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Kanzler Kurz im Sumpf der Handychats

Von Daniel Bischof

Vom Ibiza-Video bis hin zur Inseratenaffäre - wie Bundeskanzler Kurz ins Visier der Ermittler geriet. Eine Chronologie.


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Thomas Schmid glaubt, alle Chats vernichtet zu haben. "Ich habe heute alles gelöscht. Bei WhatsApp", schreibt er im Oktober 2019 an seine Assistentin. "Okay, habe ich gemerkt, weil auf einmal alles weg war von dir", bestätigt sie ihm. "Genial", antwortet Schmid, damals Chef der staatlichen Beteiligungsholding Öbag. Aber Schmid irrt.

Es war nicht alles weg. 300.000 Chats konnten die Ermittler rekonstruieren. Bei der Razzia bei Schmid fanden sie laut einem Bericht der Wochenzeitung "Falter" eine Festplatte, auf der zahlreiche Handydaten als Sicherheitskopie gespeichert waren.

Diese Chats sollten sich als Fundgrube für die Ermittler erweisen und die Republik verändern. Sie führten zu Rücktritten, Ermittlungen und lösten eine Regierungskrise aus. Möglicherweise kosten sie nun Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Amt. Eine Chronologie.

Auftakt Causa Casinos

Nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos am 17. Mai 2019 herrscht nicht nur in der Politik Hochbetrieb. Auch die strafrechtliche Dimension ist aufzuklären. Sind die im Video gemachten Aussagen strafbar? Gab es illegale Parteispenden? Damit befasst sich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), während die Staatsanwaltschaft Wien zu den Hintermännern ermittelt.

Wenige Tage nach dem Platzen von Türkis-Blau langt zudem eine anonyme Anzeige bei der WKStA ein. Darin wird der Vorwurf erhoben, dass es zwischen Türkis-Blau und dem Glücksspielkonzern Novomatic illegale Absprachen gegeben habe. Die Besetzung eines Postens in den Casinos Austria mit einem FPÖ-Politiker soll mit Casinos-Anteilseigner Novomatic paktiert worden sein. Im Gegenzug soll Türkis-Blau dem Konzern versprochen haben, ihm bei der Vergabe künftiger Glücksspiellizenzen entgegenzukommen.

Die WKStA hält die Vorwürfe für stichhaltig. Im August 2019 gibt es erste Hausdurchsuchungen. Etwa bei Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Novomatic-Chef Harald Neumann. Sie bestreiten so wie alle anderen Beschuldigten die Vorwürfe. In den nächsten Monaten weitet die WKStA ihre Ermittlungen aus.

Am 12. November 2019 findet auch bei Thomas Schmid eine Razzia statt. Schmid ist zum damaligen Zeitpunkt Chef der Öbag, die ein Drittel der Anteile an den Casinos Austria hält. Zuvor war er mächtiger Generalsekretär im Finanzressort. Die Ermittler vermuten, dass Schmid in die vorgeworfenen Absprachen zwischen Novomatic und Türkis-Blau involviert war. Schmid dementiert das. Und er glaubt, dass er einen Monat davor alle Nachrichten gelöscht hat.

Die rekonstruierten Chats werden zum Wendepunkt. Schmid nutzte sein Handy ausgiebig, wie sich zeigt. Er kommunizierte mit ÖVP-Größen, beschied ihnen seine Loyalität und ließ keine Chance vergehen, sich für seine Erfolge rühmen zu lassen.

"Immer zu Diensten"

"Ich bin einer deiner Prätorianer, der keine Probleme macht, sondern löst", schreibt er einmal an Kurz. Nachdem im Jänner 2017 in "Österreich" eine für den damaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner desaströse Umfrage erscheint, informiert er sogleich auch Kurz darüber. Der damalige Außenminister antwortet: "Danke für Österreich heute." Schmid: "Immer zu Deinen Diensten :-))"

Durch diese Kommunikation Schmids erhalten die Ermittler Einblicke ins Innenleben der ÖVP und verfügen auch über Chats zwischen Kurz und Schmid. Es ergeben sich für die WKStA stets neue Ermittlungsstränge. Stränge, die teils nichts mehr direkt mit der Causa Casinos, wegen der die Razzia ja ursprünglich durchgeführt worden war, zu tun haben. Genannt wird das "Zufallsfund". Einschränkungen für deren Verwertung existieren kaum. Geringe rechtliche Hürden gibt es bei Zufallsfunden bei Telefonüberwachungen. Funde bei sichergestellten Handyauswertungen können hingegen ohne Einschränkungen verwertet werden.

Genau solche Zufallsfunde nehmen eine immer wichtigere Rolle ein. Während in der Causa Casinos neue Beschuldigte wie Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) auftauchen, ist eine Anklage bisher nicht in Sicht. Nicht so bei der Affäre rund um den Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds. Sie wird durch Zufallsfunde auf Straches Handy, das bei den Casinos-Ermittlungen beschlagnahmt wurde, losgetreten. Ende August 2021 wird Strache wegen Bestechlichkeit - nicht rechtskräftig - zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt.

Zufallsfunde auf Schmids Handy treten - mittlerweile eingestellte - Drogenermittlungen gegen den Öbag-Chef los. Auch die Ermittlungen gegen Blümel basieren teils auf solchen Funden. Nicht alle hatten auch strafrechtliche Relevanz: So etwa die Vorwürfe, wonach die ÖVP versucht haben soll, Vertreter der katholischen Kirche einzuschüchtern.

Die Öffentlichkeit liest mit

Auch die Öffentlichkeit kann Einblick in die Ermittlungen nehmen. Zahlreiche Personen haben in den Ermittlungsakt Einsicht. Parallel zu den fortschreitenden Ermittlungen startet der Ibiza-U-Ausschuss - damit erhalten auch die Parteien Einblick in Aktenteile. Immer wieder finden die Protokolle Eingang in die Medien. Die ÖVP verdächtigt auch die Staatsanwälte, Dokumente zu leaken, diese weisen das zurück.

Für die Volkspartei sind diese neuen Ermittlungen unangenehm, gefährden aber vorerst nicht ihre Machtposition. Auch die anfängliche Aufregung um die Ermittlungen wegen falscher Beweisaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss gegen Kurz klingt über den Sommer vorerst ab. Doch wird am Mittwoch der nächste Ermittlungsstrang bekannt: Kurz und seine Vertrauten sollen ab 2016 für Kurz günstige Meinungsumfragen illegal mit Steuergeldern finanziert haben und sich Gefälligkeitsberichterstattung der Fellner-Gruppe mit Inseraten gekauft haben. Kurz dementiert das.

Wieder sind Zufallsfunde bei Schmids Handydaten der Auslöser: Seitenweise begründet die WKStA in ihrer Anordnung zur Razzia ihren Verdacht mit Schmids Nachrichten. Es ist nämlich doch nicht so, wie Schmids Assistentin an diesen geschrieben hatte: "Es ist alles weg. Deine ganzen Chats."