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Kanonenbootpolitik à la Steinmeier

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare
Alexander von der Decken ist außenpolitischer Redakteur in Bremen.

Der internationalen Politik fehlen herausragende Denker und Visionäre, die nicht bloß willfährig das tun, was aus ihrer Sicht von ihnen erwartet wird.


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"Es wird zu Recht von uns erwartet, dass wir uns einmischen", sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der "Süddeutschen Zeitung" vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz. Eine Steilvorlage für solche Muskelprotzerei gab ihm kurz zuvor Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die sich für ein stärkeres Engagement der Bundeswehr in Krisengebieten aussprach, da die großen Konflikte näher an Europa herangerückt seien. Der Außenminister sekundierte mit dem Hinweis, Deutschlands ökonomische Potenz verlange einen starken Auftritt. Kanonenbootpolitik im adäquaten Outfit.

Gefechtslärm ist Futter für Größenwahn und ein Mittel, die Vernunft mundtot zu machen. Die Geschichtsbücher sind voll davon. Ideen lassen sich aber nicht aus den Köpfen bomben, das zeigen die Konflikte der jüngeren Vergangenheit, ob Irak, Afghanistan, Libyen oder nun Mali und Zentralafrika. Das gemeinsame Haus Europa ist die Konsequenz eines nie dagewesenen Massensterbens in zwei Weltkriegen, es steht auf einem brüchigen Fundament, wie die Neuausrichtung der deutschen und letztlich europäischen Politik befürchten lässt.

Der politischen Klasse fehlen in solch spannungsgeladenen Zeiten herausragende Denker und Visionäre, die meinen, was sie sagen, und sagen, was sie meinen - und nicht willfährig das tun, was (laut Steinmeier) von ihnen "erwartet" wird.

Es gibt sie, eine Freiheit erster und zweiter Klasse. Der Aufstand gegen die Despoten in Arabien wurde vom Westen bejubelt - bis sich ernüchternd zeigte, dass sein Wertekanon nicht den arabischen Freiheitsidealen entsprach, denen er mit Bomben Geburtshilfe geleistet hatte.

So passte der demokratisch gewählte ägyptische Präsident Mohammed Mursi nicht ins Willfährigkeitsraster hiesiger Demokratien, seine Absetzung durchs Militär wurde schweigend zur Kenntnis genommen. Die Generäle kehren in Kairo an die Macht zurück. Hosni Mubarak lässt grüßen. Der syrische Despot Bashar al-Assad ist aus dem Fadenkreuz. Mit ihm scheint die Situation für den Westen und Israel kalkulierbarer als ohne ihn. Diesen Zynismus bezahlen die Syrer mit ihrem Blut.

Die Ukraine ist jetzt die erste Wahl im Kampf für Freiheit und Demokratie. Dort ist Willfährigkeit à la Vitali Klitschko zu erkennen. Das passt ins ökonomische Fadenkreuz. Neue Märkte, neues Spiel.

Man muss erst gar nicht an die Kritische Theorie Max Horkheimers und Theodor W. Adornos erinnern, die mit ihrem materialistischen Humanismus eine vernunftgeprägte Gesellschaftsform verwirklichen wollten. Zwar scheiterten sie an der reinen Lehre, doch in einer Hinsicht gingen sie von der richtigen Voraussetzung aus. Nämlich von der, dass der Kapitalismus eine Verneinung des Menschen ist, indem er ihn zum Objekt seiner Zügellosigkeit macht. Egoismus, Autoritätsglaube und Totalitarismus gehören zu seinem Wesen. Eine friedvolle Welt ist zweifellos Utopie, doch wer sie wagt, braucht Mut und Weitsicht. Dies ist der erste Schritt zu einer besseren, friedlicheren Welt. Eine neue Kanonenbootpolitik deutscher Prägung ist eine vergebene Chance und eine rückwärtsgewandte Politik.