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Kanzler-Traum in Gefahr

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Für bürgerliche Zyniker bietet sogar das debakulöse Wiener Wahlergebnis der ÖVP eine tröstende Botschaft: Selbst in der Bundeshauptstadt findet sich eine 60-Prozent-Mehrheit dafür, dass alles beim Alten bleibt. Blöd nur, dass die Wiener ÖVP für Veränderung geworben hat.

Reinhold Mitterlehner dagegen hatte keine andere Wahl, als sich mit Hochdruck an die Aufräumarbeiten nach den Wahlniederlagen zu machen. Der ÖVP-Obmann weiß: Alles andere würde bedeuten, dass sein Projekt, 2018 in das Kanzleramt einzuziehen, von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre.

Unter die Rubrik Selbsttäuschung fällt auch die bisher vorgetragene Analyse, die Volkspartei sei - in Oberösterreich wie in Wien - unter die Räder des alles überlagernden Flüchtlingsthemas geraten. Oberflächlich betrachtet mag das sogar stimmen. Genauer betrachtet raubt der ÖVP jedoch ein schleichender Kompetenzverlust Glaubwürdigkeit und Wahlchancen: Beim Bereich der Sicherheit, einst ein bürgerliches Kernthema par excellence, verfügen heute die Freiheitlichen über die Deutungshoheit. Und das nach 15 Jahren ununterbrochener Herrschaft über das Innenministerium. Europa, ein weiteres Kernelement im schwarzen Selbstverständnis, taugt nicht zur breiten Wählermobilisierung. Sozialthemen hat die Volkspartei ungeachtet aller christdemokratischen Traditionen schon vor Jahrzehnten kampflos der rot-blauen Konkurrenz überlassen. Bleibt allein das Thema Wirtschaft, doch auch hier lauern längst aggressive Herausforderer wie die Neos.

Dieser Kompetenzeinbruch sollte bei den ÖVP-Strategen die Alarmglocken läuten lassen. Zumal die Menschen eigentlich in wirtschaftlich unsicheren Zeiten durchaus bereit sind, Mitte-Rechts-Parteien ihr Vertrauen zu schenken. Nach wie vor wird diesen noch am ehesten zugetraut, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und den Staatshaushalt zu konsolidieren. Revolutionäre Ausschläge wie in Griechenland sind auch in der Krise die Ausnahme geblieben.

Die Probleme zu erkennen, ist das eine, die richtigen Antworten auf sie zu formulieren und umzusetzen, ist noch einmal eine ganz andere Herausforderung. Auch die Dinosaurier sind, wie man heute weiß, nicht wegen ihres zu kleinen Gehirns vor 66 Millionen Jahren plötzlich ausgestorben, sondern sie wurden Opfer sich rasant verändernder Umweltbedingungen.