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Kann Politik nicht ohne Feindbilder?

Von Walter Hämmerle

Politik
"In der Medienpolitik haben auch wir von der SPÖ genug angestellt," sagt Christiam Kern im Interview.
© WZ/Moritz Ziegler

SPÖ-Vorsitzender Christian Kern über den 1. Mai, seinen Freund Faymann, die FPÖ und Fehler in der Medienpolitik.


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Wien. Am Dienstag feiert die Sozialdemokratie ihr Hochamt: Der Aufmarsch zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, dient der SPÖ seit jeher auch zur Selbstvergewisserung und Selbstverortung. Seit vier Monaten ist die SPÖ im Bund in Opposition und in Wien, dem eigentlichen Machtzentrum, steht ein Neubeginn bevor. Keine leichte Zeit für Christian Kern, den Bundesvorsitzenden der SPÖ.



"Wiener Zeitung": Am Freitag trat das Alkoholverbot am Wiener Praterstern in Kraft. Das ist ein symbolträchtiger Bruch mit der bisherigen Linie der Wiener SPÖ und hat auch zu Turbulenzen geführt. Wie stehen Sie zum Alkoholverbot?



Christian Kern: Ich kenne die Situation am Praterstern gut, da ich ja als ÖBB-Chef dort auch der Hausherr war. Es gab immer Aufs und Abs, aber keine Maßnahme hat zu einer nachhaltigen Besserung geführt. Also müssen wir neue Wege ausprobieren, deshalb ist das Alkoholverbot für mich ein akzeptabler Schritt, um zu sehen, ob sich die Dinge vor Ort verbessern. Wenn es ein Problem gibt, dann muss man dieses lösen. Das geschieht jetzt.

Dieser Pragmatismus fällt aber nicht allen in der SPÖ leicht, denn nicht nur der Koalitionspartner, die Wiener Grünen, sondern auch etliche aus dem linken Lager der SPÖ fühlen sich vor den Kopf gestoßen.



Ich sehe das ganz anders. Der Aufruhr, den Sie beschreiben, ist nicht bis zu mir vorgedrungen. Das Alkoholverbot ist der richtige Schritt in der jetzigen Situation am Praterstern. Und man sagt nicht: Alkoholverbot und aus. Keiner in der SPÖ will Menschen in Not die Hilfe entziehen, sondern wir treiben einen riesigen Aufwand, um die sozialen Probleme in den Griff zu bekommen. Das wird auch so bleiben. Deshalb sehe ich auch keinen Tabubruch.



Am 1. Mai stehen Sie mit Michael Ludwig gemeinsam auf der Bühne. Was trauen Sie ihm für Wien zu?



Er ist die richtige Wahl, wir haben gute Chancen, die Stadt zu verteidigen. Was wir jetzt erleben, ist ein Generalangriff auf Wien. Egal, worum es geht, die Bundesregierung setzt alles daran, unsere Hauptstadt schlechtzureden. Aber diese Strategie wird nicht funktionieren: Jede Großstadt hat ihre Probleme, die geht Ludwig auch entschlossen an, aber Wien ist eine der lebenswertesten Städte und wächst auch alle zehn Jahre im Ausmaß der Stadt Linz.



Vor zwei Jahren protestierte die Parteilinke gegen den damaligen Parteichef und Kanzler Werner Faymann. Vergangenes Jahr waren Sie der Hoffnungsträger. Jetzt ist die SPÖ im Bund in Opposition und in Wien auf Selbstfindung.



Ich erlebe die Stimmung bei uns als ausgezeichnet. Die Veranstaltungen sind weit besser besucht als vermutet, seit Amtsantritt der Regierung haben wir 2400 neue Mitglieder gewonnen. Viele wissen, dass jetzt die Zeit ist, sich wieder zu engagieren. Deshalb gehe ich davon aus, dass es, so wie im Vorjahr, wieder eine richtige Feier wird. Und weil es der letzte 1. Mai mit Michael Häupl sein wird, rechne ich auch mit großen Emotionen.



In der Wiener SPÖ haben jetzt die Freunde Faymanns das Sagen . . .

"Das Alkoholverbot ist der richtige Schritt in der jetzigen Situation am Praterstern."
© WZ/Moritz Ziegler

Entschuldigen Sie, aber diese Unterscheidungen werden nur von außen gemacht, nach innen gibt es das nicht. Ich lege selbst Wert darauf, ein Freund von Werner Faymann zu sein. Alle stehen hinter Ludwig. Wir wissen, dass unsere liberale Demokratie auf dem Spiel steht, dass wir demokratische Errungenschaften wie die Pressefreiheit oder die Unabhängigkeit der Justiz nicht mehr als gesichert sehen können. Das schmiedet uns zusammen.



Trauen Sie der FPÖ tatsächlich zu, dass sie eine illiberale Ordnung schaffen würde, wenn sie könnte?



Ja. Daraus machen die ja kein Geheimnis.



Also steckt für Sie in der FPÖ ein undemokratischer Geist?



