auseinandersetzung leichter zu bewirken ist.

Zum Unterschied von jenen Perioden, in denen der Krieg ein akzeptiertes Mittel einer jeden Außenpolitik war und in denen militärische Siege auch die Herrschaft über die Besiegten bedeuteten, hat es grundlegende Veränderungen gegeben:

n Die Haltung zum Krieg hat sich geändert: Jahrhunderte hindurch war der Krieg ein integraler Teil der zwischenstaatlichen Beziehung. Scheiterten Verhandlungen oder wollte ein Herrscher auch nur seine Macht vergrößern, dann kam es zum Krieg. So sehr diese Haltung für manche Länder auch heute nicht ausgeschlossen ist, so wurde der Krieg als Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen für westliche Wohlfahrtsstaaten undenkbar.

n Die Menschen wurden mündiger, das gilt für die Sieger, aber auch für die Besiegten. Kriegserklärungen werden nicht mehr einfach hingenommen, die Begründungen für Kriege werden hinterfragt. Friedensbedingungen werden nicht mehr einfach akzeptiert, selbst wenn eine Regierung besiegt ist, verlangt die Bevölkerung das Recht auf Mitgestaltung der eigenen Zukunft. Dass aus Untertanen Staatsbürger wurden, gilt auch in der Außenpolitik.

Dazu kommen auf den verschiedensten Ebenen Haltungen, die den Krieg verurteilen: eine umfassende Literatur schildert die Schrecken des Krieges, Protestbewegungen begleiten eine jede Kriegserklärung. Offizielle Kriegsgründe werden auf ihre Richtigkeit geprüft. Ein Krieg, der ohne die Legitimation der Vereinten Nationen geführt wird, gilt für viele von vornherein als ein ungerechter Krieg.

n Die Welt schaut zu: Der Einfluss des Fernsehens, ja der direkten Berichterstattung über Kampfhandlungen insgesamt, kann wohl nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wenn Menschen in ihren Wohnzimmern mitverfolgen können, wie andere getötet und Städte zerstört werden, ja wenn selbst der Tod eines einzelnen Soldaten Schlagzeilen macht, dann wird es für eine jede Armeeführung schwer, ihre Truppen beliebig einzusetzen. Noch im 2. Weltkrieg wurden Flächenbombardements, ja wurden Hiroschima und Nagasaki akzeptiert. Heute hat jedoch jeder im Irak gefallene amerikanische Soldat eine Auswirkung auf die amerikanische Innenpolitik, die Opfer der irakischen Zivilbevölkerung beeinflussen die öffentliche Meinung in den arabischen Ländern.

n Die Haltung zum Heldentum hat sich geändert: Seit Urzeiten galt es als "schön und ruhmreich, auf dem Feld der Ehre zu sterben". Soldatentum und Männlichkeit bildeten vielfach eine Einheit. Noch im 1. Weltkrieg sprach der kommandierende englische General von einem "glorreichen Tag", als in den ersten 12 Stunden der Offensive an der Somme sein Land 60.000 Opfer zu beklagen hatte. Heute ist es so, dass selbst Berufsarmeen alles tun müssen, um Opfer in ihren Reihen zu vermeiden. Manche glaubten sogar an die Illusion, eine starke technische kriegerische Überlegenheit würde Opfer in den eigenen Reihen ausschließen. Umso größer ist natürlich die Betroffenheit über die Zahl jener, die tatsächlich im Kampfe fallen.

Insgesamt kann man wohl sagen, dass es in einer Welt, in der die Menschen einen bestimmten Bildungsgrad erreicht haben, in der Demokratie und Menschenrechte zu den großen Leitmotiven der Zeit gehören, in der die Berichterstattung über Kampfhandlungen in die ganze Welt getragen wird und in der, nach den Zerstörungen der beiden Weltkriegen, der Heldentod vielfach anders gesehen wird, Kriege nicht mehr in gewohnter Weise begonnen und beendet werden können. Es ist viel schwerer geworden, anderen mit Gewalt den eigenen Willen aufzuzwingen. Damit ist das Wesen des Krieges in Frage gestellt.

