Österreichs Politik sucht noch einen klaren Trend für die Zukunft.
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Politische Ämter unterliegen dem Wandel der Zeit. Für den US-Verfassungsrechtler Bruce A. Ackerman wandelte sich der Präsident der Vereinigten Staaten vom "18.-Jahrhundert-Honoratior zum 19.-Jahrhundert-Parteimagnaten zum 20.-Jahrhundert-Tribun zum 21.-Jahrhundert-Demagogen". Ackerman fällte dieses Urteil bereits 2010 in "The Decline and Fall of the American Republic" und also ohne jede Ahnung von einem Präsidenten namens Trump. Umso luzider erscheint die Einschätzung aus heutiger Sicht.
Natürlich ist das Amt des mächtigsten Mannes anderen Kräften ausgesetzt als das des österreichischen Bundeskanzlers. Dennoch kann es lohnend sein, sich die Frage zu stellen, wie sich die Natur des Amtes und seiner Inhaber verändert - und was die Zukunft womöglich bringt.
Allerdings fällt es schwer, aus den Kanzlern der letzten drei Jahrzehnte - Vranitzky, Klima, Schüssel, Gusenbauer, Faymann und jetzt Kern - eine konstante Entwicklungslinie herauszulesen. Mehr oder weniger kühle Managertypen wechseln mit genuin österreichischen Parteigewächsen mit und ohne Gestaltungsanspruch ab, wobei es in Sachen Herkunft drei zu drei steht. Die einen führten beim Griff nach dem Kanzleramt selbst Regie, andere wurden per Fingerzeig erkoren. Nur zwei von sechs, Schüssel und Gusenbauer, eroberten das Kanzleramt von einer anderen Partei, vier zogen ohne direkten Wählerauftrag am Ballhausplatz Nr. 2 ein. Es genügte, die eigene Partei zu überzeugen.
Dieses Austriakum hinterlässt Spuren; und zwar in dem Sinn, dass es nicht die Bürger sind, die in freien Wahlen, den Kanzler küren, sondern die Gremien einer Partei (und dies, obwohl Nationalratswahlen natürlich keine Kanzlerwahlen sind). Damit entfällt in der Mechanik demokratischer Politik ein zentraler Bauteil, nämlich die Selektion des Spitzenpersonals durch Wahlen. Die persönliche Fähigkeit, Wahlen zu gewinnen, rangiert deshalb nicht zwingend an erster Stelle bei der Personalauswahl. Das kann man in Zeiten, in denen Wahlen mitunter dazu verkommen, die jeweils Regierenden mit dem nassen Fetzen zu vertreiben, sogar sympathisch finden, mittelfristig wird es eher nicht dazu führen, die Gräben zwischen Politik und Bürgern zu überwinden.
Dabei ist es ja nicht so, als ob die Zugkraft bei den Wählern bei den Parteien gar kein Kriterium wäre. Sowohl Faymann wie auch Kern verdanken ihren Aufstieg der innerparteilichen Hoffnung, dass mit ihnen Siege zu erringen sein könnten. Hoffen ist allerdings etwas anderes als wissen.
Anders als bei den US-Präsidenten lässt sich also bei den Kanzlern kein klarer Trend erkennen. Es sei denn, man lässt den Hang persönlichkeitsbezogener Inszenierungskunst bereits als Charakteristikum gelten. Und die Diagnose "Populismus" ist wegen akuter Unschärfegefahr auf dem Weg, jede Aussagekraft einzubüßen. Bleiben externe Faktoren wie die EU, welche die politischen Spielräume bestimmt, und interne wie die Koalitionskonstellation, die die Führungskraft des Kanzlers prägt. Ersteres wird bleiben (obwohl man auch da nicht mehr sicher ist), Letztere kann nach der nächsten Wahl ganz anders ausschauen.