Auf jeden Fall ein autoritärer. Sie haben eine völlig andere Vorstellung von Demokratie, als wir sie haben. Wir wollen eine offene, plurale Gesellschaft.



Und die FPÖ eine anti-demokratische?



Die Bekenntnisse zur gelenkten Demokratie seitens der FPÖ kann man nachlesen. Es gab mittlerweile sechs Besuche bei und von Ungarns Premier Viktor Orban, übrigens auch von der ÖVP. Es gibt die Attacken auf die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz und man lässt bei einer Razzia im Verfassungsschutz ausgerechnet die Observierungsergebnisse des Extremismusreferats mitgehen. Man sucht überall Sündenböcke und bedient sich wie im Fall George Soros antisemitischer Codes, die sonst nur von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern verwendet werden. All das geht eindeutig in diese Richtung, unsere Aufgabe ist es, dem einen Riegel vorzuschieben.



Aber warum sind Sie nicht konsequent und lehnen jede Kooperation und Koalition mit der FPÖ ab?



Die FPÖ ist natürlich eine demokratisch gewählte Partei und wir haben immer gesagt, dass alle gewählten Parteien für uns Gesprächspartner sind, um nach Lösungen bei Sachproblemen zu suchen. Das heißt aber nicht, dass wir autoritäre Politik akzeptieren. Diese beiden Ebenen muss man unterscheiden.



Warum ist Politik ohne Feindbild nicht mehr möglich?



Das ist eine berechtigte Frage, die mir selbst Sorgen bereitet.



Warum machen Sie dann mit? Sie schildern die FPÖ und die neue Regierung nicht nur als Gegner, sondern es geht gleich um das größtmögliche Ganze: die drohende Abschaffung von Demokratie, Rechtsstaat und Pressefreiheit. Die meisten Bürger, unabhängig von ihren politischen Ansichten, haben ein anderes Bild von der Realität.



Da haben Sie recht. Ich finde auch, man muss sich nicht über alles aufregen. Aber Geschichte entsteht nicht an einem Tag, sie entwickelt sich. Die Dinge zu benennen und rechtzeitig dagegen zu halten, ist eine Lehre der Vergangenheit. Natürlich wollen Kurz und Strache nicht Demokratie abschaffen. Ungarn ist auch eine Demokratie, allerdings eine, in der ich selbst nicht leben will. Und was die Feindbilder angeht: Schauen Sie sich an, was die Regierung mit der Sozialversicherung aufführt, wie sie hier ganz bestimmte Personen herauspickt und anpatzt als Spekulanten. Als Bundeskanzler ist man verpflichtet, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern und nicht zu spalten. Meine Befürchtung ist, dass Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache wie die Zauberlehrlinge die Geister, die sie rufen, nicht im Griff haben.



Aber warum spielen Sie dieses Spiel auch selbst?



Ich akzeptiere unterschiedliche Interessen und Zugänge, aber nicht, dass gezielt gegen bestimmte Personen und Gruppen agitiert wird.



KTM-Chef Pierer darf man herauspicken? Sie haben ihn attackiert, weil er für den Wahlkampf der ÖVP gespendet hat.



Pierer hat selbst erklärt, dass er für die ÖVP spendet. Das ist sein gutes Recht. Ich habe ihn nie persönlich attackiert und lehne das auch ab. Dass er jetzt von der Politik reichlich profitiert, bleibt ebenso ein Fakt. Das ist Interessenpolitik, ich würde es zwar nicht machen, aber es ist zulässig.



Wann hat die Politik aufgehört, mit Zuversicht zu werben?



Wahrscheinlich hat das schon in den 1970ern begonnen, als zum ersten Mal die Grenzen des permanenten Wachstums deutlich wurden. Und jetzt, in der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 und später in der Flüchtlingskrise oder beim Klimawandel, wurden die begrenzten Möglichkeiten der Politik für alle noch deutlicher. In Österreich sind wir noch dazu gut darin, uns schlechtzureden. Der größtmögliche Unsinn war der "Abgesandelt"-Sager des Herrn Leitl, weil er einfach nie gestimmt hat. Aber dass ein falsches Bild gezeichnet werden konnte, dazu haben auch viele Medien einen Beitrag geleistet.



Diese Medienlandschaft entstand unter kräftiger Mithilfe der Politik.



Ja, wir in Österreich haben den Fehler begangen, eine Populismusspirale befeuert und genährt zu haben, die zu einem Problem für die Entwicklung des Landes geworden ist. Auch die SPÖ hat hier genug angestellt, aber ich nehme für mich in Anspruch, aus den Fehlern gelernt zu haben.



Einige Intellektuelle und Wissenschafter haben sich der Idee der Europäischen Republik verschrieben. Teilen Sie diese Vision?



Klar ist, dass alle unsere großen Probleme nur im europäischen Rahmen gelöst werden können. Österreich, auf sich allein gestellt, wäre ein bloßer Spielball. Deshalb muss es unser Ziel sein, Europa zu stärken.



Wir brauchen eine Demokratisierung der Union und eine Stärkung der Kommission, alles andere ist eine Utopie, die in unserer Lebenszeit wohl nicht mehr verhandelt wird.