3. Es geht auch darum, den Frieden zu gewinnen

Der Kosovo, Afghanistan und Irak sind wohl Beispiele dafür, dass es nicht mehr genügt, eine gegnerische Armee zu besiegen oder einen feindlichen Herrscher abzusetzen. Solange der Sieger nicht in der Lage ist, die Bevölkerung des besiegten Landes für sich zu gewinnen, ist es sehr gewagt, von einem erfolgreichen Krieg zu sprechen.

n 1999 bombardierten Nato-Einheiten Stellungen in Serbien, um die serbische Vorherrschaft im Kosovo und eine Massenflucht der Kosovo-Albaner zu verhindern. Auch wenn die Bombardements länger dauern mussten als ursprünglich geplant, der damalige serbische Staatspräsident Slobodan Milosevic wurde zum Nachgeben gezwungen. Militärisch war die Aktion ein Erfolg, die Kosovo-Albaner konnten in ihre Heimat zurückkehren.

Der Friede konnte allerdings dadurch nicht gewonnen werden. Wurden früher die Albaner, so fühlten sich nachher die Serben im Kosovo verfolgt.

Trotz großer finanzieller Zuwendungen konnte die Wirtschaft nicht richtig belebt werden und im März 2004 kam es zu Unruhen. Dabei wurden 19 Menschen getötet, 800 verwundet und zahllose serbische Kirchen zerstört. So sehr sich auch die UNO bemühte, die sicherheitspolitischen und demokratischen Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben der beiden Volksgruppen zu schaffen, es gelang durch das militärische Eingreifen nicht, das Misstrauen zwischen Serben und Albanern zu beseitigen. Auch der rechtliche Status der Provinz konnte dadurch nicht geklärt werden.

n Auch in Afghanistan gelang es in kurzer Zeit, im Herbst 2001 durch einen militärischen Einsatz die Taliban-Regierung, die für die Anschläge in New York am 11. September des selben Jahres mitverantwortlich war, zu verjagen und ihre Streitkräfte zu besiegen. Aber auch hier mussten die USA und ihre Alliierten bald feststellen, dass ein militärischer Sieg bei weitem nicht die Lösung aller Probleme bedeutet. Einerseits gelang es führenden Mitgliedern von Al-Kaida zu flüchten, andererseits zeigte sich sehr bald, dass sich der Wiederaufbau des Landes äußerst schwierig gestaltete.

Um nur ein Problem hervorzuheben: Seit dem Krieg von 2001 ist der Opiumhandel in Afghanistan wieder hochgeschnellt. Während die Opiumproduktion unter den Taliban auf 185 Tonnen reduziert werden konnte, ist sie also seither um das 20-fache gestiegen. Auch die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes konnten bei weitem nicht in dem Ausmaß gelöst werden, wie dies zu Kriegsbeginn 2001 in Aussicht gestellt wurde. Und erst unlängst mussten die vorgesehenen Wahlen neuerlich verschoben werden, weil die Voraussetzungen dafür einfach nicht gegeben sind.

n Was den Irak betrifft, so ist es dort durch den Krieg von 2003 sicherlich zu einem Regimewechsel gekommen, die in Aussicht gestellten Kriegsziele, wonach der Irak durch die Beseitigung von Saddam Hussein ein "Land der Demokratie und der Marktwirtschaft" würde, von allen Nachbarn der Region beneidet, liegt wohl noch in weiter Ferne.

Das Land wurde unsicher, 1000 amerikanische Soldaten und 10.000 irakische Zivilisten wurden nach der offiziellen Beendigung der Kampfhandlungen getötet und das Land droht ein Faktor der Destabilisierung für die ganze Region zu werden. Darüber hinaus zeichnen sich auch Entwicklungen ab, wonach der Irak in Zukunft stärker, und nicht schwächer, als Basis für terroristische Aktionen benützt werden kann.

Kann man heute noch Kriege gewinnen? Vielleicht. Es ist jedoch viel schwieriger geworden als früher. Um einen Krieg erfolgreich zu beenden, genügt es nicht mehr, Schlachten zu gewinnen. Man muss vielmehr auch den Frieden gewinnen, also die Menschen des besiegten Landes von der Richtigkeit der eigenen Ziele überzeugen können.

Wendelin Ettmayer ist Autor des Buches: "Eine geteilte Welt - Machtpolitik und Wohlfahrtsdenken in den internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts"