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Soll es gerecht zugehen oder möglichst effizient? Zwischen diesen Grundprinzipien muss sich alle Politik entscheiden. Die SPÖ plädiert gemeinhin für Gerechtigkeit, weshalb sie bisher ein Mehrheitswahlrecht ablehnte. Jede Stimme zähle gleich viel. Dass die Wiener SPÖ ihr mehrheitsförderndes Wahlrecht zu retten versucht, zeigt nur, dass sich selbst Prinzipien anders gelagerten Eigeninteressen beugen müssen.
Grundsätzlich ist ein Mehrheitswahlrecht, welches das Regieren erleichtert, genauso demokratisch wie ein Verhältniswahlrecht, das die Parteien nach dem Stimmanteil repräsentiert.
SPÖ-Chef Christian Kern will den Zwang zur großen Koalition und das Monopol der Parteien bei Regierungsverhandlungen im Hinterzimmer brechen. Für beides gibt es gute Argumente. Allerdings würden seine Pläne Österreich radikaler verändern, als es reine Sachreformen je könnten.
Kern will, dass die stimmenstärkste Kraft automatisch den Kanzler stellt und einen - nicht konkretisierten - Mandatsbonus erhält. Das wäre ein massiver Bruch mit der bisherigen Verfassung, die vorsieht, dass der Bundespräsident den Kanzler ernennt und auch entlassen kann. Alexander Van der Bellen wurde nicht zuletzt (auch von Kern selbst) aufgrund seiner Ansage gewählt, einen FPÖ-Kanzler zu verhindern, selbst wenn die Blauen Erste werden sollten. Allein dieser Punkt würde wohl eine Volksabstimmung verlangen, weil er die Kompetenzen der obersten Verfassungsorgane auf den Kopf stellen würde. Schließlich wäre dann auch der Kanzler irgendwie direktdemokratisch legitimiert. Eben noch war Van der Bellen gefeierter Retter vor dem Rechtspopulismus, demnächst wird er womöglich schon erheblich entmachtet.
Der zweite Kollateralgeschädigte wäre das Parlament, das sich ohnehin in einem kümmerlichen Zustand befindet. Wahlkämpfe wären - noch mehr als jetzt - verkappte Kanzlerwahlen, die Mandatare wären entsprechend abhängig von der Zugkraft ihrer Spitzenkandidaten. Statt den Parlamentarismus zu stärken, wie eigentlich notwendig, würde er weiter geschwächt.
Konsistenter wäre es da, das französische Modell zu adaptieren, wo Staatspräsident/Superkanzler und Parlament in getrennten, aber politisch wie zeitlich benachbarten Wahlen gewählt werden.
Ansonsten liegen die Ideen ziemlich nah an dem, was Jörg Haider einst als Dritte Republik bewarb.